Von Michael Gebhardt/SP-X
Seit einigen Jahren schon lockt die größte Elektronikmesse der Welt, die Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas, auch Autobauer in die Glücksspielstadt. Kein Wunder, geht es im Fahrzeugbau doch schon lange nicht mehr nur um Antrieb und Fahrwerk, sondern immer mehr um Infotainment und Digitalisierung – und es gibt kaum einen Hersteller, der nicht schon einmal vom Smartphone auf Rädern gesprochen hat. Besonders stark auf Kuschelkurs mit der Unterhaltungs-Branche geht schon seit geraumer Zeit Mercedes.
So kündigt Ola Källenius eine Kooperation mit den Machern des Kino-Kassenschlagers "Avatar" an. Die Nachricht über diese Zusammenarbeit wäre freilich nur halb so spannend, hätte Källenius nicht gleich auch den verantwortlichen Filmemacher James Cameron mitgebracht – und eine Fahrzeugstudie, die das Avatar-Thema aufgreift und einen Ausblick auf eine allerdings noch recht ferne Zeit gibt.
Allerdings geht es beim Vision AVTR – die Abkürzung ist nicht nur eine Anlehnung an den Filmtitel, sondern steht zugleich auch für "Advanced Vehicle Transformation" – weniger um ein Fortbewegungsmittel, mit dem die Na’vi zukünftig durch Pandora reisen sollen. Vielmehr hat sich Daimler zwei der Kernthemen des Films zu Herzen genommen: das Verhältnis der Menschen zu ihrer Umwelt und der Naturkreislauf. Källenius betonte hier die Bemühungen seines Konzerns, um spätestens nach drei Fahrzeuggenerationen eine CO2-neutrale Neuwagenflotte anzubieten. Dabei spielt die Elektrifizierung eine große Rolle, aber auch der nachhaltige Umgang mit Materialien: Der Einsatz von Rohstoffen soll reduziert werden. Und wo keine Einsparungen möglich sind, will Daimler stärker auf Recyling-Stoffe setzen oder auf eine Weiternutzung. Autobatterien, die als stationärer Stromspeicher dienen, sind nur ein Beispiel.
Daimler auf der CES 2020 in Las Vegas
BildergalerieAnders als bisherige E-Autos fährt der Vision AVTR allerdings gar nicht erst mit einem herkömmlichen Akku vor, sondern setzt als erstes Auto auf organische Batterietechnologie. Der Stromspeicher braucht also weder Lithium noch seltene Erden, sondern basiert auf Graphenbasis organischer Zellchemie. Der Öko-Akku ist nicht nur komplett recyclebar, sondern erreicht mit 1.200 Wh/Liter auch eine sehr hohe Energiedichte und baut zudem ziemlich flach. Die 110 kWh Energie sollen für 700 Kilometer reichen, das Laden dauert nur 15 Minuten. Einziger Wermutstropfen: Bis organische Batterien serienreif sind, werden noch gut ein bis zwei Jahrzehnte vergehen.
Der Rest der autonom fahrenden Studie ist weniger konkret auf Nachhaltigkeit ausgelegt, sondern zeigt eher, wie sich die Technik von Morgen an der Natur orientieren könnte - in diesem Fall an der virtuellen Pandora-Welt. Die geschwungenen Formen, die ausgeklügelten Lichtspiele, Räder, die den Wagen auch seitwärts bewegen können und die verstellbaren Kacheln am Heck dürften Avatar-Fans in Schwärmen bringen; weniger cineastisch Bewanderte denken bei den beiden ausladenden Sitzen mit Bezügen aus alten PET-Flaschen vielleicht eher an Porzellan-Suppenlöffel aus dem China-Restaurant. Um die Natur ins Auto zu holen, setzt Mercedes auf eine riesige Projektionsfläche dort, wo früher Armaturenbrett und Kombiinstrument waren. Eine witzige Spielerei ist die Gestensteuerung: Im Vision AVTR kann man aus der Lümmelposition heraus die Hand heben und bekommt diverse Auswahltasten direkt in die Handfläche projiziert. Sprichwörtlich im Handumdrehen lässt sich die jeweilige Funktion dann aktivieren.
Bediener soll mit Fahrzeug verschmelzen
Die Technik ist spannend, aber für sich allein noch nicht revolutionär. Ihre Besonderheit erlangt die Studie durch das Zusammenspiel verschiedener Faktoren: sauberer Antrieb, nachhaltige Materialien, Verzicht auf Leder und andere tierische Produkte und vor allem eine komplett neuen Form der Interaktion zwischen Auto und Fahrer. War der Lenker bislang ein Bediener, der Schalter und Tasten drücken musste, soll er künftig mit dem Auto eher verschmelzen. Der Wagen registriert zum Beispiel den Herzschlag der Insassen und lässt diese durch ein Vibrieren im Sitz ihren eigenen Puls spüren. Und als Überbleibsel eines Schalthebels erhebt sich ein Teil der Mittelkonsole, wenn der Fahrer die Hand darauf legt und schmiegt sich quasi der Handfläche an. Mit dem verschiebbaren Bedienteil lässt sich der Vision AVTR dann wie mit einem extravaganten Joystick steuern.
Wie die Avatar-Kooperation weiter geht, hat Mercedes noch nicht verraten, dass in einem der beiden bereits angekündigten Film-Teile Daimler eine Rolle spielt, ist allerdings nicht auszuschließen. Schließlich outete sich James Cameron bei der Präsentation als großer Auto- und noch größerer Technik-Fan.