"DER SPIEGEL" schreibt am 10. Juni 2023 in Ausgabe Nr. 23, dass chinesische Automarken mit Macht in den deutschen Markt drängen. Die nächste Kulturrevolution! Das ist in der Tat unübersehbar; im AUTOHAUS 21/22 2022 und in der Autoflotte 1/2 2023 schrieb unser Kommentator Dr. Armin Schirmer darüber Beiträge. Titel: "China auf dem Vormarsch?"
Die Autoren des "SPIEGEL" untermauern ihre Aussagen mit zwei Zahlen: Rund 29.000 neue chinesische Fahrzeuge wurden 2022 in Deutschland zugelassen. Und 42 Prozent der Befragten würden für ihr nächstes Auto eine chinesische Marke in Betracht ziehen. Diese Zahl sei von 30 Prozent im Dezember 2022 bis zum Mai 2023 auf 42 Prozent gestiegen.
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Alle Händler, die keine chinesischen Marken verkaufen und den "SPIEGEL" lesen, müssten jetzt eigentlich alarmiert sein. Fast die Hälfte der deutschen Autokäufer würde eine chinesische Marke erwägen. Das ist sehr irritierend, kennt man doch aus der Marktforschung andere Zahlen als die 42 Prozent.
Die 29.000 Neuwagen stimmen, und stammen vor allem von MG Roewe (15.684), Lynk & Co (6.626) und Polestar (7.008). Die Zahlen von MG sind tatsächlich beeindruckend; MG ist in Deutschland sehr aktiv und auf traditionelle Weise erfolgreich, mit guten Fahrzeugen, günstigen Preisen und klassischen Autohäusern als Agentur-Partner. Noch erfolgreicher ist MG in Großbritannien, wo man die Marke noch aus alten Zeiten kennt. Lynk hat von den 6.626 neuen Fahrzeugen 6.239 bei Autovermietern untergebracht; diese sind noch nicht verkauft. An private Kunden gingen nur 32! Die ursprünglich schwedische Marke Polestar arbeitet sich langsam vor. Die übrigen chinesischen Marken schaffen auch in den ersten fünf Monaten des Jahres 2023 nur sehr kleine Zulassungszahlen.
Noch interessanter als die Zulassungszahlen ist die Befragung über die Kaufbereitschaft der Kunden. Es handelt sich um eine Befragung der Kunden des Neuwagen-Portals Carwow. Diese Kundengruppe ist zum einen überhaupt nicht repräsentativ für die deutschen Autokäufer. Sie sind vermutlich viel jünger und online-affin und für neue Marken aufgeschlossener. Zum anderen antworten online vor allem Befürworter oder Ablehner, die große Mitte antwortet nicht. Somit sind diese aufsehenerregenden Zahlen nicht wirklich aussagekräftig.
Die repräsentativen Zahlen des Marktforschungsunternehmen Civey 11/2023 lauten etwas anders: 11,9 Prozent sind offen oder eher offen für chinesische Marken, 9,4 Prozent unentschieden, 78,7 Prozent dagegen. Bei Fuhrparkleitern können sich zwölf Prozent eine chinesische Marke vorstellen. Diese Zahlen sind eher realistisch und ein nicht zu unterschätzender Einstieg. Mehr können die neuen Marken gar nicht erwarten.
Für eine "Kulturrevolution" im SPIEGEL sind diese realistischen Zahlen allerdings zu niedrig, nicht revolutionär genug. Die Händler europäischer Marken können vorerst aufatmen; nicht jeder zweite Kunde wird ein chinesisches Auto wählen.