Ausgabe 13/2008: 'Wir bilden aus'

Qualifizierung / Das TÜV Nord Schulungszentrum qualifiziert benachteiligte Jugendliche und versucht, in NRW zusätzliche Ausbildungsplätze zu generieren"Wir bilden aus" von Stephanie NeumeierDerzeit befinden sich in Deutschland 1,2 Millionen Jugendliche unter 25 Jahren in der Warteschleife: Sie sind arbeitslos oder zumindest nicht in Ausbildung. In der Kfz-Branche geht die Bereitschaft zurück, überhaupt auszubilden. 2006 bildeten 40 Prozent der Betriebe – mit dem Schwerpunkt bei den mittelständischen Händlern und Werkstätten – gar nicht aus. Zudem blieben viele Ausbildungsplätze unbesetzt, weil keine geeigneten Bewerber gefunden werden konnten. Das TÜV Nord Schulungszentrum hat sich dieses Problems angenommen und versucht, zusätzlich Ausbildungsplätze zu finden bzw. benachteiligte Jugendliche zu qualifizieren. AUTOHAUS sprach mit Rainer Westerwelle, Geschäftsführer des TÜV Nord Schulungszentrums. AH: Welchen Schwerpunkt hat das TÜV Nord Schulungszentrum?R. Westerwelle: Unsere Aufgabe sehen wir in der Aus- und Fortbildung, da es in der Region nicht genügend Ausbildungsplätze gibt. Bei uns kann sich jeder entsprechend seiner Neigungen und Fähigkeiten ausbilden lassen. Wer gerade keinen Ausbildungsplatz finden konnte, kann sich erst wieder im nächsten Jahr bewerben. Diese zusätzliche Wartezeit verschlechtert häufig die Chancen in der nächsten Ausbildungsplatzrunde. Zusätzlich sind die Anforderungen für Auszubildende deutlich höher geworden (z. B. Digitaltechnik, EDV). Bei uns bekommen Jugendliche (oft Langzeitbewerber) eine Chance, die es aus eigenem Antrieb nicht geschafft hätten. Unsere Kernkompetenz liegt im Bereich Aus- und Fortbildung, dabei sind wir sehr praxisorientiert (z. B.: Kfz-Mechatroniker, Kfz-Service-Mechaniker, Fahrzeuglackierer). Wir bilden durchschnittlich von 150 bis zu 300 Auszubildende aus. Die übliche Klassenstärke liegt zwischen zwölf und 20. Unser Unternehmen agiert im geförderten Markt, somit sind die Agentur für Arbeit und die ARGEN unsere Hauptauftraggeber. Ein Maßstab, an dem wir uns gerne messen lassen, ist unsere Vermittlungsquote, die als Erfolgsmaßstab über zukünftige Finanzierungen entscheidet. Deshalb liefern wir ihr Berichte über unsere Arbeitsergebnisse und beurteilen die Entwicklungschancen der Teilnehmer. Das ist unser Geschäftsfeld, auf die Spielregeln dieses Marktes müssen wir uns einlassen. AH: Und wie sieht die Ausbildung aus?R. Westerwelle: Wir sind eine anerkannte und zertifizierte Ausbildungseinrichtung, unser Ausbildungsgang ist außerbetrieblich. Wir ersetzen gewissermaßen einen fehlenden Handwerksbetrieb an der Ecke als Ausbildungsbetrieb. Die Ausbildungsmechanismen sind allerdings identisch: Die Teilnehmer gehen wie 'normale' Auszubildende auch zur Berufsschule oder sie besuchen beispielsweise Qualifizierungslehrgänge der IHK. Über die Fördergelder können wir so zusätzliche Ausbildungsplätze in der Region realisieren, die es sonst nicht gäbe. AH: Und dieses Projekt klappt?R. Westerwelle: Es gibt verschiedene Modelle. In einem Modell betreuen wir die Jugendlichen im ersten Lehrjahr und versuchen dann im zweiten Lehrjahr einen Ausbildungsplatz für sie zu bekommen. Der Jugendliche ist dann schon gut einsetzbar und nicht mehr auf der Stufe der Basics. Dieses erste Jahr Vorbildung hilft dem Betrieb ungemein, weil vor allem im ersten Ausbildungsjahr dem Betrieb besonders hohe Kosten für die Ausbildung zur Last fallen und der Auszubildende noch kaum selbstständig arbeiten kann. Der bereits vorgebildete Jugendliche kommt dann in der letzten Stufe der Ausbildung in einen Betrieb. Ausbildungsprojekt T.U.R.B.O. in NRWAH: Seit Februar läuft bei Ihnen auch noch ein Jobstarter-Projekt. Können Sie das bitte kurz beschreiben?R. Westerwelle: Ziel des Ausbildungs-T.U.R.B.O. NRW (www.ausbildungs-turbo-nrw.de) ist es, in NRW Unternehmen anzustoßen und zu motivieren, Jugendliche auszubilden. Es richtet sich an alle Unternehmen der Kfz-Branche, setzt aber den deutlichen Schwerpunkt bei kleinen und mittleren Unternehmen sowie KMUs mit Inhabern ausländischer Herkunft. Insgesamt wollen wir damit innerhalb von zwei Jahren (bis Februar 2010) zusätzlich 90 Ausbildungsplätze in NRW schaffen, weil es hier 180.000 Jugendliche gibt, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Hier steht also nicht die Qualifizierung im Vordergrund, sondern der Fokus liegt darauf, zusätzliche Ausbildungsplätze zu finden.AH: 90 Ausbildungsplätze – wie soll das gelingen?R. Westerwelle: Unterstützt werden wir vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Automobilindustrie, dem ZDK und den Händlerverbänden. Unsere starken LOI Partner sind zum Beispiel BMW, Toyota, Renault, Hyundai, der Opel-Händlerverband, der Verband der Mercedes-Benz-Vertragswerkstätten und MeineWerkstatt.de. Sie alle übernehmen gesellschaftliche Verantwortung und unterstützen das Projekt. Die Händlerverbände schreiben in Frage kommende Werkstätten an. Die Händler füllen dann einen Fragebogen aus, welche Qualifikationen die Jugendlichen haben sollen. Die Schulungszentrums-Mitarbeiter versuchen, wenige passende Bewerber für den Ausbildungsplatz zu finden. Unsere Zielvorstellung ist, dass die Unternehmen nicht einen Waschkorb von Bewerbungen bekommen, sondern vielleicht nur drei Wunschkandidaten. Das Ganze wird auch dokumentiert. Um die Kommunikation für diese Zusammenarbeit zu optimieren, haben wir ein Büro in Essen eingerichtet.AH: Warum in NRW und warum liegt der Fokus auf Unternehmen mit Migrationshintergrund?R. Westerwelle: Das Ministerium setzt hier die Region fest und dass sich das Projekt nur auf eine bestimmte Region konzentrieren soll. Unser Hauptanliegen ist das gesellschaftliche Zusammenleben. Durch die Mitarbeit von Prof. Recep Keskin, Vorstandsvorsitzender von ATIAD (Verband türkischer Unternehmer und Industrieller in Europa), konnten wir einen Experten bezüglich Migration und Integration für unser Projekt gewinnen. Prof. Keskin übt großen Einfluss in den Migrantenverbänden aus und dies nicht nur in den türkischen. Gleichzeitig lag die Ausbildungsbeteiligung von Betrieben mit Inhabern ausländischer Herkunft mit etwa 15 Prozent und 1,7 Auszubildenden pro Betrieb in der Zielregion unter dem Bundesdurchschnitt.AH: Und wie läuft bisher die Umsetzung des Projekts?R. Westerwelle: Seit Februar konnten wir schon zehn neue Ausbildungsplätze finden. Das Projekt wird auch nur zu 80 Prozent vom Bund gefördert und es ist nicht kommerziell ausgerichtet. Wir steuern noch viel Geld bei. Ziel ist, regionale Netzwerke aufzubauen und transparent zu machen, welche wiederum wichtig für zukünftige Projekte sind. Wird sich das Projekt weiterhin so erfolgreich entwickeln, werden wir es auch auf andere Bereiche übertragen.AH: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Westerwelle!Anzeigen

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