Ausgabe 07/2009: Push-System nicht zeitgemäß

Push-System nicht zeitgemäßNeuwagendistribution E Die Krise in der Automobilindustrie legt deutliche Defizite offen von Prof. Dr. Susanne Royer und Uwe Stratmann, ICDP GermanyDie europäischen Neuwagendistributionssysteme sind nicht an dynamische Marktverhältnisse und die zunehmende Produktvielfalt angepasst. Ein wachsender Push im Markt gepaart mit ineffizienter Lagerhaltung führt zu hohen Kosten für Hersteller und Handel und langfristig zu einer Schwächung der jeweiligen Marke. Dies ist ein Ergebnis einer aktuellen Studie des International Car Distribution Programme (ICDP). Ein zentraler Indikator für ein kundennahes Vertriebssystem ist der Build-to-Order-Anteil (siehe Abb. 1). Bemerkenswert ist der stark rückläufige Trend bei den Premiumherstellern. Gerade Fabrikate mit wachsendem Produktportfolio haben mit zunehmenden Lagerbeständen in den Märkten zu kämpfen. Meist können die Lager nur mit überdurchschnittlich hohen Nachlässen abgebaut werden, da dem Kunden ein Fahrzeug verkauft werden muss, das nicht 100-prozentig seinen Vorstellungen entspricht. Das führt dazu, dass der Automobilhandel nahezu die gesamte Hersteller-Marge in Höhe von durchschnittlich 18,5 Prozent an den Kunden weitergibt. Dazu kommen zusätzliche Verkaufsförderungsmaßnahmen in Höhe weiterer 4,5 Prozent. Diese Margensätze und kurzfristigen Stimulationsinstrumente verbessern dabei keinesfalls die Ergebnissituation des Handels, sondern führen zu einer weiteren Erhöhung der Vertriebskosten. Der Anteil der Distributions- an den Gesamtkosten hat bereits seit langem die 30-Prozent-Marke überschritten.Gerade Premiumfabrikate haben zunehmend Lagerprobleme infolge der „Atomisierung“ des Produktangebotes. Falsche Produkte im Markt sind bei Herstellern mit einem sehr differenzierten Produktangebot häufige Folge von Push-Systemen. Die ICDP-Studie zeigt deutlich, dass mit zunehmender Variantenvielfalt auch zunehmend Fahrzeuge verkauft werden müssen, die nicht den eigentlichen Kundenvorstellungen entsprechen (siehe Abb. 2) – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Rabatte sowie auf die Restwerte. Ausweg: Build-to-OrderEinen Ausweg aus diesem Dilemma stellen kundenauftragsbezogene Build-to-Order-Systeme dar, die kurze Vorlaufperioden, flexible Änderungsmöglichkeiten der Bestellung sowie einen minimalen Lagerbestand voraussetzen. Mögliche zusätzliche Kosten in der Vertriebssteuerung und Produktion werden durch die hohen Einsparungen im Vertrieb mehr als kompensiert. Für Premiumfabrikate stellt sich in diesem Zusammenhang allerdings eine zusätzliche Herausforderung: In den vergangenen Jahren sind alle Premiumfabrikate in den unteren, volumenorientierten Modellsegmenten gewachsen. Für diese Segmente kann es durchaus sinnvoll sein, standardisierte Produkte in großen Stückzahlen zu produzieren. Einige Hersteller stehen nun vor dem Spagat der Standardisierung und gleichzeitigen Individualisierung einzelner Modellsegmente. Generell stellt sich die Frage, ob eine zunehmende Variantenvielfalt strategisch sinnvoll ist. Auf Grund der nahezu unbegrenzten Ausstattungsvariationen bei der Neufahrzeugbestellung basieren in der Regel 80 Prozent der Verkäufe auf weniger als 10 Prozent des Produktangebots. Die zusätzliche Komplexität in Produktion und Vertrieb schlägt sich allerdings nicht entsprechend in den Erträgen nieder. Zwar können die europäischen Produktionsstätten mittlerweile hochflexibel fertigen. Lange Vorlaufzeiten und Planungsperioden sowie ein zunehmender Anteil von Teilen aus osteuropäischen und asiatischen Niedriglohnländern schränken die mögliche Flexibilität allerdings wieder ein. Unflexibilität hat zusätzliche Kosten in der Distribution zur Folge. Vor allem die Kapitalbindung durch wachsende Lagerbestände wird in Zeiten der Finanzkrise zu einem ernsten Problem für Hersteller und Handel (siehe Abb. 3). Ein idealtypischer Automobilhersteller mit einem 5-prozentigen Marktanteil in Europa und durchschnittlich 60 Lagertagen muss laut ICDP-Studie mit über 1,1 Milliarden Euro für die Lagerhaltung in Europa rechnen. Jeder zusätzliche Lagertag kostet den Hersteller weitere 20 Millionen Euro. Diese immens hohen Kosten machen deutlich, wie strategisch bedeutend das Neuwagendistributionssystem ist. Der Lagerbestand der japanischen Automobilhersteller hat sich seit der letzten ICDP-Untersuchung im Jahr 2005 deutlich erhöht. Die Analyse zeigt jedoch, dass das vorhandene Lager effizienter verwaltet wird und der Preiswettbewerb nicht so stark ausgeprägt ist wie bei einigen europäischen Fabrikaten. Eine ausgeprägtere Produktstandardisierung und die intensive Anwendung regionaler Distributionszentren ermöglichen es, auch ein eher „Push“-orientiertes Distributionssystem effizient zu betreiben und einen ruinösen Intra-Brand-Wettbewerb zu vermeiden. Ein Push-System ist somit möglich, erfordert jedoch entsprechende Produkte und Systeme und vor allem ein effizientes Lagermanagement. Die ICDP-Studie zeigt, dass die Disposition der Lagerfahrzeuge in der Neuwagendistribution erfolgskritisch ist. Dies insbesondere, wenn aus Standardisierungsgründen eine Build-to-Order-Stra-tegie aufgegeben wird (wie dies bei volumenorientierten Modellsegmenten sinnvoll sein kann). Strategische Potenziale bietet aus Sicht der Studie insbesondere die Zentralisierung der Disposition, um unterschiedliche Kundenwünsche aufgrund des Zugriffes auf einen größeren Fahrzeugpool besser bedienen und somit eine höhere Kundenzufriedenheit bei höherem Verkaufsertrag und geringeren Lagerhaltungskosten realisieren zu können. In diesem Zusammenhang zeigt sich ein weiterer Nachteil eines Push-Systems. Da die Verkäufe überwiegend nicht durch Endkunden getätigt werden, spiegeln die Verkaufsdaten auch nicht die aktuelle Marktsituation wider. Eine möglichst hohe Transparenz im Markt ist aber eine notwendige Voraussetzung, um ein ferti-gungsorientiertes Push-System erfolgreich zu betreiben. zLesen SIe hier...... vor welchen Herausforderungen Neuwagendistributionssysteme im europäischen Kontext stehen. Lernen Sie die Voraussetzungen sowie Vor- und Nachteile eines standardisierten volumenorientierten Systems sowie eines kundenindividuellen Build-to-Order kennen.anteil auftragsbezogene fertigung (bto) Abb. 1 1998 2005 2008Volumenhersteller Japanische Hersteller PremiumherstellerICDP-StudieICDP als europaweites Expertennetzwerk untersucht seit mehr als zehn Jahren regelmäßig die Leistungsfähigkeit der gesamten Distributionskette im Neufahrzeugvertrieb. Die Analyse verfolgt den physischen Distributionsprozess von der Fahrzeugbestellung über die produktionsrelevanten Prozesse und Lagersysteme bis hin zur Auslieferung des Neuwagens an den Endkunden. Die Studie untersucht Volumenhersteller (Citroen, Fiat, Ford, GM, Seat, Peugeot, Renault, VW), japanische Hersteller (Honda, Nissan, Toyota) und Premiumhersteller (Audi, BMW, Jaguar, Mercedes-Benz, Saab, Volvo) in den europäischen Kernmärkten Deutschland, England, Frankreich, Italien und Spanien. Die Studienergebnisse zeigen, dass die automobilen Distributionssysteme weiterhin nicht an die Dynamik der Märkte sowie an die Variantenvielfalt im Neuwagenbereich angepasst sind. In Zeiten umfassender Nachfrageschwankungen geraten diese Systeme stark aus dem Gleichgewicht, zu finanziellen Lasten der Automobilhersteller und des Vertragshandels. Zunehmend unter Druck stehen die Premiumfabrikate, die in einen Systemkonflikt geraten sind. Eine strategische Anpassung der Systeme ist laut ICDP-Studie nicht nur notwendig, sondern auch möglich.Problem „Wachsende Variantenvielfalt“ Abb. 2Mögliche Modell- und Ausstattungsvariationen 100.000 10.000.000 1E + 21JapanerVolumenherstellerPremiumherstellerentwicklung der lagerbestände in tagen Abb. 3 1998 2005 2008Volumenhersteller Japanische Hersteller PremiumherstellerZunehmender Volumendruck

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