Schadstoff- und Verbrauchsmessungen: Das Kreuz mit der Messtechnik

Alle Welt redet vom "Dieselgate", seit der Volkswagen-Konzern mit manipulierten Abgaswerten in die Schlagzeilen gerückt ist. Doch was steckt tatsächlich dahinter? Wie wird eigentlich tatsächlich gemessen und was sagen die Werte aus? Die Prüf- und Sachverständigenorganisation GTÜ ist dem Thema zusammen mit Fakt, einem der wenigen unabhängigen benannten und akkreditierten Labore und GTÜ-Technologiepartner, im Rahmen eines Journalistenworkshops auf den Grund gegangen. Tatsache in der aktuellen Affäre um die illegale Software, die der VW-Konzern in einer Vielzahl seiner Modelle implementiert hat, ist laut Hermann Schenk, GTÜ-Gebietsbeauftragter Baden-Württemberg, dass damit die vorgegebenen Grenzwerte bei den betroffenen Modellen nur auf den zur Messung definierten Prüfständen eingehalten wurden. "Wird dagegen auf der Straße gefahren, fällt der Schadstoffausstoß bedeutend höher aus", so Schenk. Warum jedoch wurde die "Prüfstand-Software" vorher nicht entdeckt? Die Antwort des GTÜ-Experten ist eindeutig: "Spätestens mit der Einführung der Schadstoffnorm 'Euro 5' war es verboten, eine spezielle 'Prüfstand-Software' mit sogenannter Abschalteinrichtung für die obligatorische Homologationsprüfung einzusetzen. Ein solches Verbot gab es in den USA schon seit längerem. Allerdings waren die vom Staat in Europa ernannten Technischen Dienste nicht mit der Kontrolle dieser Software beziehungsweise Verbots beauftragt. Damit wurde nicht geprüft, ob ein Fahrzeughersteller möglicherweise einen 'Umschalter' zwischen Prüfstand und Straße einprogrammiert hat." Überholte Testmethoden Die Technischen Dienste agieren in ihrer Funktion im Auftrag der Genehmigungsbehörden und prüfen akribisch die Funktionen ab, die ihnen der Gesetzgeber vorgibt. Ein Maßstab dafür ist der aus den 1970er-Jahren stammende Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ) - ein Fahrprofil, das angesichts der modernen Fahrzeugtechnik sicherlich angepasst werden muss, sind sich Experten wie Hermann Schenk oder Siegfried Hilbrich von Fakt einig: "Der Testzyklus sowie die Testmethode wurden irgendwann Ende der 70er-Jahre festgelegt, 1992 um den außerstädtischen Zyklus erweitert, und werden seither unverändert praktiziert. Dagegen haben sich die Grenzwerte immer weiter verschärft." Wenngleich jedoch klar eingeräumt wird, dass die Prüfungen nach dem NEFZ sicher zu alt für heutige Gegebenheiten sind, sollten man diese nach Meinung der GTÜ- und Fakt-Fachleute nicht "verteufeln". Als Gründe nennen Schenk und Hilbrich die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse sowie die Möglichkeit der Vergleichbarkeit zwischen den Herstellern. Diesen Argumenten stellen Kritiker dagegen, dass die Labortests wenig oder nahezu gar nichts mit der Realität zu tun haben. Auch der GTÜ-Mann muss hier einlenken: "So wie unter Laborbedingungen fährt niemand auf der Straße. Wenn doch, würde jeder denken, der hat einen Schlag weg." Für GTÜ und Fakt gilt die vorrangige Aufgabe von Industrie und Gesetzgeber, Methoden zu finden, die die Abgasemissionen weiter reduzieren - und zwar nachweisbar über den gesamten Anwendungsbereich und über eine reale Nutzungsdauer. Dabei müssen die technischen Lösungen und Nachweismethoden für Industrie und Nutzer "finanzierbar" bleiben. Neues Prüfverfahren ab 2017 Ein Weg in die richtige Richtung ist aus Expertensicht das ab 1. September 2017 von der EU-Kommission geplante neue Prüfverfahren WLTC. Bei diesem neuen sogenannten Worldwide Harmonized Light-duty Vehicles Test Cycle wird zum einen die "Gestaltungsfreiheit" der Hersteller bei der Typgenehmigung ihrer Fahrzeuge eingeschränkt - wenngleich nach wie vor Spielraum für "legale Manipulationen" wie die Reifenherstellerwahl bleiben. Zum anderen wird die Laborprüfung durch einen Test auf der Straße ergänzt. Während die Abgaswerte auf der Straße bei diesem Test anfangs um 110 Prozent über den Laborwerten liegen dürfen, soll dieser Wert ab 2020 nur mehr um 50 Prozent und später nur noch um 25 Prozent nach oben abweichen dürfen. Der WLTC-Test soll künftig auf dem Prüfstand gelten und somit den NEFZ-Zyklus ablösen. Insgesamt wird anerkannt, dass der neue, weltweit harmonisierte Zyklus, der zudem länger und mit 130 statt 120 km/h etwas schneller ist, dank mehr Beschleunigung und Abbremsen und damit weniger konstantem Fahren näher an der Realität liegt. Gleichwohl könne auch er nicht das wiedergeben, was ein Fahrzeug auch künftig auf der Straße verbraucht. Warum? "Ganz einfach, ein Labortest oder Zyklus wird nie das abbilden, was der Autofahrer im Fuß hat. Schließlich ist immer der rechte Fuß der Hauptspritverursacher und nicht die Motorelektronik", resümiert GTÜ-Mann Hermann Schenk. Kurzinterview mit Fakt AH: Wie beurteilen Sie die Folgen der durch VW manipulierten Prüfstand-Software auf die Umwelt?S. Hilbrich: Betrachtet man die absoluten Schäden für Mensch und Umwelt, so sind die Auswirkungen dieser Softwaremanipulation weniger gravierend zu betrachten. Es wird der Testzyklus in einer idealisierten Umgebung unter Bedingungen durchgeführt, die normalerweise kaum jemand in der Realität einhält. Daher kommt es ja auch zu höheren, tatsächlichen Verbrauchswerten und anderen Abgaswerten. Demzufolge entsteht meiner Meinung nach durch diese Manipulation, wie sie durch VW erfolgt ist, auch nicht der "extrem hohe absolute Schaden" für Umwelt und Mensch, wie er derzeit diskutiert wird.Hinsichtlich der gesamten Schäden durch Abgase ist die manipulierte VW Software also nicht signifikant entscheidend.Etwas anderes gilt in Bezug auf die Steuer: Hier hat sich VW durch manipulierte CO2-Werte in eine kostengünstigere Steuerklasse geschummelt.AH: Inwieweit können Autohäuser und Fachwerkstätten hier zu einer positiven Aufklärung beitragen?S. Hilbrich: Der Fachhandel sollte den Fokus nicht auf Abgas- und Verbrauchswerte allein legen, da diese ja lediglich einen Bruchteil der Autoqualität darstellen. So definieren sich unsere Autos wesentlich durch Kriterien wie Sicherheit, Haltbarkeit, Qualität, Komfort, Spritzigkeit oder moderne Assistenzsysteme. Das Abgasthema ist ein wichtiger Teil für die Umwelt und ein Kostenfaktor für die Automobilhersteller. Daraus resultiert wahrscheinlich auch die Brisanz des Themas. Der Autofahrer selbst würde andere Themen mehr spüren ... Isabella FinsterwalderSiegfried Hilbrich, stellvertretender Geschäftsführer von Fakt

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