Richtlinie für Sachverständige: Mehr als nur Technik

Kurzfassung: Die VDI-Richtlinie definiert den aktuellen Stand der Technik und dient als Grundlage für die Ausbildung und Zertifizierung von Kfz-Sachverständigen. Sie soll sicherstellen, dass nur Sachverständige mit nachgewiesener überragender Fachkompetenz in ihrem jeweiligen Fachgebiet tätig werden dürfen. Der Verein Deutscher Ingenieure e. V. (VDI) hat in den letzten Jahren erstmals eine Richtlinie für Sachverständige der Kfz-Branche erarbeitet. Die als "MT 5900" bezeichnete VDI-Richtlinie ist am 25. Januar 2025 in Kraft getreten und soll weitreichende Impulse in der Kfz-Sachverständigenbranche setzen. Das modulare Konzept gliedert sich in vier Blätter: Grundlagen Schäden und Bewertung Unfallanalyse Assistiertes, automatisiertes und vernetztes Fahren Neben der angestrebten Verbesserung der Gutachtenqualität steht auch die Etablierung einheitlicher Mindestanforderungen an Ausbildung, Qualifikation und Fortbildung der Sachverständigen im Fokus. Ziel ist es, dem Wildwuchs in der Kfz-Sachverständigenbranche mit seinen wenig qualifizierten "Ausbildungsangeboten" und den oft intransparenten Qualifikationsnachweisen mit einem klar strukturierten Regelwerk entgegenzuwirken. Qualität und Prozesse optimieren Die Richtlinie definiert den aktuellen Stand der Technik und dient als Grundlage für die Ausbildung und Zertifizierung von Kfz-Sachverständigen. Experten wie Prof. Dr.-Ing. Hans Bäumler und Rechtsanwalt Gunnar Stark betonten auf dem 63. Deutschen Verkehrsgerichtstag 2025, dass Gutachten künftig weit mehr als einfache Reparaturkalkulationen sein müssen. Einheitliche Standards ermöglichen es den Versicherern, Schadenfälle schneller und digital zu bearbeiten. Zudem spielt die zunehmende Komplexität moderner Fahrzeuge - etwa durch Assistenzsysteme, Elektrifizierung und vernetzte Technologien - eine zentrale Rolle, da hier ein höherer Sachverstand gefragt ist. Und wenn man berücksichtigt, dass bei rund neun Millionen Schäden im Jahr über 30 Milliarden Euro an Kompensationszahlungen (2023) geleistet wurden, wird klar, warum hochqualifizierte Sachverständige für eindeutige Fachgebiete und strukturierte Gutachten unersetzlich sind. Die Richtlinie enthält detaillierte Vorgaben zu den Ausbildungsinhalten und regelt den gesamten Prozess von der Basisschulung über weiterführende Ausbildungsmaßnahmen bis hin zu regelmäßigen Fortbildungen und Qualitätsüberprüfungen. So sind beispielsweise mindestens 180 Stunden theoretischer Unterricht sowie eine zweijährige praktische Ausbildung vorgesehen, die bei entsprechenden Hochschulabschlüssen verkürzt werden kann. Regelmäßige Überprüfungen der Sachverständigenleistungen sollen sicherstellen, dass die Qualität der Gutachten stets auf dem neuesten Stand bleibt. Rechtliche Dimensionen Ein zentraler Diskussionspunkt ist, ob die VDI-Richtlinie MT 5900 als Baustein für ein gesetzlich geregeltes Berufsbild der Kfz-Sachverständigen dienen kann. Trotz ihrer detaillierten Anforderungen bleibt die Richtlinie - ähnlich wie DIN-Normen - ein technisches Regelwerk und ersetzt nicht die gesetzliche Berufsausübungsregelung. Die im Grundgesetz in Art. 12 garantierte Berufswahl schützt die Möglichkeit, sich als Sachverständiger zu betätigen, sofern die geforderte Fachkompetenz nachgewiesen wird. Die VDI Richtlinie 5900 MT kann zwar einen verbindlichen Qualitätsmaßstab setzen, aber nicht den Bezeichnungsschutz eines gesetzlich geregelten Berufsbildes herbeiführen. Wettbewerbsrechtlich greifen zwar Mechanismen wie das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zum irreführenden Gebrauch von Berufsbezeichnungen - hier konkret: "Kfz-Sachverständiger" - ein, doch bleiben diese trotz wirksamer Abmahnmöglichkeiten ohne den Zwang eines gesetzlich geregelten Berufsbildes wie bspw. bei den Anwälten, Apothekern, Architekten, Ärzten usw. Diese Diskrepanz zwischen technischem Standard und rechtlicher Berufsausübungsfreiheit dürfte auch in Zukunft ein zentrales Spannungsfeld darstellen. Aufbau und Weiterentwicklung Die VDI-Richtlinie MT 5900 ist als lebendiges Regelwerk konzipiert, das sich den Entwicklungen in der Fahrzeugtechnik anpasst. Während Blatt 1 bereits Grundlagen und theoretische Aspekte abdeckt, widmen sich die weiteren Blätter spezifischen Sachgebieten: Blatt 2 fokussiert sich auf das Sachgebiet Schäden und Bewertung. Blatt 3 regelt die Unfallanalyse, respektive die Unfallrekonstruktion Blatt 4 bereitet die Thematik des assistierten, automatisierten und vernetzten Fahrens auf, ein Bereich, der angesichts der Mobilitätswende zunehmend an Bedeutung gewinnt. Diese modular aufgebaute Richtlinie soll nicht nur als Maßstab für die Gutachtenerstellung dienen, sondern auch den Weg für eine kontinuierliche Fortentwicklung und Anpassung an zukünftige technische und juristische Herausforderungen ebnen. Der Gesetzgeber ist am Zuge! Die VDI-Richtlinie MT 5900 setzt einen wichtigen Impuls zur weiteren Professionalisierung in der Kfz-Branche. Sie stellt sicher, dass nur Sachverständige mit nachgewiesener überragender Fachkompetenz - ob über eine DAkkS-Zertifizierung oder durch öffentliche Bestellung und Vereidigung - in ihrem jeweiligen Fachgebiet tätig werden dürfen. Langfristig könnte dies zu einer deutlichen Reduzierung manipulierter Schadenfälle und zu einer verbesserten Beweissicherung im Unfallprozess führen. Dennoch bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber den Ruf nach einem gesetzlich geregelten Berufsbild der Kfz-Sachverständigen in Zukunft erhört. Die vielfältigen Spezialisierungen innerhalb der Branche machen einen einheitlichen Zugang schwierig. Für Branchenkenner ist jedoch klar: Die VDI-Richtlinie MT 5900 liefert einen unverzichtbaren Qualitätsstandard - auch wenn sie nicht den Sprung zu einer gesetzlich verbindlichen Regelung vollzieht. Denn Qualität und Transparenz sind in der Gutachtenerstellung essenziell. Die Richtlinie leistet einen bedeutenden Beitrag zur Standardisierung, ohne jedoch die freiheitlich garantierte Berufsausübung einzuschränken. Denn solange es kein gesetzlich geregeltes Berufsbild gibt, kann nach der oben genannten Rechtsprechung des BGH derjenige die Bezeichnung "Kfz-Sachverständiger für ." - je nach konkretem Sachgebiet - zu Recht führen, wenn er die vom BGH geforderte überragende Sach- und Fachkunde in eben diesem Sachgebiet nachweisen kann.

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