Der Dieselskandal beschäftigt derzeit die deutsche Justiz, und zwar sowohl mengenmäßig als auch inhaltlich. Mehr als 1.000 Klagen von Verbrauchern sind gegen Hersteller wie auch gegen verkaufende Händler angestrengt worden. Die ersten Entscheidungen von Oberlandesgerichten liegen vor, die also in der II. Instanz ergangen sind. Überwiegend wurden die Klagen von Verbrauchern/Käufern gegen Händler als Verkäufer auf Rückabwicklung des Kaufvertrages abgewiesen. Nach Meinung der Anwälte Creutzig & Creutzig in Köln zu Recht (vgl. dazu: "Zwei Jahre Dieselskandal – Starke Rechte der Händler").
Urteile von Oberlandesgerichten
Die weit überwiegende Mehrheit der mehr als 1.000 Klagen ist von Landgerichten entschieden. Weit überwiegend wurden die Klagen der Verbraucher/Käufer gegen verkaufende Händler abgewiesen. Dabei wurde die Ansicht vertreten, dass ein Rücktritt vom Kaufvertrag nur dann in Betracht kommt, wenn zuvor der Käufer dem Verkäufer Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben hat. Diese Rechtsauffassung haben nun auch verschiedene Oberlandesgerichte geteilt, wobei die Nachfristsetzung großzügig zu bemessen sei:
OLG Koblenz – Beschluss vom 27.09.2017; OLG München – Urteil vom 03.07.2017; OLG Celle – Beschluss vom 30.06.2016; OLG München – Beschluss vom 23.03.2017; OLG Oldenburg – Beschluss vom 05.05.2017.
Das Oberlandesgericht Koblenz – siehe oben – bestätigt außerdem, dass ein unterstellter Mangel jedenfalls nicht erheblich und ein Rücktritt damit ausgeschlossen sei.
In einigen Fällen, in denen Käufer gegen Händler geklagt haben, war Verjährung eingetreten. Deshalb haben Kläger ihre Klage darauf gestützt, dass VW als Hersteller die Käufer arglistig getäuscht haben und die Händler sich diese arglistige Täuschung zurechnen lassen müssen. Bei dieser Konstruktion- wenn sie funktionieren würde- wäre Verjährung noch nicht eingetreten.
Kein Oberlandesgericht hat jedoch bis heute entschieden, dass diese Konstruktion greift: Eine arglistige Täuschung des Herstellers müssten sich weder die VW-Vertragshändler noch die freien Händler als Verkäufer von VW Fahrzeugen zurechnen lassen. In diesem Sinne haben entschieden:
OLG Koblenz – siehe oben; OLG Brandenburg – Urteil vom 18.07.2017; OLG Celle – siehe oben; OLG Hamm – Beschluss vom 05.01.2017 und vom 29.06.2017; OLG Düsseldorf – Beschluss vom 30.05.2017 und vom 06.06.2017; OLG Karlsruhe – Beschluss vom 16.05.2017 und vom 18.05.2017; OLG München – Beschluss vom 26.04.2017; OLG Braunschweig – Beschluss vom 16.03.2017; OLG Braunschweig – Beschluss vom 16.03.2017; OLG Brandenburg – Beschluss vom 31.01.2017; OLG Naumburg – Beschluss vom 01.12.2016.
Besonders zu erwähnen ist der 8.Senat des OLG München. Er ist nicht davon überzeugt, dass das von VW angebotene Software-Update eine ausreichende Nacherfüllung darstellt und erwägt daher die Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens. Wegen der hohen Gutachterkosten von vorsichtig geschätzt ca. 40.000 Euro stellt er die Frage, ob die Kosten des Gutachtens auf alle beim OLG München rechtshängigen Berufungsverfahren (derzeit fünf) aufgeteilt werden sollen, die letztlich die Partei zu tragen hat, die im Berufungsverfahren unterliegt.
Weiter ist das OLG Köln gegangen: Im Hinweisbeschluss vom 20.12.2017 hat es mitgeteilt, dass es beabsichtigt, die Berufung des verklagten VW-Händlers gegen das LG-Urteil des LG Aachen zurückzuweisen, durch das der Händler zur Rücknahme des Fahrzeugs und zur Erstattung des Mehrwerts für ein nachträglich eingebautes Navigationsgerät verurteilt worden war. Begründung: Das Auto sei wegen der eingesetzten Software mangelhaft. Der Kläger hatte aber eine Frist zur Mangelbeseitigung gesetzt. Ähnlich argumentierte jetzt das OLG Hamm, machte den Parteien aber einen Vergleichsvorschlag.
Haftung der Hersteller aus der EU-Übereinstimmungsbescheinigung
Juristen beschäftigen sich mit der Frage, welche Bedeutung die EU-Übereinstimmungsbescheinigung im Dieselskandal hat.
Die Bescheinigung wird von den Kfz-Herstellern auf der Grundlage von § 6 Abs.1 EG-FGV ausgegeben. Sie bescheinigt nach ihrem durch Anhang IX der Richtlinie 2007/746/EG vorgegebenen Inhalt, dass ein bestimmtes Fahrzeug einem zugelassenen Typ entspricht und daher zur Teilnahme am Straßenverkehr in den Mitgliedsstaaten der EU zugelassen werden kann. Diese Bescheinigung dient nach der einleitenden Zielbestimmung des Anhangs in der Fassung, die er durch die Kommissionsverordnung 385/2009/EG erhalten hat, dazu, dem Fahrzeugerwerber zu versichern, dass das Fahrzeug allen in der EU geltenden Rechtsvorschriften genügt. Die Bescheinigung ist aber in diesem Falle inhaltlich unrichtig: Fahrzeuge, die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehern sind, weisen einen viel höheren Ausstoß von Stickoxiden im Straßenverkehr auf als auf dem Prüfstand.
Daraus folgt nach Meinung der Anwälte Creutzig & Creutzig eine direkte vertragliche Beziehung zwischen Fahrzeughersteller und Käufer, dem die Bescheinigung bei Erwerb des Wagens ausgehändigt wird. Zum einen ist die in der Bescheinigung enthaltene Bestätigung Gegenstand eines selbständigen Auskunftsvertrags, der den Hersteller zur Erteilung richtiger Informationen und bei schuldhafter Ausstellung einer unrichtigen Bescheinigung zum Schadenersatz verpflichtet. Außerdem stellt die Bescheinigung eine Herstellergarantie für die Beschaffenheit des Fahrzeugs gem. § 443 Abs.1 BGB dar, an die sich nach Meinung der Autoren ebenfalls eine direkte Haftung des Kfz-Herstellers gegenüber dem Erwerber/Käufer anschließt.
Es bleibt abzuwarten, ob die Rechtsprechung diese Rechtsauffassung teilt. Urteile dazu liegen derzeit noch nicht vor.
Rückgriff der verkaufenden Händler gegen Hersteller
Wie auch immer letztendlich die Prozesse ausgehen – verkaufende Händler (Verkäufer Nr. 2), die rechtskräftig verurteilt werden, können einen Rückgriffsanspruch gegen den Hersteller (Verkäufer Nr.1) haben. Darauf weist die Branchenanwältin Dr. Susanne Creutzig von der Kanzlei Creutzig & Creutzig in Köln hin. "Seit dem 01.01.2018 gelten neue Regeln für den sog. Lieferkettenregress", so Creutzig. Danach könne der Verkäufer (Nr. 2) beim Verkauf einer neu hergestellten Sache von dem Verkäufer (Nr.1), der ihm die Sache verkauft hatte (Lieferant), Ersatz der Aufwendungen verlangen, die er im Verhältnis zum Käufer zu tragen hatte, wenn der vom Käufer geltend gemachte Mangel bereits beim Übergang der Gefahr auf den Verkäufer (Nr. 1) vorhanden war. Der sonst erforderlichen Fristsetzung durch den Verkäufer (Nr.2) bedarf es nicht, weil der Verkäufer (Nr.2) die neu hergestellte Sache als Folge ihrer Mangelhaftigkeit zurücknehmen muss.
"Händler, die Neuwagen an Endverbraucher verkauft haben und zur Rücknahme des Autos verurteilt worden sind, also Verkäufer Nr.2 sind, können unter bestimmten Voraussetzungen Regress bei dem Verkäufer Nr. 1, in der Regel also dem Hersteller (Lieferanten) nehmen, der ihnen den Neuwagen ursprünglich verkauft hat. Wichtig ist allerdings", so Creutzig abschließend, "dass der Verkäufer Nr.2 die kaufmännische Rügeobliegenheit und die komplizierten Verjährungsvorschriften beachtet". Deshalb empfehle es sich, rechtzeitig fachkundigen Rat einzuholen. (AH)
Detlef Rüdel
Ex Serviceberater