Von Peter Maahn/SP-X
Von seinem Platz in der zweiten Reihe aus folgt Olivier Boulay dem Geschehen auf der Bühne. "Einer der wichtigsten Momente in meinem Leben", hatte er vorher gesagt. Dann endlich fällt die Hülle, ein silbergraues Auto wird sichtbar, Beifall setzt ein. Die Augen des Design-Professors mit französischem Pass glänzen, heimlich wischt er sich eine Träne von der Wange. Die von ihm und seinem Team entworfene Studie eines künftigen Mercedes-SUV im Coupé-Look sollte das Sahnehäubchen bei der Eröffnung des neuen Einwicklungs- und Designcenters von Daimler in Chinas Hauptstadt Peking werden.
Boulay ist der Direktor der kreativen Abteilung der gerade fertiggestellten Dependance des Stuttgarter Konzerns. Der Mercedes aus China für China und auch den Rest der Welt trägt die Bezeichnung "Vision G-Code" und ist in der Tat visionär. Nicht so sehr, was die Außenhaut angeht. "Dieses Auto ist sowohl schön als auch intelligent", sagt Gorden Wagener, als oberster Designchef-Chef auch Vorgesetzter seines Pekinger Teams. "Der G-Code folgt der Formensprache eines typischen Mercedes-Coupés, das gleichzeitig zur Familie der SUV gehört."
Die nach hinten abfallende Seitenlinie, die glatte Außenhaut und die kraftvolle Radhäuser stehen für Sportlichkeit. Die hohe Bodenfreiheit in Verbindung mit weit nach außen gerückten Achsen belegen schon optisch die SUV-Talente des 4,10 Meter langen Kompaktmodells. "Ein wenig soll die Studie die Form eines Rennhelmes aufgreifen", erklärt Wagener. Die rundum gezogene Verglasung erinnert zudem an ein Powerboot.
Wasserstoff- und Elektromotor arbeiten zusammen
Sehr futuristisch gibt sich der Antrieb des G-Code, bei dem zwei Triebwerke zusammenarbeiten: Ein kleiner Turbomotor, der mit Wasserstoff betrieben wird, versorgt die Vorderräder. Für die hintere Achse ist ein Elektromotor zuständig. Der wiederum kann sowohl an der Steckdose als auch durch die Beschaffenheit der Außenhaut aufgeladen werden. Ein Speziallack soll wie eine riesige Solarzelle wirken, die ebenfalls Strom liefert. Damit nicht genug: Der "Mulitivoltaik Silver" genannte Lack lädt sich zusätzlich durch den Fahrtwind oder im Stand durch die natürliche Luftbewegung elektrostatisch auf. Selbst Entwicklungsvorstand Thomas Weber räumt ein, dass diese Technik in überschaubarer Zeit keinen Anspruch auf praktische Umsetzung in einem heutigen Serienmodell erhebt. "Es kann aber durchaus sein, dass für unsere Enkel diese Art der Energienutzung selbstverständlich sein wird."
Viel Zukunftsmusik also, aber manche Ideen des G-Code klingen durchaus bald machbar. So das Anlassen durch eine Smartphone-App, was gleichzeitig dafür sorgt, das sich das zunächst unsichtbare Lenkrad wie ein Schmetterling aus dem Armaturenbrett entfaltet. Oder die mit Sensoren gespickten Schalensitze, mit die Körperfunktionen des Fahrers überwachen und auch Verspannungen wegmassieren können. Ein netter Gag sind auch die Farb-Spiele, die der Viersitzer seinen Betrachtern bietet. Statt eines Kühlergrills umschließt ein Display den Mercedes-Stern. Ist der G-Code geparkt, macht er mit sanft pulsierendem blauen Licht auf sich aufmerksam. Im Elektrobetrieb bewegen sich strahlende Sterne von außen nach innen. Deren Farbe ändert sich auf violett, wenn beide Treibwerke zusammen Dienst haben. Im Sportmodus dagegen wird alles in rot eingefärbt und die Sterne laufen dann dynamisch von außen nach Innen. Gegen all das wirken die ausfahrbaren seitlichen Kameras, die die Außenspiegel ersetzen, fast schon alltäglich.
Kein Wunder also, dass die Premiere des Showcars von Professor Boulay und seinen Mannen mit Spannung erwartet wurden. Auch wenn die meisten der Ideen wohl kaum den Weg in ein Serienauto finden werden. Die Form dagegen wirkt fast schon serienreif. Und oft erschienen sogenannte "Vision"-Modelle von Mercedes nach wenigen Monaten in ähnlicher Form auch im Verkaufsprogramm. Beispiele sind der CLS oder auch die neue A-Klasse.
Was wollen die Kunden in China?
Für das neue Mercedes-Center im Herzen der Riesenmetropole ist der G-Code aber auch ein Symbol, weil er vor allem den Geschmack der technikverliebten Chinesen treffen soll. In dem riesigen Gebäude, das sich Daimler 13,5 Millionen Euro kosten ließ, werden bald bis zu 500 Ingenieure und Designer im größten Markt der Welt (2014 werden wohl 16,2 Millionen PKW neu zugelassen) Stellung beziehen und vor allem die Augen offenhalten: Was wollen die Kunden in China, welche Trends sind hier schon zu erkennen, wie müssen die Autos aussehen, die den im Schnitt rund 20 Jahre jüngeren chinesischen Kunden gefallen? "Sicher wird manches von dem, was hier entwickelt und erdacht wird, auch seinen Weg in die Stuttgarter Zentrale finden", sagte der für diesen Teil der Welt verantwortliche Mercedes-Vorstand Hubertus Troska bei der Eröffnung und fügte hinzu: "Schließlich wird China für alle Zeiten der größte und wichtigste Markt der Welt sein. Auch für Mercedes."