Deutsche Hersteller: In die richtige Richtung Gas geben

Die deutsche Presselandschaft übertraf sich kürzlich wieder in dystrophischen Voraussagen zum drohenden Untergang der deutschen Autoindustrie in den kommenden Jahren. Ein Blick auf die Welt der neuen Automobilität Ende 2023 gibt in der Tat Grund zum Grübeln: Das sowohl europäisch als auch weltweit meistverkaufte Auto - antriebsübergreifend - kommt aus den USA. Tesla hat sich mit dem Model Y an die Spitze der Rangliste gesetzt und auch das Model 3 in die vorderen Ränge platziert. Es zeigt, dass der elektrische Antrieb vor Kunde funktioniert und sich auch betriebswirtschaftlich rechnet. BYD überholt Volkswagen in China als meistverkaufte Marke, dominiert den Markt für NEV (PHEV und BEV) und demonstriert, dass konsequente, fokussierte Arbeit an Produkt, Wertschöpfungskette und Marke sich zumindest einmal in China ausgezahlt hat. Weltmarktführer Toyota taucht in den Erfolgsrankings für Elektromobile (fast) gar nicht auf - es gibt schlichtweg noch keine nennenswerten BEV-Produkte. Die Nummer zwei in der Welt - Volkswagen Group - ist bei den BEV in Europa die Nummer zwei, in den USA die Nummer fünf und in China so gerade einmal unter die Top 20 gerutscht. Die deutsche Politik, eigentlich dafür verantwortlich, im Heimatland die Weichen für den zukünftigen Erfolg seiner Schlüsselindustrien und damit die Arbeitsplätze zu stellen, zieht sich als aktiver Akteur zurück und beschränkt sich auf Absichtserklärungen. Welche konkreten Maßnahmen zum Gelingen dieser Transformation beitragen sollen, ist nicht auszumachen. Die Wertschöpfung vom Rohstoff bis zur Zellfertigung des mit Abstand wichtigsten Bauteils der neuen Mobilität - der Batterie - liegt weitgehend außerhalb europäischen Zugriffs. China hat langfristig gedacht und entwickelt. Deutschland ist spät gestartet Und trotzdem: Es gibt auch eine alternative Lesart. Bis auf BMW haben die deutschen OEM erst seit 2015 ernsthaft begonnen, Produkte für eine elektrische, vernetzte Zukunft zu entwickeln. Einen kompletten Produktzyklus später als Tesla (S) sowie rund fünf Jahre später als das nationale Wissenschafts- und Wirtschafts-Ökosystem aus China. Es ist also kein Wunder, dass auf dieser Basis keine Generation von wettbewerbsüberlegenen Produkten entstehen kann. Der große Druck, bis 2020 auch noch die europäischen CO2-Compliance-Ziele zu erreichen, führte in der Folge zudem zu verfrühten Markteinführungen "unfertiger" Fahrzeuge gerade auch im VW-Konzern. Volkswagen Seit 2020 die ersten Fahrzeuge der ID-Reihe an Kunden übergeben wurden, ist viel Positives passiert. Der kürzlich vorgestellte ID.7 zeigt, dass VW nach einem halben Produktzyklus wieder technisch voll auf Augenhöhe mit dem internationalen Wettbewerb - auch im Bereich Software - angekommen ist. Auch alten Tugenden wie der wahrgenommenen und echten Materialqualität wird wieder Augenmerk geschenkt. Als Problem für den Neuwagen-Verkauf bleiben bis zum Ende der ersten VW-BEV-Generation das austauschbare Außendesign und die für den Massenmarkt zu hohen Preise. Die Konzerntöchter Skoda (Enjaq) und Cupra (Born, Tavascan) zeigen ja bereits, wie es klappen kann. Mit dem Start der zweiten Generation Volkswagen-Group-MEB-Fahrzeuge 2026 aus Spanien (VW ID.2, Skoda "E-Fabia", und Cupra Raval) sollte dann auch die Kostenbasis besonders des Batterie-Systems wieder wettbewerbsfähig(er) sein. Restwerte der ersten ID-Fahrzeugjahrgänge werden leider auch weiterhin eine Kopfschmerzgarantie für den jeweiligen Eigentümer bedeuten. Das wird VW über seine Bank wegregeln müssen, wenn die wichtige Klientel der "first mover" nicht endgültig verprellt werden sollen. Audi und Porsche Nach vielen Verschiebungen laufen dieses Jahr endlich die für beide Marken so bedeutenden ersten Modelle auf der SSP-Plattform an. Der Q6 sowie neue Macan werden zeigen, ob der Business Plan beider Marken auch in der elektrischen Welt wirklich aufgeht. Der Macan war bislang das Brot-und-Butter-Modell der Zuffenhausener, die Grundlage für Volumen und Gewinn. Der Neue muss dies erst noch beweisen. Der Audi Q6 soll zu einem neuen Beweis für "Vorsprung durch Technik" werden und zu einem wichtigen Volumenmodell in der elektrischen Welt für die Marke. Mercedes und BMW Mercedes hat mit seinen ersten reinen BEV-Fahrzeugen wie dem EQA sicherlich noch nicht den eigenen Markenanspruch (Das Beste oder Nichts) erfüllt, pirscht sich aber mit jeder Neueinführung näher an die Erwartung der Kunden an einen Mercedes heran. Softwareseitig steht die Marke durch eine gelungene hauseigene Plattform (MBUX) und sehr intelligente Integration von Partnersoftware bereits sehr gut im globalen Wettbewerb da. BMW hat in kurzer Zeit eine erstaunlich kompetente Palette von reinen BEVs in den Markt eingeführt und mit dem I7 sicherlich eines der besten Fahrzeuge überhaupt auf dem Markt. Auch die elektrische Design-Linie gefällt und passt zum Markenkern. Beiden Marken gemein ist die Fähigkeit, zusammen mit Lieferanten vorwiegend aus dem deutschen Ökosystem die bisher einzigen wirklich straßentauglichen Autopilot-Funktionen Level 3 homologiert zu haben. Aufholjagd Batterie Nachdem die deutschen Hersteller bislang komplett auf die Hilfe asiatischer Batterie-Zulieferer angewiesen waren, entsteht besonders im VW-Konzern mit der PowerCo ein neues Kompetenz-Unternehmen für die Entwicklung und Produktion von hauseigenen Batterien. Bis zu sechs Zellfertigungen sind geplant, drei davon bereits entschieden und im Bau (je eine in Deutschland, Kanada sowie Spanien). Daneben ist die VW-Group massiv in die eigene Zellentwicklung eingestiegen und hat neben dem neuen Konzern-Einheitszellformat (für ca. 80 Prozent aller Konzern-Fahrzeuge) auch bereits einen konkreten Ausblick auf die Nutzung von Feststoff-Zellen mit dem Partner Quantumscape gegeben. In China wird die Eigenentwicklung mit dem Partner Gotion vorangetrieben. Mercedes-Benz ist zusammen mit Stellantis und Total Energies Eigentümer des neuen europäischen Zellherstellers ACC. Aus drei Werken soll die Zellversorgung in Eigenregie für die beteiligten Hersteller erfolgen. Das neue Mercedes-E-Kompetenzzentrum soll ähnlich der VW-PowerCo für hauseigene Entwicklung neuer Zellgenerationen sorgen. BMW verlässt sich weiterhin auf strategische Zulieferer wie zum Beispiel CATL, die schon früh eine enge Bindung zum BMW-System hatten. Was am Ende bleiben wird, ist die Abhängigkeit Deutschlands von den Batterie-Rohstoffen (Licium und seltene Erden). Hier hilft wohl nur eine enge Beschäftigung mit den Konzepten der Kreislaufwirtschaft. Sich in China behaupten Als größter Absatzmarkt der Welt und Heimatbasis der innovativsten und schnellsten Wettbewerber unserer deutschen Hersteller gibt es eigentlich nur einen wirklich erfolgversprechenden Zukunftsweg. Wer auf der Welt langfristig erfolgreich bleiben will, muss sich in China behaupten und durchsetzen. Auf dem chinesischen Markt herrscht ein gnadenloser Wettbewerb, man spricht von 50 Prozent Überkapazität. Es beginnt jetzt eine Auslese unter den Herstellern, die wir in Europa in dieser Form nicht kennen. Diese Auslese führt zur Zeit nicht nur zu einem fast ruinösen Preiswettbewerb, sondern auch zu einer unglaublichen Steigerung von Effizienz in Produktion und im Produktentstehungs-Prozess. Die chinesischen OEM entwickeln ihre Produkte deutlich schneller (3 statt 5 Jahre) und kostengünstiger und sind damit in der Lage, Innovationen in großer Geschwindigkeit in die Serie zu bringen. Unser bisheriges "Deutsches Know-how-Exportmodell" (entwickelt in Deutschland für die Welt) muss daher dringend erneuert werden - es ist einfach nicht mehr wettbewerbsfähig. Aber auch hier zeichnet sich eine Wendung zum Positiven ab. Volkswagen als exponiertester deutscher Hersteller in China beginnt, seine Produktentwicklung nach China zu verlagern - zunächst für die Entwicklung lokaler chinesischer Produkte. Rund um das dritte und in VW-Mehrheitsbesitz befindliche JV in Anhui entsteht ein Kompetenzzentrum "China for China". Zusammen mit weiteren Partnern wie XPeng, SAIC und Horizon Robotics (auch das ist neu) entwickelt VW hier eine neue Elektroplattform und Kompetenz für intelligente elektrische Autos. Starke Faktoren Marke und Handel Oft vergessen und doch so wirkungsvoll - die deutschen Hersteller besitzen die bekanntesten und wertvollsten Automarken der Welt und funktionierende, effektive (aber etwas zu teure) Handelspartnersysteme. Gerade die chinesischen Newcomer begreifen erst jetzt, wie stark beide miteinander wirken und den Markt schützen. Die Aufgabe muss es sein, die bestehenden Marken zukunftsfähig und strahlend für die neue Generation von Kunden aufzustellen. Das geht nur durch Kampfgeist, Leistung, Fähigkeit und Wille gerade in China - aber auch immer mehr in Europa. Die Unerschrockenen und Unverzagten werden es schon schaffen. TRENDS Deutsche Hersteller auf dem richtigen Weg mit Technik und Design VW mit ID-Reihe technisch up to date und mit echter Markenqualität Audi und Porsche müssen erst zeigen, ob ihr Businessplan auch in der elektrischen Welt aufgeht. Mercedes nähert sich bei seinen BEV-Fahrzeugen seinem Qualitätsanspruch an. BMW mit erstaunlich kompetenter BEV-Palette Batterie-Kompetenz entsteht bei deutschen Herstellern China ist entscheidender Markt, positives Zeichen: VW verlagert Produktentwicklung nach China Hersteller müssen sich ihrer Stärken bewusst werden: wertvolle Marken und funktionierende Handelspartnersysteme DER AUTOR Jürgen Stackmann zählt zu den bekanntesten Automanagern Deutschlands. Unter anderem war er im Vorstand der Hersteller VW, Seat, Skoda und Ford tätig. Er gilt als Experte für die Bereiche Management, Vertrieb, Marketing und Finanzen. Seit 2021 hat Stackmann einen Lehrauftrag an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU). Zudem ist er Direktor des Institutes für Mobilität an der Universität St. Gallen. Seit 2024 verfasst der Branchenkenner exklusiv die Kolumne "Stackmann schreibt" auf www.autohaus.de. Mehr dazu finden Sie online, scannen Sie einfach den QR-Code:

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