Die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, hat die Klimapolitik der Bundesregierung als überhastet und unrealistisch kritisiert. "Ich kritisiere ausdrücklich das Klimaschutzgesetz, das heute im Kabinett ist", sagte Müller am Mittwoch auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel in München und bezweifelte, dass die Koalition die Konsequenzen für den Industriestandort und die Beschäftigung in der Eile richtig abgeschätzt habe.
Die Elektromobilität laufe gerade hoch. Aber "es wird immer dann schwierig, wenn die Politik ständig Rahmenbedingungen verändert", sagte Müller. Dass sich exakte CO2-Werte für zehn oder 15 Jahre im Voraus planen ließen, "ist eine Illusion, die dort aufgebaut wird". Die Fehler bei der Energiewende sollten jetzt nicht bei der Verkehrswende fortgeführt werden. Die Politik gebe nicht nur Ziele, sondern leider auch die Wege dahin vor, obwohl Ladesäulen und CO2-freier Strom fehlten. "Ich glaube, dass der Atomausstieg damals überhastet war", sagte Müller.
Der Aufsichtsratschef des Autozulieferers Continental und des Industriegase-Weltmarktführers Linde, Wolfgang Reitzle, erklärte Atomenergie beim Klimaschutz für unverzichtbar. Eine "völlig verkorkste Energiewende" habe den Strom in Deutschland schmutziger gemacht. Ein E-Auto habe mit dem heutigen Strommix ähnliche CO2-Werte wie ein Dieselauto. "Es wird eine Technologie mit Gewalt in den Markt gedrückt, obwohl sie gar keinen Klimavorteil hat." Wer nicht nur den Verkehr, sondern auch die Industrie und alle Heizungen CO2-frei elektrifizieren wolle, komme "um eine neue Art der Kernenergie nicht herum". Wind- und Sonnenenergie allein reichten dafür nicht.
Das Kabinett hatte am Mittwoch das neu aufgelegte Klimaschutzgesetz beschlossen. Sein Kern: Deutschland wird bis 2045 klimaneutral und bekommt bis dahin verbindliche Emissionsziele für die 20er und 30er Jahre. Bislang hatte die Bundesregierung bis 2050 angestrebt, nur noch so viele Treibhausgase auszustoßen, wie wieder gebunden werden können.
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer verspricht sich von der Neufassung einen zusätzlichen "Schub für moderne Mobilität". Es sei auch "generationengerecht", sagte der CSU-Politiker in Berlin. Er betonte, dass es zum Erreichen des Ziels der Klimaneutralität bis 2045 zusätzlicher Maßnahmen bedürfe.
Das sind die verbindlichen Zwischenziele
Das Zwischenziel für 2030 wird von derzeit 55 auf 65 Prozent Treibhausgasminderung gegenüber 1990 erhöht. Für 2040 gilt ein neues Zwischenziel von 88 Prozent Minderung. Die Klimaschutzanstrengungen sollen so bis 2045 fairer zwischen den jetzigen und künftigen Generationen verteilt werden. Dazu hatte das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung Ende April mit einem Urteil verpflichtet.
Darüber hinaus will die Regierung in den kommenden Wochen ein Sofortprogramm mit ersten Maßnahmen zur Umsetzung der Klimaziele auf den Weg bringen. Das geht aus einem begleitenden Beschluss des Bundeskabinetts hervor. Darin vorgesehen ist unter anderem auch, dass Vermieter künftig die Hälfte der Kosten für den seit 1. Januar geltenden CO2-Preis auf Öl und Gas tragen sollen.
Der Gesetzentwurf enthält auch neue Jahresemissionsmengen für die Jahre 2023 bis 2030 in den einzelnen Wirtschaftssektoren wie Verkehr oder Industrie. Den Löwenanteil der zusätzlichen Minderung bis 2030 werden dem neuen Gesetz zufolge die Energiewirtschaft und die Industrie übernehmen. Über die Sektorziele hinaus gibt das Gesetz einen Fahrplan für die Reduktion von Treibhausgasen im Zeitraum zwischen 2031 und 2040 vor.
Nötig war die Gesetzesanpassung geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber vor knapp zwei Wochen mit einem wegweisenden Urteil aufgetragen hatte, bis Ende 2022 die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 näher zu regeln. (dpa)