Dass eine neue Modellgeneration in vielen Punkten besser ist als ihre Vorgängergeneration, dürfte in der Autobranche als selbstverständlich gelten. Immerhin liegen rund sieben Jahre technischer Fortschritt zwischen den jeweiligen Modellen. Eine Ausnahme macht allerdings die Mercedes C-Klasse, intern W 206 genannt. Sie vollzieht einen derart großen Entwicklungssprung, wie er selbst im Hause Daimler nicht an der Tagesordnung ist.
Eine Revolution unterm Blech. Im Segment der Mittelklasse wird die neue C-Klasse Maßstäbe setzen. Und zwar in nahezu allen Disziplinen. Es ist nicht vermessen, sie als "kleine S-Klasse" zu bezeichnen. Ende Juni kommen Limousine und T-Modell zu den Händlern, zu Preisen ab 41.138,30 Euro.
Eher evolutionär weiterentwickelt wurde das Design. Es wirkt ruhiger und reduzierter. Die neue C-Klasse steht besser proportioniert auf den Rädern. Ein Grund sind der kürzere vordere Überhang, der längere Radstand und die leicht nach hinten verlagerte Fahrgastzelle. Optisch liegt die Kraft so mehr auf der Hinterachse. Passanten würden vermutlich dennoch nicht registrieren, dass an ihnen gerade die neue C-Klasse vorbeigefahren ist.
Kleine Nachhilfe: An der Flanke fehlt der im Bogen nach unten abfallende Falz in den Türen, die sogenannte "Dropping-Line". Und am Heck zieren den W 206 erstmals geteilte Rückleuchten. Eine Hälfte befindet sich jeweils auf dem Kofferraumdeckel.
Der große Wow-Effekt
Der große Wow-Effekt kommt, sobald man hinter dem Lenkrad Platz genommen hat. Hochwertige Materialien, luxuriöses Ambiente und ein Gefühl wie in der S-Klasse, woran in erster Linie der ähnlich große Zentralbildschirm schuld ist. Darstellungen und Auflösung sind brillant, die Menüführung ist klar und intuitiv, nie war es einfacher, mit neuer Technik so schnell zurecht zu kommen.
Mit der S-Klasse teilt sich die C-Klasse auch das lernfähige MBUX-Bediensystem (2. Generation). Fast alles lässt sich über Sprache steuern. Stereotypische Befehle sind nicht nötig. Man startet die Unterhaltung lediglich mit "Hey Mercedes" und äußerst seine Wünsche.
So konsequent die C-Klasse in der Bedienung und im Cockpit digitalisiert wurde, so zielgerichtet setzten die Ingenieure auf die Elektrifizierung der Antriebe. Es gibt keinen konventionellen Benziner und Diesel mehr. Beide Vierzylinder – Sechszylinder gibt es nicht mehr – sind in allen Leistungsstufen 48-Volt-Mildhybride der neuesten Generation. Im Unterschied zu Konkurrenz verwendet Mercedes einen sogenannten integrierten Startergenerator (ISG) und keinen riemengetriebenen (RSG) und kann so den Motor fast unmerklich starten, zum Beispiel nach dem "Segeln".
Zudem erhält der Leerlauf eine unvergleichliche Laufruhe. Der ISG besitzt eine Boost-Leistung von 15 kW / 20 PS und unterstützt mit 200 Newtonmeter Drehmoment. Durchgehend alle Motoren sind serienmäßig mit dem 9G-Tronic-Automatikgetriebe kombiniert. Manuelles Schalten gehört in der C-Klasse der Vergangenheit an.
Vorab-Test: Mercedes C-Klasse (2021)
BildergalerieWie gut die neue Hybridisierung funktioniert, zeigt eindrucksvoll der C 300 d. Mag der eine oder andere vielleicht die Laufkultur eines früheren Dreiliter-Sechszylinder-Dieselmotors vermissen, der jetzt eingesetzte Zweiliter-Vierzylinder erledigt seine Aufgabe mindestens ebenso souverän. Leistung und Drehmoment liegen auf nahezu gleichem Niveau vom Sechszylinder. Das Turboloch deckt komplett der ISG ab, und schon aus niedrigen Drehzahlen zieht der Selbstzünder kräftig los – und dies bis zu einem Spitzentempo von 250 km/h.
Schon bald nach Marktstart will Mercedes die Plug-in-Hybrid-Variante nachreichen. Auch hier gibt es im Vergleich zum Vorgänger einen Riesensprung. Die Ingenieure steigerten die elektrische Reichweite auf über 100 Kilometer und machen die C-Klasse gefühlt fast zum reinen Elektroauto. Das Antriebspaket umfasst einen Zweiliter-Vierzylinder mit 150 kW / 204 PS und eine E-Maschine mit 95 kW / 122 PS. Im Verbund leisten beide 230 kW / 312 PS und erreichen ein maximales Drehmoment von 550 Newtonmeter – exakt so viel wie der C 300 Diesel.
Seinen Premium-Anstrich bekommt der Teilstromer C 300 e auch bei der Ladetechnik. Gewöhnlich sind Plug-in-Hybride nicht mit Gleichstrom zu laden. Mercedes spendierte dem Modell einen 55-kW-DC-Lader. Die Batterie kann so in rund 30 Minuten wieder vollständig aufgeladen werden. Den Plug-in-Antrieb gibt es für Limousine und Kombi (T-Modell).
Höchster Komfort, gute Agilität
Viel Beachtung wurde dem Fahrwerk geschenkt. Auf der Agenda standen höchster Komfort, bei gleichzeitig guter Agilität. Beides merkt man bereits auf den ersten Kilometern. Die neue C-Klasse lässt sich unglaublich handlich bewegen, von draußen dringen so gut wie keine Geräusche in den Innenraum, das Federungsverhalten ist exzellent. Erstmals gibt es sogar eine Hinterachslenkung, die zum einen die Handlichkeit verbessert und fürs Rangieren den Wendekreis um fast einen halben Meter reduziert. In engen Parkhäusern ist das eine Wohltat.
Beim Thema Fahrassistenzsysteme genießt Mercedes seit Langem den Ruf, die Spitzenposition in der gesamten Autobranche einzunehmen. Und wer mit der neuen C-Klasse unterwegs ist, wird auch schnell registrieren, warum. Alles ist perfekt durchdacht. Die aktivierten Systeme reagieren so präzise und intelligent, man selbst würde es nicht besser hinbekommen – zumindest nicht auf Dauer.
Gegenüber der Vorgängergeneration gibt es eine Reihe weiterentwickelter Funktionen. Der Aktive Abstands-Assistent kann jetzt auf allen Straßentypen eingesetzt werden, also auch in der Stadt. Die Bremsreaktion auf stehende Fahrzeuge wurde von 60 auf 100 km/h erhöht. Der Verkehrszeichen-Assistent erkennt neben den normalen Temposchildern am Straßenrand jetzt auch Schilderbrücken und Baustellenbeschilderungen. Selbst temporäre Schilder, wie zum Beispiel "80 bei Nässe" interpretiert das System korrekt. Das ganze Paket an Assistenzfunktionen lässt die C-Klasse zu einem bislang unvergleichlich entspannten Reisebegleiter werden. Sicherer war man in einem Auto dieser Klasse nie unterwegs.
Schauinsland