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Autoklau bei unbegleiteter Probefahrt: Händler trägt Risiko

18.09.2020 14:45 Uhr
Autoklau bei unbegleiteter Probefahrt: Händler trägt Risiko
BGH: Ein Autohaus verliert das Eigentum an einem Wagen, der während der Probefahrt gestohlen wird.
© Foto: picture alliance/Uli Deck/dpa

Trickbetrüger fahren mit einem Vorführwagen davon. Eine ahnungslose Familie kauft das Fahrzeug übers Internet, das Autohaus will es zurück. Zu Recht? Der Streit geht bis vor den BGH – der ein paar sehr grundsätzliche Fragen zum Thema Probefahrt beantwortet.

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Von Anja Semmelroch, dpa

Kriminelle unterschlagen einen Vorführwagen bei einer Probefahrt, wenig später verkaufen sie ihn einer nichtsahnenden Familie. Wem gehört das Fahrzeug – dem Autohaus oder den Käufern? Dieses Rechtsproblem war bisher ungelöst, jetzt sorgt der Bundesgerichtshof (BGH) für Klarheit: Rechtmäßige Eigentümer sind die neuen Besitzer, der Händler hat das Nachsehen. Dieses Urteil verkündeten die Karlsruher Richter am Freitag (Az. V ZR 8/19).

Dem Autohaus mit Stammsitz im niedersächsischen Buxtehude wird letztlich zum Verhängnis, dass es den Van zu vertrauensvoll aus der Hand gegeben hat. Der Händler hatte sich zwar die – professionell gefälschten – Papiere des vorgeblichen Kaufinteressenten kopiert und sich auch eine Handynummer geben lassen. Dann überließ er dem Mann aber für eine Stunde den Wagen, ohne einen Mitarbeiter mitzuschicken oder die Probefahrt per Ortungssystem zu überwachen.

"In diesem Fall geht der Besitz auf den Probefahrer über", sagte die Vorsitzende Richterin Christina Stresemann. Das Autohaus habe ihn für die Dauer der Probefahrt freiwillig aufgegeben. Damit ist der Van nicht im juristischen Sinne "abhanden gekommen".

Dieser Punkt ist deshalb wichtig, weil eigentlich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) steht, dass niemand etwas als Eigentum erwerben kann, das "dem Eigentümer gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhanden gekommen" ist. Wegen der unzureichenden Absicherung des Fahrzeugs kann sich das Autohaus dem Urteil zufolge aber nicht darauf berufen. "Dass der Kaufinteressent getäuscht hat, ändert nichts daran", erläutert Gerichtssprecherin Dietlind Weinland.

Die Familie aus Hessen hatte den von einem privaten Verkäufer angebotenen Mercedes-Van Anfang September 2017 im Internet entdeckt und keinen Verdacht geschöpft. Gegen 46.500 Euro in bar holten Vater, Mutter und Tochter den Wagen am vereinbarten Treffpunkt ab. Erst auf der Zulassungsstelle kam ans Licht, dass er als gestohlen gemeldet war. Fahrzeugschein und Fahrzeugbrief waren gefälscht.

Profis am Werk

Dass der Familie kein großer Vorwurf zu machen ist, war vor Gericht relativ unumstritten. Ganz offensichtlich waren Profis am Werk: Für die Fälschungen hatten sie sogar Original-Papier benutzt, das zwei Jahre vorher aus einer Kfz-Zulassungsstelle verschwunden war. Damit gelten die Käufer als "gutgläubig" – das ist Voraussetzung, um etwas erwerben zu können, das "nicht dem Veräußerer gehört".

Aber damit war nicht das Grundproblem gelöst: Das Autohaus forderte seinen Vorführwagen samt Schlüssel zurück. Die Familie wiederum wollte ihr Camping-Mobil behalten und die Original-Fahrzeugpapiere haben, damit der Wagen überhaupt zugelassen werden kann. Und so ging es drei Jahre hin und her: Erst sprach das Landgericht Marburg den Van der Familie zu. Dann kassierte das Frankfurter Oberlandesgericht dieses Urteil und das Fahrzeug sollte zurück an den Händler gehen. Mit der BGH-Entscheidung ist der Streit nun rechtskräftig entschieden.

Bei der Lösung des Falls diskutierten die obersten Zivilrichter auch die Frage, ob die Probefahrt möglicherweise nur zu einer "Besitzlockerung" geführt hat oder der Kaufinteressent als "Besitzdiener" des Händlers zu sehen ist. In beiden Fällen hätte das Autohaus den Besitz an dem Fahrzeug nicht vollständig aufgegeben – es hätte also doch "abhanden kommen" können. Nach Auffassung des Senats passen die beiden Rechtsfiguren aber nicht auf die Situation.

Wie sich Autohäuser verlässlich absichern können, sagten die Richter nicht ausdrücklich. Kriterium in dem Fall war aber, dass das Fahrzeug "zu einer unbegleiteten und auch nicht anderweitig überwachten Probefahrt" überlassen wurde. Wer also auf Nummer sicher gehen will, wird in Zukunft einen Mitarbeiter mitschicken müssen.

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KOMMENTARE


M.Fe

18.09.2020 - 15:33 Uhr

Zu jeder Probefahrt einen Mitarbeiter mitzuschicken ist in der Praxis ziemlich unrealistisch ,zumal an einem Tag mehrere Probefahrten zur gleichen Zeit geschehen und das teilweise über 2-3 Stunden.


R.F.

18.09.2020 - 18:00 Uhr

Das Urteil widerspricht der Regelung Eigentum und Besitz! Dann bekommt kein Kunde mehr ein Werkstattersatzfahrzeug! Was ist mit Mietfahrzeugen? Dann werden alle unbegleiteten Probefahrten jetzt Mietwagenfahrten?


Sascha Schmitz

18.09.2020 - 18:09 Uhr

Wir geben kein Auto raus, die Probefahrt wird immer begleitet. Probefahrten über mehrere Stunden sind nur für Stammkunden möglich. Also lässt sich das ganz gut umsetzen. Oder einfach für unter 100 € einen GPS-Tracker bei den beliebten und teuren Wagen einbauen.


CarConnaisseur

18.09.2020 - 18:10 Uhr

Wieder mal ein Beispiel dafür, wie realitätsfern die Rechtsprechung hin und wieder ist! Dem Käufer (der Familie) ist kein Vorwurf zu machen, aber der Probefahrer müsste dem Händler gegenüber den Schaden ersetzen und, weil das Auto zum Zweck der Unterschlagung zur Probefahrt geholt wurde, ist aufgrund des Vorsatzes dieser Fall wie ein schwerer Diebstahl bzw. ein Raub zu werten.


Ralph Linke

18.09.2020 - 18:50 Uhr

Da die deutsche Rechtsprechung nun wohl voll und ganz den gesunden Menschenverstand verloren hat, würde mich nun brennend interessieren, wie es sich beim Verkauf von (unterschlagenen) Mietwagen handelt. Oder wie ist es bei Leasingfahrzeugen, wo der Halter nur Besitzer, aber nicht Eigentümer ist? Muss dann die Leasinggesellschaft ebenfalls die Papiere an den "gutgläubigen" Käufer aushändigen? Da öffnet sich ein neues kriminelles Geschäftsfeld unter dem Schutz der deutschen Justiz.


Michael Blume

18.09.2020 - 19:19 Uhr

Warum genau suchen deutschlandweit alle Fabrikate nach Autoverkäufern? Wenn man das so ließt, dann werde ich doch lieber Müllmann im öffentlichen Sektor, bei einer 5-Tage-Woche mit Freitag um 13:30 Uhr frei und EUR 2.800 brutto im Monat. Ach ja, coronasicher ist das Ganze ja auch noch und ich muss nicht mit Kriminellen und Betrügern ums Eck fahren. Zahlt das AH dann Gefahrenzulage wie bei der Polizei oder dem Zoll? Ich mag meine Familie!


Gerhard Klöckers

18.09.2020 - 19:30 Uhr

Ich sehe das auch grenzwertig. Nach dieser Hypothese des Gerichts erwirbt auch jeder Käufer unter den gleichen Voraussetzungen - perfekt gefälschter Brief und Schein - einen Leihwagen gutgläubig. Und beim Mietwagen wird ja lediglich zusätzlich eine Kreditkarte durchgezogen - die Bonität ist regelmäßig deutlich niedriger als der Wert des geliehenen Fahrzeuges.


PS

19.09.2020 - 07:26 Uhr

Mitarbeiter in der Corona-Zeit zur Probefahrt mitschicken sollte auch sehr unrealistisch sein.


M. S.

19.09.2020 - 07:59 Uhr

Dieses "unsere" Land ... einfach nur noch kaputt und dumm. Solche "Rechtsprechungen" bringen mich jeden Tag dem Auswandern einen Schritt näher ...


Heinz Schwiertz

19.09.2020 - 09:06 Uhr

Da für die Fälschungen der Fahrzeugdokumente die Diebe Original-Papier benutzten (das zwei Jahre vorher aus einer Kfz-Zulassungsstelle verschwunden war) ist m. E. nach die Zulassungsstelle, also der Staat, haftend. Denn Originaldokumente = richtige Dokumente = Besitz. Anderenfalls müsste es zur Verifizierung der Fahrzeugpapiere eine telefonische oder Online-Abfrage geben.


Klaus Halbleib

19.09.2020 - 09:35 Uhr

Unglaublich, diese Entscheidung. Interessant wäre es, zu erfahren, wie man sich - außer mit Begleitung - schützen könnte.


Erwin Tischler

19.09.2020 - 11:12 Uhr

Das Urteil des BGH ist für mich nur akzeptabel, wenn der Händler von seiner Versicherung für den Verlust des Probefahrt-Fahrzeugs entschädigt wurde. Nur dann hat er keinen Schaden gehabt - und nur dann kann der Schaden vom "gutgläubigen Erwerber", nämlich die Rückgabe des erworbenen Diebesgutes, von der Familie abgewendet werden.


F.C.

19.09.2020 - 11:17 Uhr

Und warum soll ich meinen Mitarbeiter das auch zumuten, sich bei jemanden fremdes ans Steuer zu setzen? Es weiß doch niemand, wer das sein könnte. Kürzlich kaufte ein Herr einen VfW bei uns und hat ihn nicht abgeholt, auch keine Reaktionen auf Briefe usw. Vor 3 Wochen kam heraus, das derjenige wegen Mordes verhaftet wurde. Dann trage ich das Risiko gerne, aber meine Mitarbeiter fahren nicht mit.


AP

19.09.2020 - 11:47 Uhr

Das ist doch mal wieder juristischer Schwachsinn. Soll dann in Zukunft beim Werkstattersatzwagen auch ein Mitarbeiter mitfahren und beim Kunden übernachten?


Benjamin Dürr

19.09.2020 - 12:41 Uhr

Ich kann nicht bei jeder PF mitfahren. Ich muss Autos verkaufen. Das möchten die Kunden. Auch ein GPS-Tracker ändert doch erstmal nichts an der Tatsache, dass der Wagen gestohlen wird oder wurde. Wenn es sich um Profis handelt, wird der Tracker sicherlich auch kein Hindernis darstellen.


Stefan Petzold

19.09.2020 - 13:06 Uhr

Hallo allerseits, oha, dann sage ich jetzt mal, dass sehr viele meiner Kollegen und auch ich, der schon sehr lange im Autoverkauf unterwegs ist, eine Menge Glück gehabt haben. Denn wir wissen alle, dass das im normalen Geschäftsbetrieb bisher immer so gehandhabt wurde. Skepsis sei vielleicht angebracht gewesen, aber als Verkäufer kann ich den Kollegen, gerade in der momentanen Situation, schon verstehen. Der Druck ist da, aber nun müssen wir wohl alle umdenken, Bauchgefühl allein reicht da nicht mehr. Also am besten gleich sagen, das man mitfahren wird, wenn dann das Interesse schlagartig schwindet ... So vor geraumer Zeit selbst erlebt. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen weiterhin viel Erfolg und gute Geschäfte!


Frank R.

19.09.2020 - 15:22 Uhr

M.Fe hat absolut Recht. Und zudem stellt sich die Frage: Wer kümmert sich um die Sicherheit des Mitarbeiters - was ist, wenn der/die Probefahrt-Fahrer einen Unfall verursacht/en oder den Mitarbeiter bedrohen oder ...? Hier hat der Bundesgerichtshof wohl nicht zu Ende gedacht!


Tuningmichl

19.09.2020 - 18:29 Uhr

Hauptsache die Betrüger sind fein raus. Kein Wort steht im Artikel darüber, inwieweit dies verfolgt wurde. Die Bösen sind die Gewinner, die Guten sind die Blöden.


Uwe Seyfert

20.09.2020 - 11:16 Uhr

Solche Richter sollten nicht unbegleitet von normal denkenden Menschen und ohne Überwachungssystem Urteile sprechen dürfen.


Dietmar Weski

21.09.2020 - 08:47 Uhr

Eine Probefahrt generell zu begleiten ist technisch nicht realisierbar. Die Frage ist, hätte hier eine Probefahrtsvereinbarung mit klaren Formulierungen über den Gebrauch und Zeit/Kilometer die Situation geheilt? Leider gibt der Artikel hierzu keine Antwort.


Maan

21.09.2020 - 10:22 Uhr

In der heutigen Situation den Verkäufer mit in einem Auto zu setzen finde ich unverantwortlich und wie mein Vorredner zeitlich fast nicht umsetzbar. Des Weiteren wird es interessant, wenn der Verkäufer bei einem Unfall mal verletzt wird.


Felder HaPe

21.09.2020 - 11:47 Uhr

Ich kann dieses Urteil nicht nachvollziehen. Ich habe einmal gelernt, dass man an einer fremden beweglichen Sache, die nachweislich einem anderen gehört, kein Eigentum erwerben kann. Die Urteile des BGH werden immer fragwürdiger. Damit öffnet sich ja Tür und Tor für kriminelle Machenschaften. Eine Frage von Gerechtigkeit und Rechtssprechung. Am Gericht wird heutzutage fast nie Gerechtigkeit verhandelt und entschieden, sondern nur noch größtmögliche Übereinstimmung mit einem Buch sprich Gesetzestext.


C arguy

21.09.2020 - 11:55 Uhr

Das Urteil ist wirklich Wahnsinn! So langsam verliere ich das Vertrauen in unseren Rechtsstaat, bin schon auf die nächste Google-Bewertung von einem "vermeintlichen Interessenten" gespannt, der nicht sofort einen 100.000-Euro-Wagen für die Probefahrt bekommt ...


Rudi

21.09.2020 - 14:35 Uhr

Liebe Mitkommentatoren, in diesem Gerichtsverfahren ging es lediglich darum, ob die Familie das Fahrzeug rechtmäßig erworben hat oder nicht. Hier wurde also lediglich im Sinne des Verbrauchers entschieden, die knapp 50.000 Euro wären von keiner Versicherung gedeckt. Zu klären, wer dem Autohaus den Schaden zu begleichen hat, war nicht Ziel des Verfahrens, darum wird vom Gericht auch nicht weiter darauf eingegangen. Der Entwender des Fahrzeugs während der "Probefahrt" hat sich natürlich trotzdem strafbar gemacht und muss - so er denn identifiziert werden kann - dem Autohaus bzw. der Versicherung des Autohauses den Schaden erstatten, sofern das Fahrzeug entsprechend versichert war.


Jo Dau

21.10.2020 - 18:11 Uhr

Ich bin auch der Meinung dass dieser Richterspruch in die falsche Richtung geht,Was im Geschäftsleben schon alles gefordert wird verlangt schon nach einem Rechtsanwalt als ständigen Begleiter, nur nutzt das auch nichts wenn alte Grundsätze und Rechtstreue gegen "moderne" Auslegung des Rechts ersetzt werden.


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