Fahrzeugkameras, 2. Teil: Keine "Kronzeugenregelung" für Dashcams

Wie die Resonanz auf unseren AUTOHAUS-Beitrag in Heft 4/2016 gezeigt hat, werden Bordkameras immer öfter in Fahrzeugen eingesetzt. Nachdem die Rechtslage, wie dort ausgeführt wurde, noch nicht hinreichend geklärt ist, besteht eine erhebliche Unsicherheit bei den Dashcam-Nutzern. Wir haben deshalb in unserem vorhergehenden Beitrag versucht, zumindest eine Orientierungshilfe zu geben, und uns dabei auf den klassischen Anwendungsbereich der Unfall-Dashcam beschränkt sowie die hierzu ergangenen Urteile besprochen. Danach ist eine Videoüberwachung nach § 6 lit. b Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) nur zulässig, soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen bzw. Unfallbeteiligten überwiegen. Welche Vorgaben demgegenüber bei der unfallunabhängigen Aufzeichnung einer Dashcam gelten, hat das Landgericht Memmingen mit Urteil vom 14.01.2016 entschieden (vgl. DAR 2016, S. 143 ff.). Der dortige Beklagte hatte seinen Pkw regelmäßig schräg gegenüber dem Anwesen des Klägers geparkt und dabei eine aufnahmebereite Bordkamera an der Windschutzscheibe befestigt, die sich automatisch per Bewegungsmelder einschaltete und Vorgänge in Blickrichtung der Kamera aufzeichnete. Zudem wurde durch ein kleines Schild am Fahrzeugfenster auf die vorhandene Bordkamera hingewiesen. Überwachungsinteresse Hintergrund dieser Aktion war die vom Beklagten bezweckte Beweisführung aufgrund der generellen Gefährlichkeit des Straßenverkehrs und Vandalismus oder Sachbeschädigung. Was Letzteres anbelangt, war seine Überwachung "von Erfolg gekrönt", weil er anhand seiner Videoaufzeichnung nachweisen konnte, dass die gegenüber wohnhafte Klägerin sein Fahrzeug mutwillig zerkratzt hatte. Es folgten wechselseitige Strafanzeigen wegen Sachbeschädigung bzw. widerrechtlicher Videoüberwachung. Darüber hinaus wurde mit Blick auf die Überwachungskamera eine Unterlassungsklage eingereicht und wegen der bisherigen Aufzeichnungen Schadenersatz und Schmerzensgeld eingeklagt. Die Klägerin bestreitet eine Sachbeschädigung des Beklagtenfahrzeugs und sieht in der Überwachung des Eingangsbereichs zu ihrem Wohnanwesen eine Verletzung ihres informationellen Selbstbestimmungsrechts. Das damit befasste Landgericht hat zunächst einen Ortstermin anberaumt und dabei festgestellt, dass von der Kamera auch der Einfahrtsbereich zum Anwesen der Klägerin erfasst wird, wenngleich aus der Videoaufzeichnung eine konkrete Person nur dann erkennbar ist, wenn diese zuvor die Kamera in geringer Entfernung passiert. Gleichwohl verstößt eine derartige Beobachtung des öffentlichen Straßenraums und des Zugangsbereichs der Klägerin gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, weil die Videoaufzeichnung weder zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen noch zur Wahrnehmung des Hausrechts der Beklagten diente. Sie wäre deshalb nur zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke unter der Voraussetzung zulässig, dass ihre schutzwürdigen Interessen überwiegen. Privatsphäre Dies sei jedoch vorliegend zu verneinen, weil die nur theoretische Möglichkeit zur Beweisführung bei Sachbeschädigungen gegenüber dem Schutz der klägerischen Privatsphäre zurücktritt. Insbesondere sei es für den Kläger nicht zumutbar, ihn oder seine Besucher ständig einer Beobachtungsgefahr ausgesetzt zu sehen. Nachdem auch keine konkreten Anhaltspunkte für eine gerichtliche Beweisführung in naher Zukunft vorlagen, sei ein überwiegendes Überwachungsinteresse zu verneinen. Zudem wurde die Überwachungsmaßnahme entgegen § 6 b II BDSG auch nicht in geeigneter Weise deutlich gemacht. Insbesondere genügt das kleine Warnschild im Pkw-Fenster nicht diesen Anforderungen, weil es nicht ins Auge sticht und erst ersichtlich ist, wenn die Kamera die jeweilige Person bereits erfasst hat. Zudem hat der Beklagte nicht dargelegt, dass die Aufzeichnung nur auf die erforderliche Dauer beschränkt gewesen wäre, weil die Speicherdauer und das automatische Überschreiben der Aufzeichnung abhängig von der jeweiligen Speichergröße ist und daher dem Zufall überlassen war. Beweiserhebungsverbot Selbst wenn sich aus der Videoaufnahme eine Sachbeschädigung des Klägers am Beklagtenfahrzeug ergeben würde, so stünde dies dem Unterlassungsanspruch nicht entgegen. Nachdem die Videoaufnahme unter Verstoß gegen § 6 b I BDSG entstanden ist, unterliegt sie einem Beweiserhebungsverbot. Der Nachweis einer vorsätzlichen Sachbeschädigung durch den Kläger lässt sich somit nicht führen. Verbotswidrig erlangte Beweismittel sind nur ausnahmsweise verwertbar, wenn der geschützten Privatsphäre der Klägerin überwiegende Interessen des Beklagten gegenüberstehen. Dies ist jedoch vorliegend zu verneinen, weil die Zulassung von rechtswidrig erlangten Videoaufzeichnungen zu einer weiteren Verbreitung von Dashcams und in der Folge zu einer dauerhaften und flächendeckenden Überwachung im öffentlichen Verkehr führen würde. Dem muss mit Blick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Einhalt geboten werden, "sofern es nicht um wesentlich bedeutendere Rechtsgüter als den bloßen Eigentumsschutz geht." Dem gegen das Persönlichkeitsrecht verstoßenden permanenten Überwachungsdruck kann nur dadurch ausreichend begegnet werden, dass auch das Bereithalten einer aufnahmebereiten Bordkamera untersagt wird. Nachdem die aufgenommenen Personen nicht unterscheiden können, ob gerade eine Aufnahme erfolgt oder nicht, geht der Überwachungsdruck bereits von einer aufnahmebereiten Kamera aus, so dass deren Bereithalten zum Zwecke eines effektiven Rechtsschutzes zu untersagen ist. Kurzfassung 1. Die Umgebungsüberwachung mit einer Dashcam ist mangels einer konkreten Gefährdungslage in der Regel unzulässig.2. Die nur theoretische Notwendigkeit einer Beweisführung im Falle von Vandalismus oder Sachbeschädigung genügt nicht für ein überwiegendes Interesse i.S.d. Bundesdatenschutzgesetzes.3. Auch ein kleines am Pkw-Fenster angebrachtes Hinweisschild auf die Dashcam genügt nicht den Anforderungen des § 6 b Abs. 2 BDSG.4. Die vor diesem Hintergrund unzulässig gespeicherten Videoaufnahmen unterliegen auch im Strafverfahren in der Regel einem Beweisverwertungsverbot. Kommentar Die nebenstehende Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig und es bleibt deshalb abzuwarten, ob die dortige Güterabwägung in der Berufungsinstanz hält. Natürlich ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor einer ausufernden Aufzeichnungsmentalität einiger Dashcam-Besitzer zu wahren. Ob allerdings der legitime Eigentumsschutz bzw. das Beweissicherungsinteresse eines Fahrzeugbesitzers zu einer "flächendeckenden Überwachung im öffentlichen Verkehr führen", wie vom Landgericht befürchtet, darf bezweifelt werden. Gleiches gilt für den "permanenten Überwachungsdruck", dem nach Auffassung des Landgerichts nur dadurch ausreichend begegnet werden kann, dass das Bereithalten einer aufnahmebereiten Bordkamera generell untersagt wird. Das vom Kläger neben der Unterlassung geltend gemachte Schmerzensgeld wegen der Verletzung seines Persönlichkeitsrechts hat das Landgericht dann doch mangels schwerwiegenden Eingriffs und im Widerspruch zu seiner Rechtsgüterabwägung beim Unterlassungsanspruch abgewiesen.Rechtsanwalt Walter Sattler

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