"Der ,grüne Kreislauf' – von der Ersatzteilgenerierung bis zur Unfallschadenreparatur!" So war der Vortrag von net.casion Geschäftsführer Michael Kauß und Oliver Hallstein, dem Geschäftsführer der eigens neu gegründeten ClaimParts GmbH, überschrieben. Er zählte auf dem Messekongress Schadenmanagement & Assistance der Versicherungsforen Leipzig zweifelsohne zu den Highlights im Fachforum Mobilität.
Vorab kurz zusammengefasst, sollen künftig in einem völlig neuen, „grünen Kreislauf“ Unfallfahrzeuge mit gebrauchten und wieder aufbereiteten Ersatzteilen instandgesetzt werden. Dieser Ansatz spart Energie, CO2 und Rohstoffe, schont damit die Umwelt und auch die natürlichen Ressourcen. Realisiert wird der Prozess mittels einer digitalen Plattform, die in Echtzeit die Abfrage und Suche nach passenden Gebrauchtteilen erlaubt und es ClaimParts ermöglicht, diese den Werkstätten zur Verfügung zu stellen. Verwendet werden ausschließlich geprüfte und klassifizierte Teile, um eine qualitativ hochwertige Reparatur zu gewährleisten. Auch an der dauerhaften Verfügbarkeit von Ersatzteilen wird hart gearbeitet. Als Lösungsansatz dafür wurde „green.casion“ entwickelt, eine eigene Restwertbörsen-Plattform nur für Verwerter, um diesem Kreislauf permanent „neue“ Ersatzteile zuzuführen.
Bestandteile des "grünen Kreislaufs"
1. Die Versicherung, die aktiv das Thema Nachhaltigkeit vorantreiben möchte
2. green.casion, die neue Plattform, ausschließlich für zertifizierte Verwerter
3. ClaimParts, die Plattform für gebrauchte Kfz-Ersatzteile
Und so funktioniert’s: Die nachhaltige Versicherung startet den grünen Kreislauf und stellt das Kfz in die neue Restwertbörse green.casion ein. Die Verwerter erwerben dort die Kfz in einer Live-Auktion und stellen die daraus gewonnenen Gebrauchtteile wiederum bei ClaimParts ein. So schließt sich für die Versicherung der Kreis durch die kostensparende Reparatur mit Gebrauchtteilen.
Dieser "grüne Kreislauf" im Schadenmanagement, der bei der Ersatzteilgewinnung ansetzt und bis zur Unfallschadenreparatur reicht, macht nach den Worten von Oliver Hallstein und Michael Kauß überhaupt erst nachhaltiges Schadenmanagement und eine nachhaltige Versicherung aus.
Die ersten GT-Versuche 1998 – krachend gescheitert
Der große Unterschied zu den ersten Vorstößen in Richtung Gebrauchtteil-Reparatur, wie sie 1998 durch den damaligen AZT-Geschäftsführer Prof. Dr. Dieter Anselm und den seinerzeitigen Schadenchef Dr. Gerhard Küppersbusch getrieben wurden, besteht darin, dass jetzt von net.casion und der ClaimParts GmbH von Anfang an eine völlig neue Gesamtstruktur aufgebaut wurde, die bereits zum aktuellen Zeitpunkt über 2,5 Mio. direkt verwendbare Ersatzteile verfügt.
Vor 25 Jahren hatte das AZT quasi nur in einen Markt, wie er sich damals als recht heterogen und völlig ungeeignet für die angestrebten Ziele zeigte, "hineingestoben". Das Resultat war entsprechend: 745 Gebrauchtteile wurden für die damaligen GT-Studie bundesweit bestellt, 53 Teile wurden tatsächlich ans AZT nach Ismaning geliefert, brauchbar (nach entsprechender Nachbearbeitung!) waren gerademal noch 24. Der klägliche Rest von 29 weiteren, gelieferten Teilen waren Falschlieferungen oder purer Schrott.
"Der Markt steckt noch in den absoluten Anfängen", lautete in der Ausgabe 1-1999 von AUTOHAUS Karosserie & Lack (heute SchadenBusiness) das Fazit unserer Redaktion. Anselm bemühte sich seinerzeit zwar, von einem 3,5%-Einsparpotenzial bei einer Reparatur mit Gebrauchtteilen zu sprechen, wodurch die Kraftfahrtversicherer immer noch "jährlich eine halbe Milliarde DM an Aufwendungen einsparen" könnten. Doch wegen maximal 3,5% wollte letztlich keine einzige Assekuranz die wagemutige Reise in eine damals völlig unbekannte GT-Reparaturzukunft eingehen. "Kein Stress wegen eines besseren Skonto-Nachlasses", lautete der seinerzeitige Tenor.
GT-Reparatur bereits vor 24 Jahren in Goslar für "gut" befunden
Zwar hatte sich Allianz-Schadenvordenker Küppersbusch im Januar 1999 vorsorglich die Gebrauchtteil-Absolution per Resolution in Goslar abgeholt und den AZT-Verwalter Anselm eine Arbeits- und Checkliste erarbeiten lassen, die zumindest teilweise auch Blaupause für das hätte sein können, was net.casion und ClaimParts nun ein Vierteljahrhundert später perfekt umgesetzt haben. Aber 1998/1999 war dafür schlicht der Markt in keinster Weise geeignet. Auch hatten größere Nutzereinheiten aus der Assekuranz seinerzeit kein wirkliches Interesse, sich nachhaltig zu engagieren.
Überdies waren die digitalen Möglichkeiten und Künstliche Intelligenz (KI), wie von net.casion und ClaimParts heute als entscheidende Parameter angewendet und genutzt, überhaupt nicht vorhanden – das muss man fairerweise zur Ehrenrettung der frühen GT-Pioniere der Allianz an dieser Stelle mit festhalten! Außerdem steckten selbst Restwertbörsen noch in den Kinderschuhen: 1998 standen gerademal zwei Unternehmen am Start, die weiteren drei im Markt aktiven RW-Börsen folgten erst 2003 bzw. 2005.
Punktlandung für net.casion und ClaimParts
Nach mehrjähriger, stringenter Vorbereitung eines Marktes, der durch die Multikrise unserer aktuellen Zeit – hohe Inflation, Energie- und Transportkosten, oft mangelhafte Verfügbarkeit von Ersatzteilen, NW und selbst Gebrauchten, permanente Preissteigerungen bei Unfall-Ersatzteilen etc. etc. – mehr denn je auf Angebote, wie sie jetzt net.casion und ClaimParts anbieten, gewartet hat, scheint nunmehr die richtige Zeit gekommen. Nach dreijähriger Projekt-Vorbereitung ist der "grüne Kreislauf" im Schadenmanagement offensichtlich zu einer Zielpunkt-Landung geworden, wie sie angesichts der erwähnten Problemstellungen und der Forderungen nach einem "neuen" Umgang mit Rohstoffen und Klima zeitlich nicht besser hätte passen können.
Seit dem Allianz-Autotag 2022 fordert der Münchner Versicherungsriese bereits proaktiv die "grüne, nachhaltige Reparatur" ein und hat damit ohnehin nicht nur den Zeitgeist aus der Flasche geholt, sondern eindeutig die Stoßrichung für die deutsche Kfz-Assekuranzwirtschaft vorgegeben (wir berichteten). Im Gegensatz zur Zeit vor 25 Jahren geht es den heutigen Allianz-Frontleuten – das sind vor allem Schadenvorständin Dr. Lucie Bakker, Vorstandschef Dr. Frank Sommerfeld und AZT-Geschäftsführer Dr. Christoph Lauterwasser – allerdings heute auch viel entscheidender um die gerade erwähnte Umwelt- und Ressourcenschonung, also den präventiven Schutz vor den Klimafolgen.
"Wirtschaftlicher als der ,normale‘ Restwert"
ClaimParts-Geschäftsführer Oliver Hallstein sprach in Leipzig von einer 75%-Einsparung bei CO2 durch die Verwendung von Gebrauchtteilen. Die Kostenersparnis für die Versicherung durch die Reparatur mit Gebrauchtteilen betrachtete er sogar "wirtschaftlicher als den ,normalen‘ Restwert". Nur eine reine Instandsetzung beispielsweise eines Karosserie-Außenhautteils mittels Ausbeulen sei mit ca. 83 bis 85% CO2-Einsparung heute noch effektiver als der GT-Einsatz.
Neuteil-Einsatz wird möglicherweise stark zurückgehen
Hallstein‘s Credo: "Wir sind überzeugt, dass in Zukunft der Mix einer Reparatur darin besteht, dass so viele Teile als möglich instandzusetzen sind und so viel als möglich und nötig an Gebrauchtteilen zur Verfügung steht und nurmehr ein minimaler Anteil von Neuteilen verwendet wird." In anderen Ländern wie Frankreich, England oder auch Schweden funktioniere das längst und sei die Reparatur mit Gebrauchtteilen "bereits erfolgreich umgesetzt und fest im Schadenprozess mit integriert".
Suchabfrage und Bestellung in Echtzeit
Insofern habe man "das Rad nicht neu erfunden", aber eben ein in sich sinnvolles Gesamtkonzept geschaffen: So könne man heute mittels einer digitalen Plattform mit Echtzeit-Schnittstelle Kalkulationen auf ET-Ebene auslesen und – ebenfalls in Echtzeit – die tatsächlich verfügbaren ET bei den international angeschlossenen Verwertern – allesamt zertifizierte Demontagebetriebe und Verwerter – abfragen. Aufgrund des derzeit noch überschaubaren Bestandes von gut 2,5 Mio. gebrauchten Ersatzteilen sei die Realtime-Abfrage wichtig. Sie liefere ein stets aktuelles Ergebnis mit mehreren 3D-Fotos und einer Qualitäts-Klassifizierung zum Teilezustand. Auf dieser Basis könne dann von beispielsweise Versicherungen und Werkstätten entschieden werden, ob das Teil direkt bestellt wird oder nicht. Die digitale Plattform mit Echtzeitschnittstelle ist bereits kompatibel mit den Kalkulationssystemen von Audatex und DAT. Weitere Kalkulationsanbieter sollen folgen.
Teileprüfung vor Zerlegung und Ausbau
Geprüft und klassifiziert bedeutet laut Oliver Hallstein, "dass der Verwerter vor der Demontage vor allem alle Karosserie- und -Anbauteile in Augenschein nimmt und bewertet. Sämtliche später in den grünen Kreislauf eingebrachten Teile werden zuvor auf Vor- bzw. Altschäden überprüft, alles dokumentiert und fünffach fotografiert". Auch elektronische Bauteile werden vorab auf Funktion geprüft. Teile wie etwa Scheibenwischer-Motor, Scheinwerfer und Rückleuchten werden vor Ausbau zusätzlich geprüft, ob sie funktionsfähig sind. "Alle dahinterliegenden Komponenten wie Steuergeräte und was es sonst noch gibt, werden über die OBD-Diagnose gecheckt, ob z.B. Fehler vorhanden sind. Danach erst werden sie demontiert und entsprechend dokumentiert."
Qualitätseinstufung gemäß VDI-Richtlinie 4080
Die Teile-Klassifizierung erfolgt anhand dreier Kategorien A, B und C, angelehnt an die VDI-Richtlinie 4080 ("Qualität von Kfz-Gebrauchtteilen"). Alle im grünen Kreislauf beteiligten Demontagebetriebe und Verwerter sind laut Hallstein und Kauß zertifiziert. "Das ist unsere Minimal-Anforderung, wobei wir auch bereits Betriebe dabei haben, die zusätzlich durch die Automobilhersteller zertifiziert, also noch eine Stufe weiter sind."
Garantie und erweiterte Gewährleistung
Neben dem Kostenvorteil bietet ClaimParts "OE-Teile zu unseren Preisen in OE-Qualität an, nur eben geprüft und gebraucht". 12 Monate Garantie gibt es bei ClaimParts bereits "standardmäßig" auf gebrauchte Teile. Um dem Markt allerdings "zu zeigen, wie wichtig uns das Thema ist und welche Qualität wir verkaufen, geben wir eine freiwillige Gewährleistungserweiterung um weitere 12 Monate. Wir bieten also 24 Monate inklusive an", so Oliver Hallstein in Leipzig. Vorzugsweise beziehe man sich bei der Gewährleistungsausweitung "auf Karosserie-Anbauteile und alles, was dazu gehört wie Beleuchtungseinheiten, Scheinwerfer, aber nicht auf irgendeinen Kondensator oder eine Lichtmaschine".
CO2-Einsparung künftig ausgewiesen
Erste Pilottests mit Versicherern und auch Werkstätten im vergangenen Jahr seien durchweg positiv verlaufen, weshalb man sich letztlich entschieden habe, aus dem ursprünglichen Produkt Claimparts eine eigenständige, neue Firma zu erschaffen, die das gesamte Management händelt. Schließlich wolle man bereits im nächsten Realise die CO2-Einsparung für die einzelnen Ersatzteile und auch die gesamte Kalkulation spezifisch ausweisen.
Exakter Lackcode und kurze Transportwege
Auch der Lackcode soll bereits im 3. Quartal des laufenden Jahres mit hinterlegten Regelwerken und Künstlicher Intelligenz zielsicher ausgelesen werden, sodass automatisch "die zutreffendsten und besten Teile erkannt werden". Das Idealbild: Im Außenhautbereich kommt es zu einer 1:1 Reparatur mit Teilen des exakt gleichen Lackcodes. Und damit diese auch unbeschädigt mit geringstmöglichem CO2-Abdruck in einer Karosseriewerkstatt ankommen, sollen selbst die Transportwege berücksichtigt und optimiert werden. "Unsere Parameter laufen von regional über national zu international. Wir achten darauf, wo das Teil herkommt und welche Werkstatt es braucht. Ziel sind möglichst kurze Transportwege. Außerdem versuchen wir, möglichst viele Ersatzteile vom gleichen Verwerter in einer Sendung zu erhalten, um auch damit Transportwege einzusparen", so Hallstein und Kauß.
2,5 Mio. Ersatzteile sind schnell weg...
Bewußt ist ihnen nach eigenem Bekunden zudem, dass angesichts der bereits hohen Akzeptanz und des breiten Zuspruchs von Assekuranz- und Werkstättenseite sowie weiteren Dienstleistern "auch 2,5 Millionen Ersatzteile schnell weg sein" können, weshalb man sich im Vorfeld viele Gedanken über einen schnellen, weiteren Aufbau auf mindestens 5 Mio. GT und eine Langfrist-Gebrauchtteile-Verfügbarkeit "von auch jüngeren Fahrzeugen jeden Alters" gemacht habe. Die Lösung für diese diffiziele Aufgabenstellung heiße "green.casion" und ist eine neue Restwertbörse, die eigens für den "grünen Kreislauf" geschaffen wurde und in der ausschließlich Verwerter bieten.
Ständiger Teilezufluss durch neue RW-Börse green.casion
green.casion stellt nach den Worten von Michael Kauß und Oliver Hallstein das "notwendige Bindeglied" zwischen nachhaltig denkenden Versicherungen und ClaimParts mit seinem aktuellen Teilebestand von mehr als 2,5 Mio. dar. "Wenn wir grün reparieren wollen, brauchen wir einen permanenten Nachschub von ständig mehreren 100.000 Gebrauchtteilen. Dafür bieten wir green.casion als eigenen Strang bei der net.casion mit an. Hier kann dann die Versicherung den grünen Restwert zu verfügbaren, geeigneten Fahrzeugen nutzen und damit den Kreislauf bedienen. Das heißt, es läuft nach den bekannten Prozessen der vorweg durchgeführten Totalschaden-Vollentschädigung ab. Das Fahrzeug sollte dann in die Verwerterbörse gepackt werden, wo die zertifizierten Verwerter das Fahrzeug zerlegen und die verwertbaren GT bei ClaimParts einstellen über die geschaffenen Schnittstellen oder ein Onlinetool."
"Wirtschaftlich mehr als ausgleichend"
Die spätere Verwendung der über green.casion auf Verwerter-Ebene gewonnenen Ersatzteile wirkt sich wirtschaftlich mehr als ausgleichend aus und sorgt zudem bei den Verwertern nicht nur für einen kontinuierlichen ET-Zufluss, sondern auch für einen höchstmögliche Teileverfügbarkeit, sind Hallstein und Kauß überzeugt.
Mit diesem grünen, nachhaltigen Schadenmanagement ließe sich somit nicht nur das Klima aktiv schützen, sondern auch der weiteren Ersatzteil-Preisexplosion und der oftmals schwierigen Verfügbarkeit auch schon von Neuteilen mit damit einhergehenden höheren Lieferzeiten und Ausfallkosten entscheidend begegnen, fassten die Referenten abschließend nochmals zusammen. (kaf/wkp)