Beim Abschluss eines Vertrags zur gescheiterten Pkw-Maut hat Verkehrsminister Andreas Scheuer nach Ansicht der Grünen gegen das Grundgesetz verstoßen. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten zweier Rechtsexperten der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität, das die Bundestagsfraktion der Grünen in Auftrag gegeben hatte. Demnach hätte der CSU-Politiker die gesetzliche Erlaubnis des Bundestags gebraucht, um den Vertrag zur Erhebung der Pkw-Maut mit seinen Regelungen zum Schadenersatz für die geplanten Betreiber abzuschließen. Denn das Parlament hat das Sagen über den Haushalt.
Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer forderte am Freitag Scheuers Rücktritt: Dieser sei "als Minister untragbar". Das Gutachten werde nun in der Fraktion bewertet – man prüfe, den Fall vors Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu bringen, und arbeite weiter daran, "dass es einen Untersuchungsausschuss gibt". Auch FDP und Linke hatten Scheuer mit einem Untersuchungsausschuss gedroht. Scheuer hat bereits die Maut-Verträge und viele weitere Dokumente veröffentlicht und "vollständige Transparenz" zugesagt.
Eine Reaktion des Verkehrsministeriums auf die Vorwürfe stand am Freitagnachmittag noch aus.
In dem Gutachten der beiden Professoren Ulrich Hufeld und Florian Wagner-von Papp heißt es, Scheuers Ministerium habe mit dem Vertrag zur Erhebung der Pkw-Maut vom 30. Dezember 2018 "ein Risiko ohne haushaltsrechtliche Deckung übernommen". Garantieversprechen des Bundes – in diesem Fall gegenüber den geplanten Betreibern der Pkw-Maut – bedürften aber einer gesetzlichen Ermächtigung, über die der Bundestag zu entscheiden habe. Die Schlussfolgerung: "Das Handeln der Bundesregierung im Dezember 2018 war daher eine unerlaubte Risikoübernahme und verletzte das Grundgesetz."
Muss der Bund dreistelligen Millionenbetrag zahlen?
Scheuer hatte die Verträge zur Kontrolle und zur Erhebung des CSU-Prestigeprojekts Pkw-Maut unterzeichnen lassen, bevor das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vorlag. Im Juni kippte das EU-Gericht die Maut, Scheuer ließ die Verträge umgehend kündigen. Den eigentlich geplanten Betreibern Kapsch und CTS Eventim könnte deswegen Schadenersatz zustehen – die Rede ist oft von einem dreistelligen Millionenbetrag, allerdings liegen noch keine Forderungen vor. Die Kündigung wird am 30. September wirksam.
Der Wirtschaftsrechtler Wagner-von Papp erklärte, der Vertrag zur Maut-Kontrolle enthalte erwartbare Entschädigungsregelungen für den Fall einer Kündigung aus EU-rechtlichen Gründen. Die Entschädigungsklausel im Vertrag zur Maut-Erhebung setze dagegen den "Brutto-Unternehmenswert" als Schadenersatz an. Es werde also die gesamte Vergütung und der gesamte Gewinn über die reguläre Laufzeit von zwölf Jahren fällig. Der Bund habe "das gesamte Risiko" einer Kündigung aus ordnungspolitischen Gründen, zu denen das EU-Urteil zählt, "einseitig und vollständig" übernommen.
Es sei "kaum nachvollziehbar", dass der Bund sich auf dieses "Garantieversprechen" eingelassen habe, so Wagner-von Papp weiter. Die Wahrscheinlichkeit, dass der EuGH die Maut als diskriminierend und damit europarechtswidrig einstufen würde, sei "relativ hoch" gewesen. So kam es am 18. Juni dann auch. Nach Scheuers Darstellung hat der Bund die Verträge zwar auch aufgrund des Urteils gekündigt – es habe aber weitere Gründe gegeben, darunter schlechte Leistungen der Vertragspartner.
Im Haushaltsrecht gebe es einen "Fundamentalsatz", und zwar: "Der Haushalt des Bundes gehört dem Bundestag", sagte Hufeld, der Professor für Öffentliches Recht ist. Für politisch gewollte Risiken und ungewisse Ausgaben brauche es nach Artikel 115 des Grundgesetzes eine gesetzliche Ermächtigung des Parlaments. "Die fehlt." (dpa)
Christoph Nolte