Dekra: Mehr Tempo bei Hagelschäden

Kurzfassung: Mit einem gemeinsamen Pilotprojekt haben Dekra und Ergo ein digitales Verfahren zur schnelleren Einschätzung von Hagelschäden entwickelt. Ziel ist eine zügige Ersteinschätzung, ob sich die Reparatur lohnt oder ein Totalschaden vorliegt - ohne aufwendige Detailkalkulation. Hagelschäden kommen oft mit Wucht - und völlig unerwartet. Für Autohäuser, Versicherungen und Fahrzeugbesitzer beginnt dann ein Wettlauf gegen die Zeit. "Der Kunde will schnell wissen, was Sache ist. Wird repariert? Oder ist das ein Totalschaden?", sagt Bernd Grüninger, Bereichsleiter Gutachten bei Dekra. Besonders bei Extremwetter wie im Sommer 2023 in Augsburg, als faustgroße Hagelkörner Scheinwerfer zertrümmerten und Scheiben splitterten, geraten herkömmliche Prozesse schnell an ihre Grenzen. Die Folge: lange Wartezeiten, unsichere Einschätzungen, teure Fehler. So wurden etwa Scheiben ersetzt, obwohl das Fahrzeug später als Totalschaden eingestuft wurde, berichtet Grüninger. Ein gemeinsames Pilotprojekt von Dekra und Ergo setzt genau hier an - mit digitalen Verfahren, die große Schadensmengen rasch und strukturiert erfassen. Im Fokus steht nicht die Detailkalkulation, sondern eine schnelle Vorentscheidung: Lohnt sich die Reparatur - oder ist es ein Totalschaden? Wie das System funktioniert Wie Christoph Mennicken, Leiter Digitale Gutachten-Dienstleistungen bei Dekra, erläutert, folgt das System dem klassischen EVA-Prinzip - Eingabe, Verarbeitung, Ausgabe. Die Plattform ist modular aufgebaut: Zunächst fließen strukturierte Daten wie Fragebögen und Bilder sowie, bei Unfallschäden, wenn vorhanden, auch Telematikdaten ein. Anschließend werden diese mithilfe von Big Data und Künstlicher Intelligenz ausgewertet. Die Grundlage bilden Millionen anonymisierter Daten aus realen Schadenfällen, mit denen das System trainiert wurde. Die Ausgabe wiederum erfolgt regelbasiert - orientiert an den Vorgaben der jeweiligen Versicherer, wie mit welcher Art von Schaden umgegangen wird. Versicherte, die ihren Hagelschaden eigenständig dokumentieren wollen, erhalten zunächst einen digitalen Fragebogen - inklusive Beispielbildern zur Orientierung. Gefragt wird unter anderem, wie viele Dellen sich etwa auf dem Fahrzeugdach befinden und welchen Durchmesser sie haben. Ergänzend dazu sollen Fotos hochgeladen werden, aufgenommen aus klar definierten Perspektiven. "Die Bilder allein reichen nicht", stellt Mennicken klar. Gerade bei weißen Autos sei selbst für Experten auf Fotos kaum etwas zu erkennen. Deshalb kombiniert das System die Angaben der Kunden mit bekannten Schadensmustern. Ziel ist eine standardisierte Datengrundlage für die spätere Begutachtung. Keine Detailanalyse Wichtig ist, was das System leistet - und was bewusst nicht: "Wir machen hier keine konkrete Kalkulation. Es geht uns nicht darum, bis auf den Euro genau zu wissen, was die Reparatur kostet", stellt Grüninger klar. Stattdessen geht es um eine qualifizierte Ersteinschätzung: Reparatur ja oder nein? Totalschaden oder nicht? Die digitale Vorsortierung spart Zeit - für Versicherte wie Versicherer. Bei fiktiven Abrechnungen entfällt die Besichtigung vor Ort, was die Prozesse spürbar beschleunigt. Entscheidend ist die korrekte Einordnung: Reparatur, Totalschaden oder Glasbruch, betont Mennicken. Für Autohäuser ergibt sich daraus ein Effizienzgewinn im Serviceprozess: Ohne auf externe Gutachten warten zu müssen, kann das Autohaus seine Kunden direkt mit der Notreparatur bedienen. Kaum Kritik Im Rahmen des Piloten wurden bisher rund 1.500 Fälle digital abgewickelt. Laut Grüninger gab es lediglich eine einzige Reklamation - und die habe nicht die Methode betroffen, sondern den vom Kunden beanstandeten Wiederbeschaffungswert, wie es auch bei herkömmlichen Schadenabwicklungen vorkommen könne. Die Abläufe selbst verliefen hingegen zügig und störungsfrei. "In zwei bis drei Tagen war der Fall erledigt. Wir konnten in vielen Fällen sofort sagen: Das ist ein Totalschaden. Da muss kein Gutachter mehr rausfahren", erklärt Grüninger. Learnings aus der Pilotphase Trotz aller Erfolge: Der Weg dahin war nicht ohne Hürden. Insbesondere die Entwicklung des strukturierten Fragebogens erwies sich als sensibel: "Wir dachten, wir verbessern eine Formulierung - und plötzlich stieg die Abbruchrate bei der Schadenmeldung", berichtet Christoph Mennicken. Daraufhin wurde detailliert ausgewertet, an welchen Punkten Nutzer aussteigen oder fehlerhafte Angaben machen, um eine möglichst intuitive Führung durch den Prozess zu ermöglichen. Manipulationen? In diesem Test kein Thema, betont Mennicken. "Digitale Bildmanipulationen hinterlassen Spuren. Ein manipuliertes Foto erkennen wir eher als einen ausgedruckten Fake. Ironischerweise ist es bei analog eingereichten Bildern oft leichter, zu betrügen." Der nächste digitale Schritt Im Laufe des Jahres 2025 soll das System in größerem Umfang zum Einsatz kommen - nicht nur bei Hagel. Auch für Wildunfälle und Kaskoschäden gibt es bereits funktionierende Use Cases, für die Versicherungen das System nutzen. Technisch steht der nächste Entwicklungsschritt bevor: "Wir arbeiten ständig daran, die Systeme weiterzuentwickeln und technisch auf der Höhe der Zeit zu halten", sagt Mennicken. Bei der rasanten Entwicklung im KI-Bereich keine triviale Aufgabe.

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