Ausgabe 05/2012: Risikobewusstsein

Risikobewusstseingebrauchtwagengeschäft E Oberlandesgericht verschärft Hinweispflicht vor Weiterfahrt. autohaus juristen rechtsanwälte g. haug & partnerDie Resonanz auf ein in AUTOHAUS-online veröffentlichtes Urteil des OLG Naumburg fiel eindeutig aus. Die Kommentare reichten von „unglaubliches Urteil zu Lasten der Händlerschaft“ bis hin zu einer „unkalkulierbaren und absurden Rechtsprechung.“Was soll ein Händler denn noch alles tun, wenn ein Kunde sich weigert, sein Fahrzeug zur Überprüfung in der Werkstatt zu belassen?In der Sache ging es um einen Gebrauchtwagen, bei dem der Kunde vier Wochen nach der Übergabe den Händler aufsuchte und auffällige Geräusche aus dem Motorraum monierte. Dessen Mitarbeiter riet ihm daraufhin von einer Weiterfahrt ab und empfahl ihm, sein Fahrzeug bis zum nächsten Tag in der Werkstatt zur Überprüfung zu belassen. Nachdem der Kunde dieser Empfehlung nicht gefolgt war, kam es wenige Tage später zu einem Motorschaden infolge eines Zahnriemenabrisses. Der von ihm daraufhin erklärte Rücktritt vom Kaufvertrag wurde in beiden Instanzen bestätigt.Vorzeitiger VerschleißNachdem sich der Riss bereits nach einer Nutzungsdauer von ca. 14 Monaten und einer Laufleistung von nur 18.586 km ereignete, lag ein Sachmangel vor. Das Gericht hat sich insoweit auf die gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen gestützt, wonach der Zahnriemen für eine Nutzungsdauer von mindestens 4 Jahren bzw. eine Laufleistung von 90.000 km ausgelegt sei. Anhaltspunkte für Ursachen außerhalb der gewöhnlichen Beanspruchung lagen nicht vor, insbesondere konnten keine mechanischen oder chemischen Einwirkungen auf den Zahnriemen von außerhalb festgestellt werden. Damit trat der Verschleiß bereits nach etwa einem Fünftel der üblichen Mindestlaufleistung ein, sodass nach § 476 BGB vermutet wurde, dass der Zahnriemen bereits zum Zeitpunkt der Übergabe mangelhaft war.Diese technischen Überlegungen entsprechen weitgehend der bisherigen Rechtsprechung zu den sogenannten „Zahnriemen-Fällen“. Danach genügt es in der Regel, wenn der Käufer – wie hier – unter Hinweis auf den normalen Lauf der Dinge einen vorzeitigen Verschleiß darlegen und beweisen kann. Es liegt dann am Verkäufer, die Rückwirkungsvermutung des §§ 476 BGB zu widerlegen und im konkreten Einzelfall aufzuzeigen, dass der Schadensfall auf andere Ursachen, wie etwa mechanische oder chemische Einwirkungen zurückzuführen ist.VerschuldenWarum aber wird der Händler zur Rückabwicklung verdonnert, obgleich er dem Käufer empfohlen hat, sein Fahrzeug in der Werkstatt zu belassen, damit die Geräuschursache geklärt wird? Weil – so das Oberlandesgericht – der Händler nicht beweisen konnte, dass der Kunde zumindest weit überwiegend für den Riss des Zahnriemens verantwortlich ist. Diese Überlegung beruht auf § 323 Abs. 6 BGB, wonach ein Rücktritt nur dann ausgeschlossen ist, „wenn der Gläubiger für den Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist.“ Nach dieser gesetzlichen Wertung ist der Verkäufer grundsätzlich für den aufgetretenen Mangel verantwortlich. Diese Verantwortlichkeit soll im Falle des Rücktritts nur ausnahmsweise verdrängt werden können, wenn völlig atypische Eingriffe des Käufers in den Geschehensablauf einen Ausschluss des Rücktritts rechtfertigen. Hierzu bedarf es eines alleinigen oder zumindest weit überwiegenden Verschuldens, sodass einfache Fahrlässigkeit regelmäßig nicht ausreicht. Vielmehr muss ein Verschulden des Klägers vorliegen, das im Rahmen einer Abwägung der Verantwortlichkeiten zu dessen alleiniger Haftung führen würde. Ein derart gravierendes Fehlverhalten sei jedoch dem Kläger nicht anzulasten, weil er beim Verlassen der Werkstatt keinerlei Risikobewusstsein dafür hatte, dass der Zahnriemen reißen und weitere Folgeschäden am Fahrzeug verursachen konnte. Insbesondere habe der Kunde die Schadensgefahr nicht vorhergesehen. Soweit eine Vorhersehbarkeit gegeben gewesen sein mag, trifft ihn nur eine leichte Fahrlässigkeit, die nicht ausreicht, die Verantwortung des Händlers zu verdrängen.BeweiswürdigungDie Besonderheit dieses Falles lag nun darin, dass zwischen den Parteien streitig war, ob beim Kläger ein Risikobewusstsein vorlag oder nicht. Von daher kam es nach Auffassung des Oberlandesgerichts entscheidend darauf an, mit welcher Dringlichkeit der Mitarbeiter des Händlers auf die bestehenden Risiken einer Weiterbenutzung des Fahrzeugs hingewiesen hatte. Denn dem Kunden selbst war ohne Hinweise der Werkstattmitarbeiter nicht bewusst, welche Risiken bestanden. Dies ergebe sich eindeutig aus seiner Anhörung, weil er den Motorgeräuschen lediglich eine „belästigende“, nicht aber gefahrgeneigte Wirkung beigemessen habe.Demgegenüber hat der Werkstattmitarbeiter bei seiner Zeugenvernehmung angegeben, er habe ausdrücklich vor einer Weiterfahrt gewarnt. Allerdings war seine Aussage in zweiter Instanz aus Sicht des Klägers deutlich belastender als noch in erster Instanz, wenngleich – so das OLG Naumburg – sie in sich schlüssig und widerspruchsfrei war. Dieser Aussage stand jedoch die Darstellung des Klägers in seiner persönlichen Anhörung entgegen, die – hinsichtlich des unter vier Augen geführten Gesprächs zwischen den beiden vorgenannten nach der Probefahrt – aus Gründen prozessualer Waffengleichheit berücksichtigt werden müsse. Auch wenn dessen Angaben erkennbar vom Prozessverlauf beeinflusst waren, so wiesen sie jedoch in ihrem Kern eine Konstanz auf und waren daher nicht weniger glaubhaft als die Angaben des Werkstattmitarbeiters. Angesichts der widersprechenden Darstellungen des Gesprächsinhalts kam das Gericht deshalb nicht zu der Überzeugung, dass der Aussage des Mitarbeiters der Vorzug zu geben sei. Weniger als die Überzeugung nach § 323 Abs. 6 BGB von der Richtigkeit seiner Darstellung reicht jedoch für den Beweis des Ausschlussgrundes nicht aus.Rechtsanwalt Walter Sattler, kanzlei@raehaug-partner.deKurzfassung1. Ein vorzeitiger Zahnriemenriss begründet auch dann einen Sachmangel, wenn die Ursache für diesen außergewöhnlichen Verschleiß nicht geklärt werden kann.2. Der Rücktritt ist nur dann nach § 323 Abs. 6 BGB ausnahmsweise ausgeschlossen, wenn der Gläubiger für den Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist.3. Ob diese Voraussetzung gegeben ist, obliegt der – im Einzelfall sehr freien – Beweiswürdigung des Gerichts.Kommentar< „Was nicht passt, wird passend gemacht“ lautet ein Sprichwort, das vereinzelt auch bei Gericht gilt. Insbesondere bei der Beweiswürdigung von einander widersprechenden Zeugenaussagen stößt man immer wieder auf Urteilsbegründungen, die sich an dem gewünschten Ergebnis ausrichten. Wenn, wie in dem nebenstehenden Fall besprochen, ein Werkstattmitarbeiter „in sich schlüssig und widerspruchsfrei“ erklärt, dass er den Kunden vor einer Weiterfahrt ausdrücklich gewarnt hat, dann sollte dies für eine Überzeugung des Gerichts genügen. Es kann auch nicht ernsthaft bezweifelt werden, dass der Kunde für den Schadenseintritt überwiegend verantwortlich ist, wenn er eine solche Warnung in den Wind schlägt und unverdrossen weiter fährt.Bei diesem (unerwünschten?) Beweisergebnis wird dann gerne die prozessuale Waffengleichheit ins Feld geführt, um eine dem Rücktritt entgegenstehende Zeugenaussage in Frage zu stellen. Nachdem es sich um ein Vier-Augen-Gespräch handelt, behilft man sich mit einer persönlichen Anhörung des klagenden Kunden, der selbstredend nichts von einer Warnung zur Weiterfahrt gehört haben will. „Er verließ die Werkstatt, weil die Mitarbeiter des Beklagten auf seine – zum damaligen Zeitpunkt unberechtigte – Forderung nach der Bereitstellung eines kostenfreien Ersatzfahrzeugs nicht eingingen“, ist ein bemerkenswerter Satz aus dem Urteil, der für sich und gegen die Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts spricht. Dieses begnügt sich demgegenüber mit der Konstanz seiner Darstellung, die auf ein fehlendes Bewusstsein hinsichtlich der mit der Weiterfahrt verbundenen Risiken schließen lassen soll. >

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