Der anvisierte Ausstieg Großbritanniens aus der EU könnte für die Automobilindustrie einen harten Schlag bedeuten. Eine aktuellen Szenario-Analyse von PwC prognostiziert im schlimmsten Fall einen Rückgang der Autoproduktion auf der Insel unter eine Million Fahrzeuge bis 2022. Das wäre ein Einbruch von rund 50 Prozent verglichen mit dem voraussichtlichen Rekordjahr 2016 mit 1,9 Millionen produzierten Fahrzeugen.
"Falls die britische Automobilwirtschaft den ungehinderten Zugang zum EU-Binnenmarkt verlieren sollte, wären die Folgen gravierend. Dann droht ein Szenario wie in den 1980er- und 90er-Jahren, als die Autoindustrie in UK schon einmal durch eine tiefe Krise ging", sagte Christoph Stürmer, PwC Autofacts Global Lead Analyst. Je länger die Verhandlungen dauerten, desto größer werde die Unsicherheit. "Das könnte dazu führen, dass Investitionen immer weiter aufgeschoben oder sogar komplett gestrichen werden. Wenn die Automobilindustrie dies verhindern will, sollte sie zumindest ein klares Signal aussenden, dass die spezifischen Anliegen der Branche pragmatisch gelöst werden sollten."
Noch stimmt der Absatz – auch wegen des schwachen Pfunds. Für dieses Jahr geht die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft für Großbritannien von 2,69 Millionen verkauften Pkw aus, was ein Plus von noch 2,2 Prozent im Vergleich zu 2015 bedeuten würde. Und auch für das nächste Jahr rechnet PwC immerhin noch mit einem Zugewinn von 0,5 Prozent. Allerdings beziehen die britischen Autobauer viele Teile von Zulieferern aus dem Euroraum. Dementsprechend sind die Beschaffungskosten zuletzt bereits deutlich gestiegen. Analog haben einige Hersteller begonnen, die Fahrzeugpreise zu erhöhen.
Entscheidet sich 2019 die Zukunft der britischen Autoindustrie?
2018 und 2019 werden die Brexit-Verhandlungen wohl in ihre finale Phase gehen. Zwar will noch niemand britische Standorte aufgeben, die Unsicherheit der vergangenen Monate hat aber bereits dazu geführt, dass einzelne Investitionsvorhaben zurückgestellt wurden. "Autobauer können große Investitionsentscheidungen, nachdem diese erst einmal getroffen sind, jahrelang nicht revidieren. Dies führt wiederum dazu, dass sich das Management im Zweifel für den Standort entscheidet, der die geringsten Risiken birgt – selbst wenn damit zunächst Verlagerungen und höherer Aufwand verbunden sind", so Stürmer. "Wenn das Szenario eines harten Brexits auch auf die Automobilbranche Anwendung finden würde, würden die Hersteller womöglich gar nicht anders können, als Kapazitäten in die EU zu verlegen."
Dementsprechend klaffen die Szenarien von PwC für die Zukunft der britischen Automobilindustrie ungewöhnlich weit auseinander. Im besten Falle werden die Hersteller den ungehinderten Zugang zum europäischen Binnenmarkt behalten und geplante Investitionen bald freigegeben. Die Produktion könnte nach zwei auch konjunkturbedingt etwas schwächeren Jahren 2020 wieder richtig anzieht. Ein anderes Szenario rechnet mit einer Art Sonderstatus für die Autobauer. In diesem Fall dürfte die Industrie zunächst einmal in eine leichte Rezession rutschen, bevor sich die Produktion Anfang des 2020er bei etwa 1,7 Millionen Fahrzeugen allmählich stabilisiert.
Im "Downside-Szenario“ wird die EU den Briten nur noch den Meistbegünstigungs-Status nach den Regeln der Welthandelsorganisation zugestehen. "Unter diesen Umständen würden die Autohersteller einige britische Standorte wahrscheinlich aufgeben, um Zöllen und anderen Handelsbarrieren zu entgehen", erklärte Stürmer. Für diesen Fall rechnet PwC Autofacts mit einem strukturellen Rückgang. (se)
Jens D.