Von Michael Specht/SP-X
Beim Blick aufs Display glaubt man anfangs seinen Augen nicht zu trauen. 335 Kilometer Reichweite zeigt das Instrument im Opel Ampera-e an. Und dies ist kein geschönter Laborwert, sondern reales Leben, wie Opel betont. "Nach Norm schafft der Ampera-e sogar 500 Kilometer", sagt Projektleiter Ralf Hannappel, und drückt das Gas-, sorry, das Fahrpedal runter. Der Ampera-e zischt los wie ein Sportwagen, nur eben viel leiser.
In der Reichweite übertrifft der Rüsselsheimer die Konkurrenz zwar um Längen, zurückzuführen ist dies jedoch auf einen simplen Grund: Tief im Wagenboden sitzt eine riesige Batterie, 429 Kilogramm schwer. Ihre Kapazität beträgt mächtige 60 kWh. Zum Vergleich: Der e-Golf und der BMW i3, beiden schaffen nach Norm 300 Kilometer, haben nur etwas mehr als die Hälfte an Akkuleistung an Bord.
Opel will mit seinem Langstrecken-Stromer dem Elektroauto zumindest in den Kernländern Europas zum Durchbruch verhelfen. Ob dies gelingt, entscheidet letztlich der Kunde. Doch die Voraussetzungen, die der Ampera-e mitbringt, sind vielversprechend. Seine hohe Reichweite, die achtjährige Batterie-Garantie, das üppige Platzangebot (auch auf den Rücksitzen) und der vergleichsweise große Kofferraum (381 Liter) machen ihn selbst für Familien zum Alleinfahrzeug.
Eine Hürde dürfte nach wie vor nur der Preis sein. Auch Opel-Ingenieure können eben nicht zaubern, selbst wenn ihr 4,17 Meter langer Kompaktwagen eine Gemeinschaftsentwicklung mit dem Chevrolet Bolt ist, den die Konzernmutter General Motor in Amerika verkauft. Unter 35.000 Euro wird der Ampera-e nicht im Schaufenster stehen, wenn er im Juni nächsten Jahres in den Handel geht. Damit liegt er preislich auf dem Niveau eines BMW i3 und VW e-Golf.
"One Pedal Driving"
Während einer ersten Mitfahrt in Vorserienmodellen erklärt uns Chefentwickler Hannappel die Besonderheiten des Ampera-e. Ist beispielsweise die Außentemperatur niedrig, schaltet sich automatisch die Sitzheizung (es gibt sogar eine für die Rücksitze) ein, sobald man den Wagen öffnet. Dies soll den Fahrer davon abhalten, übereifrig die normale Heizung zu aktivieren, da sie ein Vielfaches an Strom verbraucht. Ebenso wird der Opel über eine effiziente Lenkradheizung verfügen (BMW-i3-Besitzer können davon nur träumen). Ein weiteres Feature ist das sogenannte "One Pedal Driving". Wie alle Elektroautos, so rekuperiert und verzögert auch der Ampera-e, sobald man vom Gas geht, erzeugt dadurch Strom für die Batterie.
Über den Schalthebel auf der Mittelkonsole lässt sich die Stärke der Verzögerung beeinflussen: D ist die Normalstellung, L bremst stärker ab. Zusätzlich hat der Ampera-e noch eine kleine Wippe links hinterm Lenkrad. Wird diese gedrückt, bremst der Elektromotor den Wagen noch stärker ab. Mit ein bisschen Übung und Gewöhnung schafft man es, punktgenau vor der roten Ampel oder dem Vordermann zum Stehen zu kommen, ohne auch nur einmal die Fußbremse berührt zu haben. Das schont die Bremsbeläge, lässt die Felgen nicht schmutzig aussehen und reduziert die Kosten beim nächsten Werkstatt-Service.
Kick beim Überholen
Mit 204 PS und 360 Newtonmeter Drehmoment steht der Ampera-e gut im Futter. Er übertrifft damit seine Konkurrenten deutlich. Nach nur 3,2 Sekunden ist Tempo 50 erreicht. Den wahren Kick erlebt man beim Überholen. Wie an einem großen Gummiband gezogen vergehen gerade einmal 4,5 Sekunden für den Zwischensprint von 80 auf 120 km/h. Die Höchstgeschwindigkeit hat Opel jedoch auf 150 km/h begrenzt, weil sonst die Reichweite arg in die Knie gehen würde.
Im Cockpit dominiert der riesige 10,2-Zoll-Touchscreen. Die Bedienung erfolgt so intuitiv wie beim Handy. Selbstverständlich sind der Online- und Servicedienst „Opel OnStar“ und ein WLAN-Hotspot an Bord. Zudem lässt sich das Smartphone über Apple CarPlay oder Android kinderleicht mit dem Infotainment verbinden.
Insgesamt hinterlässt der Ampera-e einen professionell gemachten Eindruck. Fahrkomfort und Platzangebot gehen in Ordnung, Fahrleistungen und Reichweite sind überragend. Neudeutsch würde man sagen: Das Package stimmt. Beim Design hätte Opel allerdings etwas mutiger sein können, den Ampera-e unmissverständlich als E-Auto erkennbar machen sollen. So bleibt er eine stilistische Mischung aus Corsa und Meriva, und man muss zweimal hinschauen, was für ein Auto da gerade um die Ecke biegt. Auch dem Innenraum könnte ein wenig mehr Pepp nicht schaden. Wozu braucht ein Elektroauto noch einen Ganghebel zwischen den Sitzen? Irgendwie Platzverschwendung. Der BMW i3 ist hier deutlich progressiver konzipiert. Projektleiter Ralf Hannappel schmunzelt beim Aussteigen aus dem Ampera-e: "Es muss ja noch Raum für Verbesserungen geben."
Hans Hase