Michael Gebhardt/SP-X
Seit mehr als 100 Jahren treffen sich im Frühsommer in Colorado unerschrockene Rennfahrer, um sich beim Pikes Peak International Hill Climb zu messen: Der vom Tal aus so harmlos anmutende Gipfel verlangt Mensch und Maschine alles ab, und selbst mit der besten Technik und dem versiertesten Lenker ist einem der Sieg noch lange nicht sicher. Denn wenn der Berg nicht mitspielt, sich der Gipfel in Nebel hüllt oder plötzlicher Regen oder Schneefall die Strecke unbefahrbar machen, löst sich der Traum vom Titel ganz schnell in Luft auf.
Für Volkswagen allerdings ging 2018 ein Traum in Erfüllung: Die Wolfsburger sind ziemlich kurz entschlossen beim Pikes-Peak-Rennen angetreten, und wollten nicht weniger als den Rekord für Elektro-Fahrzeuge einstellen. Das ist ihnen mit dem I.D. R und Romain Dumas hinter dem Steuer gelungen – und noch mehr: Der Franzose stellte in dem Elektro-Renner eine neue Bestzeit über alle Klassen auf.
Ein Herz für Tiere – Sirenen-Geheul soll Bär und Co. warnen
7 Minuten und 57,148 Sekunden nachdem Dumas unter Polizei-Sirenen-Geheul – das Reglement schreibt für E-Autos einen mindestens 120 Dezibel lauten Alarm vor, der Murmeltiere und Bären auf der Fahrbahn vertreiben soll – die Lichtschranke beim fliegenden Start durchpfeilt hatte, blieb die Stoppuhr am Gipfel wieder stehen. Fast eine Minute früher als bei Rhys Millen, der 2016 die bisherige Pikes-Peak-Bestzeit mit einem Elektro-Rennwagen aufgestellt hatte. Und obwohl die Bedingungen nicht perfekt und die Straße in mancher Kurve ziemlich feucht war, gelang es dem Franzosen, nicht nur die Pflichtübung E-Rekord mit links zu absolvieren, sondern auch noch eine Kür par excellence hinzulegen. Mit der deklassierte Dumas seinen Landsmann Sébastien Loeb, der 2013 den bis dahin flottesten Hill Climb hingelegt und mit seinem 875 V6-PS starken Peugeot 208 T16 Pikes Peak die knapp 20 Kilometer lange Strecke in 8 Minuten und 13 Sekunden runtergerissen hatte.
Wer den in wenigen Monaten – der Startschuss für das Projekt fiel erst im September 2017 – nur für das Pikes-Peak-Rennen entwickelten VW I.D. R mit der Startnummer 94 vorbeiflitzen sah, dürfte schon kurz nach dem Start keine Zweifel an der Wolfsburger Titelmission gehabt haben: Die 5,20 Meter lange, aber nur 1,20 Meter flache Allrad-Flunder ist einfach nur unfassbar schnell. Und sie krallt sich förmlich in den Asphalt: Die aufwändige Verkleidung und der mächtige Heckspoiler sorgen für ungeahnten Abtrieb. So viel, dass der I.D. R ab Tempo 200 sogar kopfüber an der Deck fahren könnte.
680 PS treffen auf weniger als 1.100 Kilogramm
Richtig beeindruckt von dem Erfolg ist man allerdings, wenn man sich die technischen Daten anschaut: Vergleichsweise geringe 680 PS und 650 Newtonmeter Drehmoment befeuern den mit Fahrer unter 1.100 Kilogramm schweren Volkswagen. Was der Renner genau wiegt, bleibt Betriebsgeheimnis, zieht man allerdings das Fliegengewicht Dumas ab wird der Wagen selbst wohl gut eine Tonne haben. Das Gros der Masse dürfte auch beim I.D. R aufs Konto der aus zwei Blöcken bestehende Batterie gehen, zu der sich Ingenieure aber ebenso ausschweigen.
Lediglich, dass der Akku mit 90 kW Ladeleistung in 30 Minuten vollgepumpt ist, lässt sich in Erfahrung bringen. Den Strom dafür stellt auf dem Pikes Peak ein Glycerin-Generator bereit, den Volkswagen extra eingeflogen hat. Ansonsten verraten die Techniker nur, dass der gezielt auf das Rennen hin entwickelte Stromspeicher nach dem Hill Climb seine Schuldigkeit getan hat und aufs Altenteil geschickt wird. Kein Wunder: Schließlich müssen auf der Strecke zum Gipfel 156 Kurven genommen werden, und der Akku muss mehr oder weniger genau so viele Beschleunigungsphasen aushalten. Das jederzeit, also vor allem beim Herauseilen aus der Kehre, Gewehr bei Fuß stehende Drehmoment dürfte übrigens einer der größten Vorteile des E-Wagens sein.
Verbrennungsmotoren verlieren ein Drittel ihrer Leistung
Dass dem VW relativ wenig Power reicht, um den Titel einzufahren, liegt allerdings nicht zuletzt auch an der Höhen-Unempfindlichkeit des Elektroautos. Schließlich startet das Pikes Peak Rennen schon auf 2.862 Metern Höhe, und bis zum Ziel klettern die Fahrer nochmal 1.439 Meter nach oben. Wegen des deutlich geringeren Sauerstoffgehalts in der Luft, der einem Menschen selbst mitunter das Leben schwer macht, kommen herkömmliche Verbrennungsmotoren am 4.300 Meter hohen Gipfel nur noch auf knapp zwei Drittel ihrer ursprünglichen Leistung. Dem E-Motor dagegen macht das nichts aus, er braucht schließlich keine Frischluft für die Verbrennung.
Trotzdem: Ohne einen wagemutigen Fahrer hinterm Steuer, der die nichtmal durch eine Leitplanke geschützte Strecke – auf der er übrigens im Vorfeld so gut wie nicht trainieren kann – in halsbrecherischem Tempo nach oben rast, gewinnt man auch mit dem besten Auto keinen Blumentopf. Wie mutig Dumas war, zeigt ein Blick aufs Tempo: Mit mehr als 90 Meilen pro Stunde (144 km/h) Durchschnittsgeschwindigkeit ist Dumas förmlich nach oben geflogen; der Zweitplatzierte kam auf über sieben Meilen pro Stunde weniger, und erreichte „erst“ nach 8 Minuten und 37 Sekunden das Ziel. Erstaunlich schnell hat übrigens auch Sébastien Loeb reagiert: Nur kurz nach dem Rennen forderte er Dumas zur Revanche heraus.