Sachverständige: Kostenerstattung für mangelhaftes Gutachten

KURZFASSUNG 1. Die fehlende Restwertermittlung bei einem wirtschaftlichen Totalschaden stellt in der Regel einen Mangel dar, der unter Umständen zur völligen Unbrauchbarkeit eines Gutachtens führen kann. 2. Dieser Mangel kann jedoch durch Eigeninitiative des Geschädigten beseitigt werden. Der Geschädigte kann dann Ersatz der Kosten für das ursprünglich mangelhafte Sachverständigengutachten verlangen. 3. In der Praxis ist das Einholen von Schadensgutachten samt Restwertermittlung üblich. Der Geschädigte kann aber auch auf einem anderen Weg den Ersatz des ihm entstandenen Schadens darlegen. 4. Ein überhöhter Kostenansatz oder ein Mangel des Gutachtens ist dem Geschädigten entsprechend den Grundsätzen des Sachverständigenrisikos nicht anzulasten, es sei denn, dass der Fehler im Gutachten auf falschen oder lückenhaften Angaben des Geschädigten beruht. Anfang 2022 kam es zu einem Verkehrsunfall zwischen einem Schlepper mit angehängtem landwirtschaftlichem Gerät (einer sogenannten Feldspritze) und einem Pkw, bei dem sich das Schlepper-Gespann überschlug. Unstreitig war, dass der Pkw-Fahrer dem Grunde nach dem geschädigten Eigentümer des Gespanns den ihm aus dem Verkehrsunfall entstandenen Schaden zu ersetzen hatte. Der vom Geschädigten beauftragte Sachverständige stellte mit jeweils schriftlichen Gutachten den am Schlepper und am Anhänger entstandenen Schaden fest. Gemäß den Gutachten überstiegen die Bruttoreparaturkosten jeweils den Wiederbeschaffungswert, sodass gutachtensgemäß jeweils ein Totalschaden vorlag. Ebenfalls hielt das Sachverständigengutachten fest, dass jeweils kein Restwert mehr zu erzielen sei, und sah von der Einholung von Restwertangeboten ab. Der Geschädigte selbst holte danach auf dem allgemeinen regionalen Markt drei Restwertangebote für den Schlepper ein und veräußerte diesen an den Meistbietenden für 20.000 Euro netto. Für das Gutachten betreffend den Schlepper zahlte der Geschädigte an den Sachverständigen 3.056 Euro netto. Die Haftpflichtversicherung des Unfallschädigers übermittelte nach dem Verkauf des Schleppers durch den Geschädigten an diesen ein sogar höheres Restwertangebot und verweigerte - neben anderem - die Erstattung des Sachverständigenhonorars für das Schlepper-Gutachten. Zur Begründung wurde angegeben, das Sachverständigenhonorar sei nicht erstattungsfähig, weil es wegen des fehlenden Ausweises eines Restwerts mangelhaft und nicht brauchbar sei. Es kam in der Folge zum Rechtsstreit, der durch das OLG Schleswig-Holstein mit Berufungsurteil vom 17.1.2025 (Az. 7 U 45/24) rechtskräftig zugunsten des Geschädigten entschieden wurde. Grundsatz § 249 BGB Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist ein Geschädigter im Rahmen seiner sogenannten "Ersetzungsbefugnis" gemäß § 249 BGB nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel der Schadensbehebung frei. Er darf zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen, der aus seiner Sicht seinen Interessen am besten zu entsprechen scheint. Dem Ziel einer Schadensrestitution ist es, denjenigen Zustand wiederherzustellen, der wirtschaftlich gesehen der Lage ohne das Schadensereignis entspricht. Ein Geschädigter ist deshalb grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung eines Schadensgutachtens zu beauftragen und die hierfür anfallenden Kosten ersetzt zu verlangen. Grenzen der Erforderlichkeit Allerdings kann ein Geschädigter vom Schädiger nach § 249 BGB nur einen "erforderlichen Herstellungsaufwand" erstattet verlangen. Als Ausgangspunkt gilt gemäß BGH der Standpunkt eines "verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten", nach dessen Beurteilung ein konkreter Herstellungsaufwand zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheint. Wenn der Geschädigte deshalb die Höhe der Kosten für die Schadensbeseitigung beeinflussen kann, ist er nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Subjektive Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten sind zu berücksichtigen. Sachverständigenrisiko Ein Landwirt wird nun aber in der Regel kaum über subjektive Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten verfügen, um zu beurteilen, ob durch den Sachverständigen eine Restwertermittlung für seinen beschädigten Schlepper durchzuführen ist oder nicht. Solchen Möglichkeiten sind nach dem Urteil des BGH vom 12.3.2024 (Az. VI ZR 280/22) einem Geschädigten im werkvertraglichen Verhältnis mit einem Kfz-Sachverständigen jedenfalls dann Grenzen gesetzt, sobald er den Gutachtenauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände des Gutachters gegeben hat. Ersatzfähig im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger sind demnach im Bereich der Schadensermittlung durch einen Sachverständigen auch diejenigen Schadenspositionen, die ohne Schuld des Geschädigten wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise (des Sachverständigen) unangemessen, also zur Schadenswiederherstellung eigentlich nicht "erforderlich" im Sinne des Gesetzes sind. Zum Sachverständigenrisiko im Einzelnen siehe den Beitrag in AUTOHAUS 10/2024. Urteil des OLG Schleswig-Holstein Nach dem Urteil des OLG Schleswig-Holstein war das verfahrensgegenständliche Sachverständigengutachten nicht als vollständig unbrauchbare Leistung anzusehen, die zu einer Minderung des Sachverständigenhonorars auf Null führen musste. Zwar handelte es sich bei der fehlenden Restwertermittlung, so das OLG, um einen Mangel, der unter Umständen sogar zur völligen Unbrauchbarkeit des Gutachtens führen kann. Dieser Mangel wurde jedoch im vorliegenden Fall ohne weiteren Kostenaufwand durch die Einholung von Restwertangeboten durch den Geschädigten auf dessen Eigeninitiative beseitigt. Auch waren die anderen Schadenspositionen aus dem Gutachten, etwa der Wiederbeschaffungswert, für die Schadensabwicklung nutzbar. Eine ordnungsgemäße Schadensabrechnung wurde demgemäß nicht verhindert. Das OLG sah in der Konsequenz das Gutachten für die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs als "erforderlich und zweckmäßig" an. Auch war der Fehler im Gutachten dem Geschädigten nicht zuzurechnen, weil der Fehler nicht etwa auf falschen oder lückenhaften Angaben des Geschädigten selbst beruhte. Es widerspräche nach den Darlegungen des OLG den Grundgedanken des Schadensersatzes, wenn im Rahmen des Schadensausgleichs für das letztlich sogar brauchbare Gutachten kein Ersatz zu leisten wäre, nur weil der Geschädigte die fehlenden Aspekte selbst ergänzte, anstatt dies vom Gutachter zu fordern. Der Umstand, dass die Praxis normalerweise das Einholen von Schadensgutachten samt Restwertermittlung vorsieht, führt nicht dazu, dass ein Geschädigter nicht auch auf einem anderen Weg den Ersatz des ihm entstandenen Schadens darlegen und nachweisen kann. Vorliegend kompensierte der Geschädigte mittels einer Kombination aus sachverständiger Schadensbewertung und eigener korrekter Restwertermittlung die teilweise Unvollständigkeit des Sachverständigengutachtens. In der Konsequenz verurteilte das OLG die Haftpflichtversicherung des Unfallschädigers zur vollen Erstattung des Sachverständigenhonorars. Rechtsanwalt Rainer Bopp kanzlei@raehaug-partner.de www. haug-partner.de KOMMENTAR Ein Sachverständiger ist kein "Erfüllungsgehilfe" seines Auftraggebers im Sinne des § 278 BGB. Insofern hat sich ein Unfallgeschädigter ein "Verschulden" des Sachverständigen im Sinne der Erstellung eines mangelhaften Gutachtens auch nicht als eigenes Verschulden zurechnen zu lassen. Diesbezügliche Zurechnungs-Einwendungen von Haftpflichtversicherungen sind zurückzuweisen. Lediglich dann, wenn dem Geschädigten selbst ein Verschulden bei der Auswahl des Sachverständigen zuzuweisen ist, kann er die Erstattung von Sachverständigenhonorar nicht erfolgreich verlangen. Ein solches Auswahlverschulden kommt letztlich dann in Betracht, wenn der Geschädigte einen erkennbar ungeeigneten Sachverständigen mit der Begutachtung beauftragt. Liegt eine solche Erkennbarkeit nicht vor, ist vom Unfallschädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung ein vom Geschädigten an den Sachverständigen gezahltes Honorar regelmäßig zu erstatten; Ausnahmen wie immer außen vor. Die Haftpflichtversicherung ist dadurch auch nicht rechtlos gestellt, nachdem sie sich Schadensersatzansprüche gegen den Sachverständigen vom Unfallgeschädigten abtreten lassen und gegenüber dem Sachverständigen eine Rückerstattung geltend machen kann.

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