Von Benjamin Bessinger/SP-X
Es liegt ein Dröhnen in der Luft über dem Utah Motorsport Campus eine Stunde westlich von Salt Lake City. Den Lärm sind sie hier gewöhnt. Schließlich hat Ford auf dem Rundkurs seine erste und einzige Rennfahrerschule in den USA. Doch heute ist die Tonlage eine andere und über das V8-Brüllen der unzähligen Mustangs legt sich der wütende Sound eines rasenden Sechszylinders, der heißer und verlockender ist, als alles, was man hier je gehört hat. Kein Wunder. Schließlich holt er aus nur 3,5 Litern Hubraum irrwitzige 482 kW / 656 PS.
Der Motor steckt – hübsch angerichtet unter Glas – im Heck des neuen Ford GT, mit dem sich die sonst auf Massen-Modelle und Muscle-Cars spezialisierten Amerikaner wie vor etwas mehr als 50 Jahren mit dem Original noch einmal in die Liga der Supersportwagen vorstoßen wollen.
Dass sie den GT ausgerechnet auf einer Rennstrecke präsentierten, hat gleich zwei gute Gründe: Erstens kann man einen Wagen, der in 2,8 Sekunden von 0 auf Tempo 100 beschleunigt und bei Vollgas an der 350 km/h-Marke kratzt nirgends sonst auch nur halbwegs ausfahren – erst recht nicht in Amerika. Und zweitens ist der GT wie kein anderer Sportwagen auf der Rennstrecke verwurzelt. Denn eigentlich hat Ford den Wagen nur gebaut, um damit 50 Jahre nach dem triumphalen Dreifachsieg des ersten GT bei den 24 Stunden von Le Mans im Frühjahr 1966 noch einmal an der Sarthe anzutreten. Und dass sie nach dem neuerlichen Sieg jetzt tatsächlich ein Straßenauto bauen, liegt allein an den Vorgaben der Motorsportorganisation FIA, die eine Kleinserie zur Homologation verlangt. Denn obwohl der GT nicht nur der stärkste und schnellste, sondern mit einem Preis von etwas mehr als 500.000 Euro auch der teuerste Ford aller Zeiten ist, wird mit den gerade mal 1.000 Autos kein Geld zu verdienen sein. Zu kompliziert war die Entwicklung der Karbonflunder, zu langwierig waren die Tests im Windkanal, zu aufwändig ist die Produktion und zu gering sind die Gemeinsamkeiten mit allen anderen Ford-Modellen, selbst wenn Entwicklungschef Raj Nair den GT als rasendes Testlabor bezeichnet, mit dem die Ingenieure viel für kommende Sportwagen in anderen Preislagen gelernt haben.
Katapult aus der Boxengasse
Aber all das sind Gedankenspiele, die sich spätestens dann ins Nirvana verabschieden, wenn man den Motor startet und sich die Doppelkupplung für den ersten Gang schließt. Dann freut man sich einfach nur daran, dass ein nüchterner Riese wie Ford sich überhaupt die Mühe für so eine leidenschaftliche Kleinserie macht, dass die Erbsenzähler in Detroit ein paar rasenden Rebellen genügend Freiraum dafür gelassen haben, dass die Zulassungsbehörden ein derart messerscharfes Design und eine derart flache aber dafür umso breitere Karosserie erlauben und dass man zu jenen Auserwählten gehört, die jetzt gleich das Pedal aufs Bodenblech heften dürfen und sich mit knapp 750 Nm aus der Boxengasse katapultieren lassen können – so müssen sich die Astronauten gefühlt haben, kurz bevor sie ins Space Shuttle gestiegen sind.
Also tief bücken und hineinkrabbeln in die fest mit der Kohlefaserstruktur verbackene Karbonschale, die mit "Sitz" ziemlich euphemistisch umschrieben ist. Dann mit einem Stoffband die Verriegelung der Pedale lösen, um sie für die Beinlänge zu justieren, das wie in der Formel 1 mit Schaltern und Tastern gespickte Lenkrad samt dem digitalen Cockpit einstellen, den Track-Modus aktivieren und den Wagen so mal eben um fünf Zentimeter näher an den Asphalt fallen lassen und ein letztes Stoßgebet nach oben schicken, bevor die Welt auf "Fast Forward" stellt.
Denn sobald der GT einmal in Fahrt kommt, ist nichts mehr wie es war: Mit dem Schub eines Starfighters jagt der Tiefflieger über die lange Gerade, bevor er mit Bremsen wie Ankern und dem aufgestellten Spoiler von der Größe einer Tragfläche mit einer solchen Vehemenz verzögert, dass einem schon vor der ersten Kurve der Kiefer davon zu fliegen droht. Und das alles nur, um sich beinahe auf dem Punkt in die Kehre zu drehen, sich genau jenen Augenblick lang zu sammeln, den es braucht, um Ruhe und Zuversicht zu vermitteln und dann aufs Neue davon zu stürmen, als gäbe es kein Morgen mehr.
Fahrer ist limitierender Faktor
Schneller und immer schneller treibt man den GT um den Kurs, bremst später, lenkt enger, steht früher wieder auf dem Gas und lernt trotzdem mit jeder Meile eindrucksvoller, dass bei dieser Raserei der Fahrer der limitierende Faktor ist und nicht das Auto. Denn so wild man es auch treibt, lässt sich der GT partout nicht aus der Ruhe bringen und flackert nicht einmal mit der ESP-Leuchte, wenn das Heck im kontrollierten Drift auf die Außenbahn wechselt. Dagegen ist selbst der zurecht gelobte Focus RS ein Langweiler.
Doch obwohl Ford den GT einzig und allein für Le Mans entwickelt hat und sich das Straßenauto vom Rennwagen nur genau so viel unterscheidet, wie es die Zulassungsvorschriften verlangen, taugt die Flunder sogar auf der Landstraße. Wer sich überwinden kann, der findet irgendwann auch den Komfort-Modus und lässt sich vom Navigationssystem nach draußen ins echte Leben leiten. Und mit der nötigen Willensstärke und Selbstbeherrschung cruist der GT dann über den Highway wie ein etwas potenterer Mustang. Im steten Ringen mit Sinn und Verstand entdeckt man dabei nicht nur ein Hauch von Restkomfort und Nebensächlichkeiten wie eine Klimaanlage oder den schuhkartongroßen Kofferraum hinter dem Motor, sondern irgendwann vielleicht sogar die albernen Cupholder, die sie dem GT noch in den Mitteltunnel geschraubt haben, weil ein US-Auto ohne Cupholder eben kein echtes Auto ist.
Aber so gut sich der GT selbst bei dieser Übung schlägt, will es einfach nicht zu seinem Wesen passen: Er fühlt sich an wie ein Starfighter im Segelflug und sobald die erste Kurve kommt, ist es auch mit der letzten Zurückhaltung vorbei. Rein in den Sport-Modus und drauf aufs Gas – denn Le Mans ist überall.
Auf den Segen der Detroit-Bosse angewiesen
Mehr noch als seine nackten Leistungsdaten sind es diese Lust und Leidenschaft und dieses unstillbare Need für Speed, die den Ford GT zu einem der faszinierendsten Supersportwagen machen, den man für Geld und gute Worte kaufen kann. Doch die Sache hat einen Haken. Denn alles Geld der Welt wird einen nicht hinter das Steuer bringen, wenn man nicht den Segen der Bosse aus Detroit hat: Bei einer Laufzeit von vier Jahren und einer Jahresproduktion von 250 Autos werden die Kunden nämlich handverlesen und selbst die reichsten Raser riskieren eine Absage, wenn sie nicht– sorry liebe Ferraristi - schon bislang durch eine gewisse Nähe zu Ford aufgefallen sind.
Oft zu Gesicht oder gar zu Ohren bekommen wird man den GT deshalb wohl nicht. Weder in Salt Lake City, wo die Mustangs bald wieder den Ton angeben werden. Noch in Deutschland, wo in diesem Jahr neun, im nächsten Jahr dreizehn und um Jahr darauf zwölf Glückliche den ernüchternd banalen Schlüssel zum spektakulärsten Ford aller Zeiten bekommen. Doch allen anderen bleibt ja immer noch ein Focus RS – und die TV-Übertragung aus Le Mans.
ferias