Warum soll im Bereich Kfz-Schaden nicht möglich sein, was im Bereich Operationen inzwischen gang und gäbe ist: Experten schalten sich per Videoübertragung zu und bewerten das Geschehen aus der Ferne. Bereits seit 2009 betreibt das Saarwellinger Unternehmen Live Expert das Geschäft mit Telegutachten und hat inzwischen zehntausende Fahrzeugschäden kalkuliert. Und dies nicht, um den klassischen Kfz-Sachverständigen arbeitslos zu machen, wie Geschäftsführer Andreas Schnur ein ums andere Mal betonte: "Ich bin selbst Kfz-Sachverständiger und schon von daher daran interessiert, dass dieses Berufsbild auch in den kommenden Jahren noch am Markt vertreten ist.“
Digitalisierung sinnvoll oder nicht?
Wie sieht sie nun aus, die patentierte Live Expert Welt? Der Kunde kommt in die Werkstatt, das Autohaus verbindet sich per Knopfdruck mit einem Kfz-Sachverständigen, der per Video zugeschaltet wird. Dieser dirigiert den Serviceleiter um das Fahrzeug und lässt ihn die nötigen Fotos erstellen. Diese werden an den SV gesendet und als Basis zur Erstellung einer Schadenkalkulation verwendet, so dass der Autofahrer innerhalb von nur 20 Minuten mit einer Entscheidungsgrundlage für das weitere Vorgehen ausgestattet werden kann – kürzere Standzeiten, mehr Werkstattdurchgänge und eine hohe Kundenzufriedenheit versprechen eine Win-Win-Situation.
Dennoch waren die anwesenden Experten, allen voran ZAK-Präsident Ralf Graf, skeptisch: "Ich bin der Meinung, kein Foto und keine 3D-Animation kann die Form richtig wiedergeben. Ein beschädigtes Fahrzeug muss man fühlen, schmecken, riechen und das ist mit dieser Technik einfach nicht möglich." Bestenfalls die Kalkulation einfacher Bagatellfälle wollte der Sachverständigen-Experte zugestehen.
Tele-Gutachten in mehreren Schritten
Laut Andreas Schnur sind aber auch komplexere Schäden machbar: "Wir erstellen begleitende Gutachten, was bedeutet: ist ein größerer Schaden zu vermuten, wird der Videostream unterbrochen und die Werkstatt legt das Fahrzeug im Anstoßbereich frei. Danach wird der Gutachter wieder zugeschaltet und kann die nötigen Erweiterungen vornehmen – uns ist klar, dass Schäden dann schnell von 3.000 auf 8.000 Euro anwachsen können. Dieses Vorgehen wird bei Bedarf auch mehrfach wiederholt."
Ziel seiner Firma sei es, dass die Rechnung, die der Versicherung hinterher gestellt werde, mit dem Gutachten konform geht. Dass das System seine Grenzen habe – etwa bei komplizierten Motorschäden – räumte Schnur denn auch unumwunden ein. Überzeugen konnte er Ralf Graf damit jedoch nicht: "Wenn wir an Gerichtsurteile denken, auch hier haben wir häufig nur Bildmaterial als Entscheidungsgrundlage. Sehen wir uns die Fahrzeuge jedoch in natura an, stellen wir immer wieder große Diskrepanzen fest. Nach momentaner Rechtssprechung können Beweise deswegen nur augenscheinlich genommen werden", stellte der ZAK-Präsident in den Raum. Deswegen rief Andreas Schnur ihn und all seine Kritiker dazu auf, sich – ganz ohne Videoübertragung – live vor Ort von den Vorzügen seines Systems zu überzeugen: "Kommen Sie zu uns nach Saarwellingen und wir besprechen das komplette Konzept auch in jedem Detail."
Für welche Fälle übereinstimmend alle Experten das Live Expert-System für tragfähig halten und was ZKF-Präsident Peter Börner aus dem Publikum zum Thema zu sagen hatte, können Sie ausführlich in der Jahresschlussausgabe von SchadenBusiness nachlesen, die am vergangenen Montag gemeinsam mit AUTOHAUS 23/24 erschienen ist. (kt)
Gutachten: Bleibt live live?

Eine spannende und kontrovers geführte Podiumsdiskussion zum Thema "Tele-Gutachten" lieferten sich vor kurzem in Dresden Deutschlands führende Digitalisierungsexperten. Live Expert Geschäftsführer Andreas Schnur verteidigte dabei sein Geschäftsmodell vehement – und auch überzeugend.