Von Wolfram Nickel/SP-X
Seine ersten Fahrversuche hatte das dreirädrige Veloziped bereits heimlich im Oktober 1885 im nächtlichen Mannheim absolviert. Zwar noch nicht ganz störungsfrei, aber doch so zufriedenstellend, dass sein Konstrukteur Carl Benz das kutschenähnliche Dreirad Anfang 1886 als "Fahrzeug mit Gasmotorenbetrieb" beim kaiserlichen Patentamt in Berlin anmeldete. Erfolgreich, wie das im November bewilligte Patent mit der Nummer 37.435 bescheinigte. Fast zeitgleich baute Gottlieb Daimler in Cannstatt einen gemeinsam mit Wilhelm Maybach entwickelten Einzylinder-Benziner in eine klassische Kutschkonstruktion ein und konnte sich so ebenfalls im Jahr 1886 die Erfindung des ersten vierrädrigen Automobils auf die Fahne schreiben. Dies nachdem Daimler nur ein Jahr zuvor schon den patentierten Motor-Reitwagen als Urvater aller Motorräder auf die Straße geschickt hatte.
Bis es Benz und Daimler aber gelang, ihre Autos zu vermarkten und in Serie zu bauen, sollten noch drei Jahre vergehen. Eine Zeit mit Messeauftritten in München und öffentlichen Testfahrten, deren berühmteste Berta Benz 1888 ohne Wissen ihres Mannes, begleitet von ihren Söhnen Eugen und Richard, über 80 Kilometer nach Pforzheim absolvierte. Es war eine abenteuerliche Fahrt, bei der es Benzin nur in Apotheken gab, Kühlwasser mehrfach nachgefüllt werden musste und ein Dorfschmied Pannenhilfe für das gefährlich wirkende Gefährt gewährte. Dennoch berichteten die Zeitungen enthusiastisch über diese kühne Reise und die Gefährte von Benz und Daimler zählten 1889 zu den gefeierten Sensationen der Pariser Weltausstellung. Was übrigens die Diskussionen darüber, wer das Auto wirklich erfunden hat, schon damals nicht verstummen ließ. Schließlich beanspruchen bis heute mehr als 50 Tüftler die Erfindung dieses entscheidenden Meilensteins der Mobilitätsgeschichte für sich. Klar ist, das erste Patent erhielt Carl Benz, der den Ur-Motorwagen seit 1906 vom Deutschen Museum in München präsentieren lässt.
"Schade um den Mann"
"Wenn ich einen solchen Stinkkasten hätte, würde ich zu Hause bleiben" und "Schade um den Mann, er wird sich und sein Geschäft mit dieser verrückten Idee ruinieren", sollen kritische Zeitgenossen geäußert haben, als Carl Benz seinen Motorwagen im Sommer 1886 erprobte. Aber Benz wusste auch zu berichten, dass ein Mann mit einem Geldkoffer in der Hand in seinen Werkstatthof spazierte, um schon seinen ersten – noch unverkäuflichen - Patent-Motorwagen zu erwerben. Ähnlich unterschiedliche Reaktionen seiner Mitbürger erlebte Gottlieb Daimler, der 1886 gemeinsam mit seinem Weggefährten Wilhelm Maybach eine kompakte Motorkutsche auch als Reaktion auf die großen Dampf-Lokomobile baute.
Diese Giganten der Straße ähnelten Lokomotiven und stammten vor allem aus Großbritannien. Ihnen sollte aber letztlich ebenso wenig die Zukunft gehören wie allen anderen Dampfautos aus den vergangenen 250 Jahren. So wollte der Franzose Nicolas Cugnot schon 1769 dem Auto Dampf machen. Das maximal 5 km/h schnell fahrende Gefährt war jedoch unlenkbar und fuhr geradewegs gegen eine Mauer. Der erste Unfall der Kraftfahrzeuggeschichte. Auch der erste tödliche Autounfall ereignete sich 1869 in Irland mit einem Dampffahrzeug. Die Lokomobil-Passagierin Mary Ward stürzte bei einer Kurvenfahrt von dem offenen Vehikel. Es waren viele Tüftler, die sich in jener Zeit am Dampfantrieb versuchten, stellvertretend genannt seien hier nur William Murdoch, William Symington, James Ashworth, Robert Fourneß und Francis Moore.
Aus Dampf wurde Rauch
Im Jahr 1860 wurde aus Dampf erstmals Rauch, denn der Franzose Etienne Lenoir ließ sich ein durch einen Explosionsmotor angetriebenes Automobil patentieren. Allerdings hatte diese Erfindung keinen praktischen Erfolg. Dies galt auch für die späteren Entwicklungen des Österreichers Siegfried Markus und das 1874 von George B. Seldon vorgestellte Fahrzeug mit Gasantrieb. Der entscheidende Durchbruch beim Antrieb gelang erst 1876 Nicolaus August Otto mit der Realisierung des Viertakt-Prinzips. Seine "atmosphärischen" Gasmotoren arbeiteten mit der Verdichtung des Brennstoffgemisches und der Zündung im oberen Totpunkt. Eine Motorenleistung von 3 PS bedeutete aber vorläufig noch eine Bauhöhe von vier Metern. Über das Skizzenbuch und den Prototypenbau hinaus ging es schließlich 1885 mit Gottlieb Daimlers erstem Motor-Reitwagen. Daimler und sein Mitstreiter Wilhelm Maybach erkannten rasch, dass die Zukunft der Motoren in deutlich kleineren und leichteren Aggregaten liegen müsse. Weshalb sie diese nicht nur für Straßen- und Schienenfahrzeugen, sondern auch für Schiffe und Luftschiffe sowie landwirtschaftliche Geräte und Fabrikationsmaschinen anpassten.
Dagegen dachte Benz vor allem an das Straßenmobil. Obwohl Daimler und Benz zu ihren Lebzeiten nie zusammen arbeiteten, kamen sie im selben Jahr ans gleiche Ziel. Was 1886 begonnen hatte, wiederholte sich für die Pioniere noch einmal drei Jahre später auf der Pariser Weltausstellung. Hier bescherten Benz und Daimler – erneut unabhängig voneinander - dem Automobil mit Benzinmotor den endgültigen Durchbruch. Während Benz Vertriebspartner und Abnehmer für seine Motorwagen fand, gelang es Daimler Lizenzen seines Motors an Unternehmen in fast allen Industriestaaten der Welt zu verkaufen. In Frankreich war es der Automobilhersteller Panhard & Levassor, der mit Daimler einen Lizenzvertrag über die Produktion des 565 ccm-V2-Motors mit 1,5 PS Leistung abschloss und überdies das Konzept des neu vorgestellten Daimler Stahlradwagens adaptierte. Außerdem konnten Levassor und Daimler den Automobilpionier Armand Peugeot zur Produktion von Automobilen mit Daimler-Motoren überzeugen. Bereits im September 1891 demonstrierte Peugeot der Welt eindrucksvoll die Zuverlässigkeit seiner Konstruktion durch die erste große Fernfahrt in der Geschichte des Automobils: Der Ingenieur Rigoulot fuhr mit dem Peugeot Type 3 von Valentigney via Paris nach Brest und zurück, 2047 km in damals sensationellen 139 Stunden.
Auch die frühesten Automobilrennen fanden in Frankreich statt: Den ersten Preis für die Fernfahrt Paris–Rouen 1894 teilten sich Peugeot und Motorenlieferant Panhard & Levassor für "die Anwendung des Benzinmotors, erfunden von Herrn Daimler aus Württemberg". Im selben Jahr setzte der neue Benz Velo mit patentierter Achsschenkellenkung die nächste Wegmarke der Motorisierung. Als erstes Auto wurde er in vierstelliger Serie von 1.200 Einheiten gebaut und mit einem Preis von 2.000 Mark nicht nur für die Superreichen, sondern auch für wohlhabende Bürger bezahlbar. Bereits an die Massenmotorisierung dachte nur zwei Jahre später ein gewisser Henry Ford, der in den USA sein Ford Quadricycle als Vorstufe seiner späteren Volksautos vorführte. Während es dem schon 1900 verstorbenen Gottlieb Daimler nicht mehr vergönnt war, die weltweite Verbreitung seiner Visionen zu verfolgen, erlebte Carl Benz sogar noch 1926 die Fusion zur Daimler-Benz AG.