Deutschlands Autobranche steht vor einem gewaltigen Umbruch. Doch der Umstieg zur Elektromobilität läuft schleppend. Die jüngst gestrichene staatliche Kaufprämie für E-Autos dürfte den Hochlauf weiter belasten. Hinzu kommen geopolitische Unsicherheiten und eine schwächelnde Konjunktur. Branchenkenner sehen Sand im Getriebe und rechnen mit einem anspruchsvollen kommenden Jahr. Die Deutsche Presse-Agentur hat mit vier Experten darüber gesprochen, vor welchen Schwierigkeiten die deutsche Autoindustrie 2024 steht.
China: Die Position der Deutschen in China erodiere in dem Maße, wie der Wandel dort in Richtung E-Mobilität voranschreite, sagt Fabian Brandt von der Managementberatung Oliver Wyman. "Es ist wirklich alarmierend, wenn man sich anschaut, wie unterschiedlich die Branche beim Verbrenner und beim E-Auto performt", so Brandt. Die Branche müsse dringend handeln, wesentliche Hebel seien attraktive E-Fahrzeuge, deutliche Kostensenkungen und ein stärkerer Fokus auf die Markenpositionierung. In der heutigen Struktur sei das Geschäft der deutschen Hersteller ohne Erfolg in China nicht tragfähig.
"Abhängig von China"
Ein Abkoppeln von China würde die deutsche Autoindustrie nach Ansicht des Branchenexperten Ferdinand Dudenhöffer langfristig sehr stark beschädigen. China sei der wichtigste Automarkt der Welt und das Innovationszentrum der Autoindustrie. "Die deutschen Autobauer sind abhängig von China und nicht umgekehrt", erklärt Dudenhöffer.
Der Stuttgarter Autobauer Mercedes-Benz verkaufte zum Beispiel in den ersten drei Quartalen des Jahres mehr als ein Drittel seiner Autos in China. Beim Premium-Konkurrent BMW war es ebenfalls ein gutes Drittel. Volkswagen lag mit seiner Kernmarke sogar fast bei der Hälfte.
"Früher haben die Chinesen bei uns abgeschaut, jetzt müssen wir bei denen abschauen", sagt Stefan Reindl, Leiter des Geislinger Instituts für Automobilwirtschaft. Die chinesischen Anbieter seien in der Entwicklung viel schneller. Die Deutschen ruhten sich zu sehr aus und "kommen nicht aus dem Quark". Sie müssten ihre Komfortzone verlassen, sagt Reindl. Dass deutsche Fahrzeuge weltweit zu den besten gehören, sei kein Grundgesetz.
Kosten: Laut Brandt müssen die deutschen Hersteller ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit bei den Kosten verbessern. Im aggressiven Preiswettbewerb brauche man mehr Handlungsspielraum. Demnach müssten die Kosten im Durchschnitt um mindestens 3.000 bis 4.000 Euro pro Fahrzeug gesenkt werden - bei E-Autos noch deutlich mehr.
Doch nach dem Aus für die E-Auto-Prämie steigen die Belastungen für die Unternehmen sogar noch. Mehrere Hersteller haben in dieser Woche angekündigt, den nun entfallenen staatlichen Anteil der Kaufprämie zumindest befristet zu übernehmen. Eigentlich wollte der Bund bis zum Jahresende eine Kaufprämie für Neuwagen von bis zu 4.500 Euro zu gewähren. Hinzu kam eine hälftige Zulage der Hersteller, also bis zu 2.250 Euro. Zum 1. Januar 2024 sollte die staatliche Prämie auf 3.000 Euro gesenkt werden und dann Ende 2024 auslaufen.
In den vergangenen Jahren hätten die Hersteller trotz Krisenmodus gute Geschäfte gemacht, die sie abzusichern versuchten, sagt Brandt. "Starker Kostenfokus und Resilienz stehen häufig im Widerspruch zueinander." Statt nun aber bei der Beschaffung zu sparen, sollten die Hersteller vielmehr auch auf ihre Personalkosten achten und sich dort "verschlanken", rät Brandt.
Das wird mancherorts schon konkret: Volkswagen hat sich nach monatelangem Ringen mit dem Betriebsrat in dieser Woche auf Eckpunkte eines milliardenschweren Sparprogramms geeinigt. Die Personalkosten der Kernmarke Volkswagen sollen im Verwaltungsbereich um 20 Prozent sinken, auf betriebsbedingte Kündigungen werde aber verzichtet, teilte das Unternehmen mit. Deutlich größere Einsparungen soll es bei Material- und Fixkosten geben.
Software: Software im Auto wird in der Zukunft immer wichtiger werden, sei es zum Beispiel für Assistenzsysteme beim Fahren oder Infotainment (Unterhaltung oder Information). Die Hersteller wittern hier ein Milliardengeschäft
"Nur noch ein fahrbarer Untersatz"
Die nach wie vor schwache Position der deutschen Hersteller im Bereich Software belaste das Geschäft und werde laut Brandt immer mehr zu einem entscheidenden Wettbewerbsnachteil gegenüber Tesla und chinesischen Anbietern. Die Branche müsse jetzt liefern, auch mit Technologiepartnern, die bestimmte Dinge nachweisbar besser könnten.
Allerdings müsse der Hersteller beim Endkunden eine klar erkennbare Position behalten. Wenn das Display zum Beispiel nach Apple aussehe, dann habe der Hersteller den Kunden verloren. "Dann ist er nur noch ein fahrbarer Untersatz."
Constantin Gall, Autoexperte beim Prüfungs- und Beratungsunternehmen Ernst & Young (EY), sieht im Software-Sektor auch ein Personalproblem. Die Software-Abteilungen der großen Hersteller seien "aktuell eigentlich ein Scherbenhaufen". Man brauche für diese Aufgaben agile Strukturen, damit täten sich viele Manager jedoch schwer.
Rohstoffe: Eine Möglichkeit, um Abhängigkeiten von anderen Ländern bei den Rohstoffen für E-Auto-Batterien zu reduzieren, sieht Gall im Recycling. Die Hersteller könnten einen Großteil der Materialien aus den älteren Batterie-Generationen extrahieren und diese wieder in neue Batterien stecken. Voraussetzung sei allerdings, dass sie ernsthaft auf den Kreislauf von Ressourcen setzen und konsequent in diese Techniken investieren.
"Es droht eine signifikante Konsolidierung"
Zulieferer: Viele Zulieferer sind Brandt zufolge nach den Krisen der vergangenen Jahre und mit der Umstellung vom Verbrenner- auf den Elektromotor in einer kritischen Situation. Auch das gestiegene Zinsniveau mache die Geschäfte schwieriger. "Es droht eine signifikante Konsolidierung in der für den Autostandort hoch relevanten Zuliefererlandschaft", sagt Brandt. Nötig sei ein Modell, das stärker auf Partnerschaft von Zulieferern und Autoproduzenten ausgerichtet sei. Denn die Innovationskraft des Standorts sei zu einem hohen Maß auch von den Zulieferern abhängig.
C.F.