Stackmann schreibt: So zukunftsfähig ist die deutsche Autoindustrie – oder nicht
Die Autowelt befindet sich in einer Zeitenwende. Gerade für VW, Mercedes & Co. könnte es künftig eng werden. Einige Experten stimmen schon den Abgesang auf die deutsche Schlüsselindustrie an. Branchenprofi Jürgen Stackmann hält in seiner neuen AUTOHAUS-Kolumne dagegen.
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Datum:
23.02.2024Lesezeit:
5 minLiebe Leserinnen und Leser,
in den vergangenen Wochen hat sich die deutsche Presselandschaft in dystopischen Voraussagen zum drohenden "Untergang" der deutschen, ach so "verzweifelten" Autoindustrie übertroffen. Während ich einige kritische Fakten dieser Einschätzung ebenfalls unterstreichen kann, blicke ich doch mit deutlich mehr Optimismus auf die zukünftigen Chancen dieser deutschen Schlüsselindustrie. Warum das so ist, möchte ich Ihnen aufzeigen.
Die Welt der neuen Automobilität Ende 2023 gibt in der Tat Grund zum Grübeln:
1) Das sowohl europäisch als auch weltweit meistverkaufte Auto - antriebsübergreifend – kommt aus den USA (und Deutschland). Tesla hat sich mit dem Model Y an die Spitze der Rangliste gesetzt und auch das Model 3 in die vorderen Ränge platziert. Es zeigt, dass eine sehr fokussierte, konsequente und intelligente Arbeit sich auszeichnet. Es zeigt auch, dass der elektrische Antrieb vor Kunde funktioniert und sich auch betriebswirtschaftlich rechnet. Chapeaux Tesla!
2) BYD überholt Volkswagen in China als meistverkaufte Marke, dominiert den Markt für NEV (PHEV und BEV) und zeigt, dass konsequente, fokussierte Arbeit an Produkt, Wertschöpfungskette und Marke sich zumindest einmal in China ausgezahlt. Chapeaux China und BYD!
3) Weltmarktführer Toyota taucht in den Erfolgsrankings für Elektromobile (fast) nicht auf – es gibt schlichtweg noch keine nennenswerten BEV-Produkte. Die Nummer zwei in der Welt – Volkswagen – ist bei den BEV in Europa die Nummer zwei, in den USA die Nummer fünf und in China so gerade einmal unter die Top 20 gerutscht.
4) Die deutsche Politik, eigentlich dafür verantwortlich im Heimatland die Weichen für den zukünftigen Erfolg seiner derzeitigen und zukünftigen Schlüsselindustrien und damit die Arbeitsplätze zu stellen, zieht sich in einem Akt spontanen Wahnsinns als aktiver Akteur zurück. Die "Kuh" (Industrie) ist erfolgreich aufs (Glatt-)Eis geschoben, die Absichtserklärungen zu Zulassungszielen (15 Millionen E-Autos in 2030) und Ladeinfrastruktur (eine Million öffentliche Säulen in 20…) klingen klasse. Soll die Industrie doch ihren Tanz allein gestalten. Welche konkreten und verlässlichen kurz-, mittel,- und langfristigen Massnahmen zum Gelingen dieser Transformation beitragen sollen, ist im Dschungel der Ampel- und Oppositionsfledderei nicht auszumachen. Deutschland-Pakt – wo denn?
5) Die Wertschöpfung vom Rohstoff bis zur Zellfertigung des mit Abstand wichtigsten Bauteils der neuen Mobilität – der Batterie – liegt weitgehend außerhalb europäischen Zugriffs. China hat langfristig gedacht, entwickelt, fokussiert und konsequent gehandelt. Chapeaux!
Und trotzdem: Es gibt auch eine alternative Lesart. Dazu empfiehlt es sich, die deutsche Brille der Großmäuligkeit und Überheblichkeit sowie den allgemeinen Hang zur gnadenlosen Selbstkritik einmal für die Rest-Lese-Dauer dieser Kolumne beiseite zu schieben. Stattdessen empfiehlt sich eine Portion Demut und Realitätssinn, gepaart mit optimistischem Selbstbewusstsein, einzuschieben.
1. Bis auf BMW haben die deutschen OEM erst seit 2015 ernsthaft begonnen, Produkte für eine elektrische, vernetzte Zukunft zu entwickeln.
Einen kompletten Produktzyklus später als Tesla (S) sowie ca. fünf Jahre später als das nationale Wissenschafts- und Wirtschafts-Ökosystem aus China. Wie vermessen (deutsch) muss man sein zu glauben, dass dann im ersten Wurf – ohne weitreichende Kompetenz in der Batterie, ohne tiefes Verständnis, ohne notwendige Kultur und ohne Prozess-Grundlagen für Softwareentwicklung – eine Generation von wettbewerbsüberlegenen Produkten auf neuen elektrischen Baukästen entstehen kann? Der große Druck, bis 2020 auch noch die europäischen CO2 Compliance-Ziele zu erreichen, führte in der Folge zudem zu verfrühten Markteinführungen "unfertiger" Fahrzeuge, gerade auch im VW Konzern. Ausgebadet haben es die innovativen, mutigen Erstkunden. Und trotzdem, zumindest waren die deutschen OEM im Gegensatz zu den Japanern und weiteren Europäern "da" – und stellen sich dem neuen Wettbewerb.
2. Volkswagen
Seitdem 2020 die ersten Fahrzeuge der ID.-Reihe an Kunden übergeben wurden, ist viel positives passiert. Der kürzlich vorgestellte ID.7 zeigt, dass VW nach einem halben Produktzyklus wieder technisch voll auf Augenhöhe mit dem internationalen Wettbewerb – auch im Bereich Software – angekommen ist. Es lebe die konsequente und fokussierte Arbeit hervorragender Fachleute (allen voran von Thomas Ulbrich). Auch alten Tugenden wie der wahrgenommenen und echten Materialqualität wird wieder Augenmerk geschenkt. Als Problem für den Neuwagenverkauf bleibt bis zum Ende der ersten VW-BEV-Generation das austauschbare Außendesign und die für den Massenmarkt zu hohen Preise. Die Konzerntöchter Skoda (Enyaq) und Cupra (Born, Tavascan) zeigen ja bereits, wie es funktionieren kann. Mit dem Start der zweiten Generation der Volkswagen-MEB-Fahrzeuge 2026 aus Spanien (VW ID.2, Skoda "E-Fabia" und Cupra Raval) sollte dann auch die Kostenbasis, besonders des Batterie-Systems, wieder wettbewerbsfähig(er) sein. Die Restwerte der ersten ID.-Fahrzeugjahrgänge werden leider auch weiterhin eine Kopfschmerzgarantie für den jeweiligen Eigentümer bedeuten. Das wird VW über seine Bank wegregeln müssen, wenn die wichtige Klientel der "first mover" nicht endgültig verprellt werden sollen.
3. Audi und Porsche
Nach vielen Verschiebungen laufen dieses Jahr endlich die für beide Marken so bedeutenden ersten Modelle auf der SSP-Plattform an. Der Audi Q6 sowie der neue Porsche Macan werden zeigen, ob der Business-Plan beider Hersteller auch in der elektrischen Welt wirklich aufgeht. Der Macan war bislang das "Bread-and-butter"-Modell der Zuffenhausener, die Grundlage für Volumen und Gewinn. Der Neue muss dies erst noch beweisen. Der Audi Q6 soll zu einem neuen Beweis für "Vorsprung durch Technik" werden und zu einem wichtigen Volumenmodell in der elektrischen Welt für die Vier Ringe.
4. Mercedes und BMW
Mercedes-Benz hat mit seinen ersten reinen BEV-Fahrzeugen wie dem EQA sicherlich noch nicht den eigenen Markenanspruch ("Das Beste oder Nichts") erfüllt, pirscht sich aber mit jeder Neueinführung näher an die Erwartung der Kunden an einen Mercedes heran. Softwareseitig steht die Marke durch eine gelungene hauseigene Plattform (MBUX) und eine sehr intelligente Integration von Partnersoftware bereits sehr gut im globalen Wettbewerb dar. BMW hat in kurzer Zeit eine erstaunlich kompetente Palette von reinen BEV in den Markt eingeführt und mit dem I7 sicherlich eines der besten Fahrzeuge überhaupt auf dem Markt. Auch die elektrische Design-Linie gefällt und passt zum Markenkern. Einfach mal gut machen ist die Devise – nicht so viel labern und "visionieren". Ich glaube davon könnten sich alle eine Scheibe abschneiden. Beiden Marken gemein ist die Fähigkeit zusammen mit Lieferanten vorwiegend aus dem deutschen Ökosystem die bisher einzigen wirklich straßentauglichen Autopilot-Funktionen (Level 3) homologiert zu haben. Geht doch Deutschland!
5. Aufholjagd Batterie
Nachdem die deutschen Hersteller bislang komplett auf die Hilfe asiatischer Batterie-Zulieferer angewiesen waren, entsteht besonders im VW-Konzern mit der PowerCo ein neues Kompetenz-Unternehmen für die Entwicklung und Produktion von hauseigenen Batterien. Bis zu sechs Zellfertigungen sind geplant, drei davon bereits entschieden und im Bau (je eine in Deutschland, Kanada sowie Spanien). Daneben ist VW massiv in die eigene Zellentwicklung eingestiegen und hat neben dem neuen Einheitszellformat (für ca. 80 Prozent aller Konzern-Fahrzeuge) auch bereits einen konkreten Ausblick auf die Nutzung von Feststoff-Zellen mit dem Partner Quantumscape gegeben. In China wird die Eigenentwicklung mit dem Partner Goshn vorangetrieben. Mercedes-Benz ist zusammen mit Stellantis und Total Energies Eigentümer des neuen europäischen Zellherstellers ACC. Aus drei Werken soll die Zellversorgung in Eigenregie für die beteiligten Hersteller erfolgen. Das neue Mercedes E-Kompetenzzentrum soll ähnlich der VW Power Co für hauseigene Entwicklung neuer Zellgenerationen sorgen. BMW verlässt sich weiterhin auf strategische Zulieferer wie zum Beispiel CATL, die schon früh eine enge Bindung zum BMW-System hatten. Was am Ende bleiben wird, ist die Abhängigkeit Deutschlands von den Batterierohstoffen (Lithium und seltene Erden). Hier hilft wohl nur eine enge Beschäftigung mit den Konzepten der Circular Economy – d.h. der "endlosen" Wiederverwertung einmal benutzter Rohstoffe.
6. China
Als größter Absatzmarkt der Welt und Heimatbasis der innovativsten und schnellsten Wettbewerber unserer deutschen Hersteller gibt es eigentlich nur einen wirklich erfolgversprechenden Zukunftsweg. Ein Rückzug ist durch die dadurch entfallenden Skaleneffekte und negativen Profiteffekte ausgeschlossen. Wer auf der Welt langfristig erfolgreich bleiben will, muss sich in China behaupten und durchsetzen, muss den chinesischen Kunden (wieder) für sich und seine Produkte zurückgewinnen – egal wie sehr dies für einige Jahre schmerzen wird. Auf dem chinesischen Markt herrscht ein gnadenloser Wettbewerb, man spricht von 50 Prozent Überkapazität. Es beginnt jetzt eine Auslese unter den Herstellern, die wir in Europa in dieser Form nicht kennen. Diese Auslese führt zurzeit nicht nur zu einem fast ruinösen Preiswettbewerb, sondern auch zu einer unglaublichen Steigerung von Effizienz in Produktion und im Produktentstehungsprozess. Die chinesischen OEM entwickeln ihre Produkte deutlich schneller (drei statt fünf Jahre) und kostengünstiger und sind damit in der Lage, Innovationen in großer Geschwindigkeit in die Serie zu bringen. Unser bisheriges deutsches "Know-how Exportmodell" (entwickelt in Deutschland für die Welt) muss daher dringend erneuert werden – es ist einfach nicht mehr wettbewerbsfähig. Aber auch hier zeichnet sich eine Wendung zum Positiven ab: Volkswagen als exponiertester deutscher Hersteller in China beginnt seine Produktentwicklung in die Volksrepublik zu verlagern – zunächst für die Entwicklung lokaler chinesischer Produkte. Rund um das dritte und in VW-Mehrheitsbesitz befindliche Joint Venture in Anhui entsteht eine Kompetenzzentrum "China for China". Zusammen mit weiteren Partnern wie XPeng, SAIC und Horizon Robotics (auch das ist neu) entwickelt VW hier eine neue Elektroplattform und Kompetenz für intelligente elektrische Autos. Nur durch effektive Kollaboration und im Rahmen einer Mehrheitsbeteiligung lässt sich dieses Aufholprogramm ("China-Speed") noch realisieren. Volkswagens China-Chef Ralf Brandstätter gibt Gas -in die richtige Richtung.
7. Marke und Handel
Oft vergessen und doch so wirkungsvoll. Die deutschen Hersteller besitzen die bekanntesten und wertvollsten Automarken der Welt und funktionierende, effektive (aber etwas zu teure) Handelspartnersysteme. Gerade die chinesischen Newcomer begreifen erst jetzt, wie stark beide miteinander wirken und den Markt schützen. Die Aufgabe muss es sein, die bestehenden Marken zukunftsfähig und strahlend für die neue Generation von Kunden aufzustellen. Das geht nur durch Kampfesgeist, Leistung, Fähigkeit und Wille gerade in China – aber auch immer mehr in Europa. Die Unerschrockenen, die Unverzagten, die Nicht-Verzweifelten werden es schon schaffen. Deutschland – lass es uns einfach mal wieder anpacken!
Ich freue mich auf Ihre Kommentare und Einschätzungen, wie immer entweder direkt hier in der Kommentarspalte, per E-Mail (Juergen.Stackmann1@gmail.com) oder auf der Business-Plattform LinkedIn.
Schönes Wochenende!
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Zum Autor
Jürgen Stackmann zählt zu den bekanntesten Automanagern Deutschlands. Unter anderem war er im Vorstand der Hersteller VW, Seat, Skoda und Ford tätig. Er gilt als Experte für die Bereiche Management, Vertrieb, Marketing und Finanzen.
Seit 2021 hat Stackmann einen Lehrauftrag an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU). Zudem ist er Direktor des Institutes für Mobilität an der Universität St. Gallen. Seit 2024 verfasst der Branchenkenner exklusiv die Kolumne "Stackmann schreibt" für AUTOHAUS.
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