Ausgabe 22/2012: Ladehemmung

LadehemmungMehrmarkenvertrieb – Viele Betriebe denken über die Aufnahme einer neuen Marke nach. Erfolgsfaktoren und Hindernisse. Von doris PlateDie Zeit ist reif für Neues: Über ein Drittel der Händler überlegen bzw. sind bereits in konkreten Verhandlungen zur Aufnahme einer neuen Marke. Die Unternehmensberatung Plus Sales GmbH, die die BMW AG, Volkswagen Nutzfahrzeuge, Adam Opel AG, Citroen Deutschland und verschiedene große Automobilhandelsgruppen berät, hat insgesamt 286 Händler befragt, was sie davon abhält, eine neue Marke zu übernehmen, und wann sie gerne mitmachen. Diplom-Kaufmann Franz-Josef Brand, Geschäftsführer der Unternehmensberatung, berichtet im Gespräch mit AUTOHAUS über die Ergebnisse.AH: Herr Brand, liegt der Erfolg im markengebundenen Automobilhandel zukünftig im Mehrmarken-Vertrieb? F.-J. Brand: Unsere Studie hat klar gezeigt, dass etwa ein Drittel der befragten Händler zur Aufnahme einer weiteren Marke oder auch zum Austausch einer bestehenden Marke bereit sind. Eine Zweitmarke ist dann sinnvoll, wenn sie zusätzliche Perspektiven für den Betrieb bietet, weil sich beispielsweise die Produkt-Segmente ergänzen (z. B. Cabrio, SUV etc.) und Eroberungsgeschäfte möglich sind. Das Potenzial liegt im Produktportfolio und in der aktiven Nutzung der Chancen, die eine neue Marke bietet. Ein wesentlicher Erfolgsbaustein für das Autohaus bei der Einführung einer Zweitmarke ist auf alle Fälle der Markenverantwortliche. Die Implementierung der neuen Marke darf nicht allein der Mitarbeiter-Ebene überlassen werden, sondern ist eine Managementaufgabe mit oberster Priorität. Die Einführung einer neuen Marke in einem Autohaus ist nach innen gegenüber den Mitarbeitern und nach außen gegenüber den Kunden alles andere als ein Selbstläufer. Hyundai und Kia vorneAH: Wovon hängt es ab, ob sich ein Händler für eine Marke interessiert?F.-J. Brand: Die aktuellen Ergebnisse zeigen eindeutig in Richtung eines potenzial- und analysegetriebenen Markeninteresses anstelle von Zeitgeist-spezifischen oder anderen subjektiven Kriterien. Dabei liegen Premiummarken sowie Marken des Volkswagen-Konzerns plus Hyundai und Kia ganz vorne. Weniger attraktiv für einen Händlervertrag erscheinen aktuell Volumenmarken, welche teilweise auch unter erheblichen Absatzproblemen leiden. Basis eines neuen Markenvertrages ist aber ein realistischer Business Case. Für den einzelnen Standort müssen sorgfältig Nutzen, Aufwand und Risiken bei der Investition in eine neue Marke analysiert und bewertet werden. Was hilft dem Händler eine vermeintlich „attraktive Marke“, wenn der Markt keine ausreichende Perspektive hinsichtlich Wettbewerbsumfeld, Kunden, Absatz und Marktentwicklung bieten kann.Handel teilweise überfordertAH: Wird der Handel bei aller gebotenen Unterstützung der Hersteller finanziell fair gefordert?F.-J. Brand: Vor dem Hintergrund hoher Markenimage-Ziele wird der Handel teilweise überfordert. Hersteller-Standards gehen bei der Marken-Signalisation zu wenig auf die individuellen Gegebenheiten der Immobilie des Handelspartners ein, was hohe Umbaukosten verursacht. Dazu kommen noch bauliche Anforderungen wie Gebäudeflächen und Grundstücksgröße. Wünschenswert aus Sicht der Händler ist es in diesen Punkten, besser zwischen den Standards für den qualitativen Markenauftritt und den Gegebenheiten vor Ort abzuwägen. Standards des Herstellers haben sich an den Möglichkeiten von Standort, Geschäftspartner und Ertragschancen zu orientieren. Sie sollten flexibler gehandhabt werden, abgesehen von den wesentlichen, modularen Standards, die für alle Partner verbindlich sind. Vieles ist zu komplex, weniger ist vielfach mehr. Investitionsunterstützung gefragtAH: Sind zunehmender Margendruck und Preiswettbewerb einer von vielen Gründen, warum Händler ein größeres finanzielles Entgegenkommen bei den Investitionen z. B. in der Umsetzung der Standards fordern?F.-J. Brand: Die aktuell nachlassende Kundennachfrage, die schlechter werdende Absatzsituation und die zunehmenden Rabatte führen zu einer Erosion der Margen und der Erträge, auf die die meisten Händler nicht so schnell und so flexibel mit notwendigen Kosteneinsparungen antworten können. Wenn in dieser angespannten Situation auch noch größere Investitionen entschieden werden müssen, steht der Händler vor einer Kardinalsfrage: Geht er das Risiko weiterer Investitionen zu Lasten der finanziellen Flexibilität und der Absicherung ein? Es liegt auf der Hand, dass in diesem Blickwinkel nach einer höheren Investitionsunterstützung gerufen wird, wenn der finanzielle Spielraum nicht mehr so gegeben ist.AH: Würde eine Reduktion der Standards, wie sie immer stärker gefordert wird, das Engagement für eine neue Marke und die Investitionsbereitschaft auf Händlerseite erhöhen?F.-J. Brand: Ich sehe zwei Möglichkeiten: Entweder werden die Standards auf ein realistisches Niveau angepasst, wenn eine Unterstützung des Händlers nicht verbessert wird, oder umgekehrt Investitionshilfen werden erhöht unter Beibehaltung der Standards auf hohem Niveau. Ein Hersteller oder Importeur, der einen Open Point mit einem qualifizierten „Wunschhändler“ besetzen möchte, ist gut beraten, hinsichtlich der geforderten Standards und zu realisierenden Investitionen den Verhandlungsspielraum zu nutzen.Jagen oder WildernAH: Unternimmt die neue Marke genügend, um tatsächlich neue Kunden zu gewinnen, oder wird eher die Strategie seitens der Hersteller und Importeure verfolgt, Kunden aus dem bestehenden Kundenstamm des Händlers abzuschöpfen? F.-J. Brand: Auf diesem Gebiet fehlt es an zwingenden und überzeugenden Konzepten zur systematischen Bearbeitung des Marktes mit einer neuen Marke. Hier wird der Handel von den Herstellern und Importeuren häufig allein gelassen. Gegen ein „Jagen“ im bestehenden Kundenstamm des Händlers durch die neue Marke ist im Grunde nichts einzuwenden, wenn es kein „Wildern“ ist. Aber der Händler benötigt vom Hersteller/Importeur Unterstützung und Argumentationshilfe, wie Bestandskunden, die loyalitätsgefährdet sind, weil sie ihr Wunschmodell bei der angestammten Marke nicht (mehr) finden, überzeugend angesprochen werden können. Gerade bei diesen Kunden, und es schlummern im Kundenstamm der Händler zahllose vergleichbare Fälle, bietet die neue Marke das gewünschte und erwartete zusätzliche Absatzpotenzial. Hinzu kommen die markenaffinen Kunden der neuen Marke, die durch gezielte Marketing-, Event- und Werbeaktivitäten angesprochen und gewonnen werden wollen. Erst durch diese „duale“ Kundengewinnungs-/Rückgewinnungs-Strategie lässt sich das Potenzial einer neuen Marke auch wirklich absatzsteigernd und gewinnbringend ausschöpfen.AH: Herr Brand, danke für das Gespräch!KurzfassungNeue andere oder zusätzliche Marke? Oder nicht? Die „Nibelungentreue“ der Händler nimmt ab. Immer wichtiger wird für sie, ob es den Herstellern und Importeuren gelingt, zwischen den wünschenswerten Standards für den qualitativen Marktauftritt und den Gegebenheiten vor Ort abzuwägen. Wenn die Standards auf hohem Niveau sind, müssen Investitionshilfen her.

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