Herzlich Willkommen zu meiner neuen Kolumne "Stackmann schreibt" für AUTOHAUS. Als begeisterter Fan der Mobiles des US-Künstlers Alexander Calder bin ich fest davon überzeugt, dass keine Bewegung im luftleeren Raum entsteht. Die Elemente sind miteinander verknüpft und suchen, einmal in Schwung gebracht, wieder eine neue Balance. Alles hängt mit allem zusammen, kein Teilchen kann als solitär in Bewegung gebracht werden – ohne Impact auf weitere Teile zu haben.
Unsere Automobilwelt befindet sich in massiver Bewegung, das "Auto-Mobile" schwingt in nie erlebten Amplituden. In Schwung gebracht durch politische Impulse, Klimawende, neue Wettbewerber, neue Technologien, Re-Positionierung der Hersteller, Neuausrichtung der Vertriebspolitik, Preise auf Rekordniveau, zunehmende "galoppierende" Konsolidierung der Handelsnetze, Verunsicherung der Kundschaft – nur um einige Treiber kinetischer Veränderungsenergie zu nennen.
Da kann einem schon schwindelig werden… denn der Impact dieser nicht enden wollenden Zufuhr von Veränderungsenergie trifft die Player der Autowelt gleichermaßen und heftig: Es geht um die Wurst!
Hersteller, Zulieferer und der Handel versuchen gleichzeitig und meist unabhängig voneinander einen "future state" des Mobile und ihrer Rolle darin zu verstehen und anzustreben. Das Fehlen einer "ordnenden Hand" wird allerhalben bemerkt, das stabilisierende Element der Gradlinigkeit, der Beständigkeit, der Verlässlichkeit, der Verständlichkeit, ja auch der Wahrheit, ist uns abhandengekommen.
Ich möchte den Versuch starten, dieses gefühlte "Chaos" in meiner Kolumne etwas einzuordnen – und brauche dafür Ihre Unterstützung. Ich bitte Sie um Kommentare, Meinungen und besonders Hinweise zu Themen, die Sie interessieren. Bitte schreiben sie mir auf LinkedIn und vor allem in der Kommentarspalte unter den einzelnen Beiträgen. Dafür schon einmal vielen Dank!
Legen wir los!
2024 – Das Jahr der Wahrheiten
Wir alle spüren es, der Tag der Wahrheit rückt näher. Während gerade die OEM und der Handel in Corona- und Post-Coronazeiten durch massive Preisung der Produkte ein Ventil zur Stabilisierung der Profite gefunden haben, entgleitet uns dieses Instrument mit Perspektive auf 2024 und die Folgejahre. Die Elektromobilität nimmt zumindest im Angebot rasant an Fahrt auf, Kapazitäten befinden sich im schnellen und kaum mehr stoppbaren Aufbau – gleichzeitig lässt der Staat seine Schlüsselindustrie kurzfristig im Regen stehen. Die Agenturmodelle vieler Hersteller stehen bereits zum Start unter Performance-Hochdruck, da die Kundennachfrage konjunkturbedingt schwächelt. Aber der Reihe nach…
2024 – die Suche nach dem neuen Preispunkt
In den Corona-Jahren und Zeiten großer Produktionsengpässe haben die Finanzressorts den Vertrieblern den Schneid abgekauft und Fahrzeugpreise in zum Teil schwindelerregende Höhe getrieben – ohne Rücksicht auf Kunden und deren finanzielle Spielräume. Diese Preisblase (von vielen CFOs gerne als neue Nulllinie gewünscht) platzt gerade mit lautem Getöse. Der Preis-Rückwärtsgang ist eingelegt, und die OEM müssen sich wohl oder übel auf die Suche nach dem Post-Corona-Preispunkt begeben. Man spürt förmlich die Pein dieses Wege; aber die Tage des Vertriebes brechen wieder an. Schauen wir mal, ob die Vertriebssysteme überhaupt noch in der Lage sind auf Vollgas zurückzuschalten – oder haben wir das verlernt? Verkaufen statt verteilen!
2024 – Agentursysteme – Theorie trifft Praxis
Die hart verhandelten und intellektuell gut durchdachten Agentursysteme stehen gleich zu Beginn ihrer Einführungsphase vor massiven Herausforderungen. Es fehlt an funktionierenden Systemen, an Herstellerfähigkeiten, Nachfrage zu schaffen und in Verkäufe umzusetzen, sowie an der Ownership der Handelsnetze für die Ware. Vor allem aber fehlt in Zeiten geringer natürlicher Nachfrage die Fähigkeit über das Handelsnetz zu pushen und den Hebel eines starken engagierten Händlernetzes effektiv zu nutzen. Dasselbe gilt übrigens auch für alle Hersteller, die zwar keine Agentur einführen, aber die vertraglichen Margen deutlich reduziert haben.
2024 – E-Mobilität im Stottergang
Wie schön war es doch in den Jahren 2020 bis 2022! Staatliche Incentives gemischt mit regem Kundeninteresse (zumindest der überwiegend wohlhabenden Klientel) und beschränktem Angebot deuteten auf einen steilen und nachhaltigen Umstiegserfolg der E-Mobilität zulasten der Verbrennerwelt hin. Vorbei sind diese Zeiten. Der Staat hat sich zurückgezogen, dem Mainstream-Kunden sind die Fahrzeuge schlicht zu teuer und die Unterhaltskosten der Batterie-Modelle erscheinen bei hohen Stromkosten auch nicht mehr attraktiv. Und jetzt folgt die industrielle "Falle", da sich besonders die europäischen Hersteller mitten im Hochlaufen ihrer Kapazitäten und neuer Modelle befinden. Der Ausblick auf das neue Jahr ist also wenig euphorisch.
2024 – Netzkonsolidierung galoppiert weiter
Die Großen werden immer größer und neue internationale Player steigen ein. Die Händlernetze in Deutschland befinden sich in starker Konsolidierung. Die Treiber dahinter sind nicht nur die Hersteller, sondern auch die einmalige Chance für existierende Investoren, schnell und günstig markenrelevante bedeutende regionale Dominanz zu erlangen. Auch ausländische Investorengruppen erkennen in Deutschland inzwischen ihre Wachstumschance.
2024 – Es lebe der Service!
"Die Werkstatt ist voll!" So, oder so ähnlich lautete die Antwort der meisten Händler auf die Frage wie es denn im Service läuft. Die fortlaufende Alterung des Pkw-Fuhrparks in Deutschland (inzwischen > zehn Jahre) sorgt wohl auch 2024 für eine Fortsetzung dieser Erfolgsstory. Mit Blick auf viele Unsicherheiten im Neu- und Gebrauchtwagensektor lohnt sich aber ein frischer Blick auf den eigenen Service-Bereich. Geht hier nicht noch mehr? Ist der Bereich vielleicht die größte Chance für ein gesundes Autohaus? Ist die Werkstatt wirklich voll?
Vielen offenen Stellen für produktive Mitarbeiter stehen inzwischen fast schon astronomisch hoch anmutenden Stunden-Verrechnungssätzen gegenüber. Könnte der Nachwuchs- und Fachkräftemangel vielleicht auch auf (viel) zu geringe Löhne im eigenen Betrieb und in der Branche zurückzuführen sein? Ist die technische Kapazität tatsächlich gefüllt? Ist das Team in Bezug auf Up- und Cross-Selling schon an der Performance-Grenze? Werden vorhandene Fahrzeug- und Kundendaten intelligent zur Akquise genutzt, besonders zur Füllung von Leerlauf? Wird der Kundenstamm systematisch auf Verkaufschancen von Glas, Smart Repair und Versicherungen geprüft und ausgewertet?
2024 – Gebrauchtwagen bleibt der strategische Gewinner – aber Vorsicht!
Das Gebrauchtwagengeschäft rückt immer mehr in den Mittelpunkt des Automobilvertriebes, auch der markengebundenen Fabrikatshändler. Mehr als sechs Millionen Umschreibungen pro Jahr, im Vergleich zu historischen Werten immer noch deutlich gestiegene Preise (obwohl seit April sinkend) und konsequent zunehmende Alterung sprechen eine deutliche Sprache. Verringerte Zulassungen von Neuwagen fördern strukturell das Wachstum der GW-Umschreibungen. In den Corona-Jahren haben OEM und Handel sich deutlich professionalisiert, neue Ankaufsquellen erschlossen und den Bereich strukturell verstärkt.
2024 – Neuwagen und die gähnende Leere
2023 wird aller Voraussicht nach ein Gesamtmarkt von ca. 2,85 Millionen Pkw erreicht, ein Plus von ca. elf Prozent. Klingt gut, hilft uns aber mit Blick auf 2024 nicht weiter. Bei fast allen Herstellern erschrickt zum Jahresende der Blick auf die Orderbänke – es herrscht gähnende Leere. Das Jahr 2024 startet also "bei Null" – der Kampf hat mit dem 1. Januar begonnen. Zudem mangelt es an generellem Kaufinteresse, Anreizen und bezahlbarer Ware. Auf externe Impulse (z.B. staatlich) sollten wir nicht setzen – die Anreize müssen von den OEM selbst geschaffen werden.
Zum Autor: Jürgen Stackmann zählt zu den bekanntesten Automanagern Deutschlands. Unter anderem war er im Vorstand der Hersteller VW, Seat, Skoda und Ford tätig. Er gilt als Experte für die Bereiche Management, Vertrieb, Marketing und Finanzen.
Seit 2021 hat Stackmann einen Lehrauftrag an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU). Zudem ist er Direktor des Institutes für Mobilität an der Universität St. Gallen. Seit 2024 verfasst der Branchenkenner exklusiv die Kolumne "Stackmann schreibt" für AUTOHAUS.
Alexander Schaeffer
Burkhard Weller
Wolf Warncke
Udo Hartig
Jochen Sonntag
Günter Kaufmann
Christian Striesenow
Anita Friedel-Beitz