Ausgabe 09/2010: Chancen nutzen!

Chancen nutzen!Service-management 2010 E Aktuelle Auslastungschancen und Strategien der Vertragswerkstätten von prof. hannes brachatDie Werkstattauslastung steht wegen des Rückgangs des Wartungs- und Reparaturaufkommens im Betrachtungsfokus. Die 41 Mio. Pkw auf deutschen Straßen sind im Durchschnitt 8,2 Jahre alt und generieren pro Jahr 74 Mio. (2009) Wartungs- und Reparaturaufträge. Diesen Kuchen teilen sich 19.000 Vertragswerkstätten, 20.000 Freie Werkstätten und „Sonstige“ wie DiY bzw. das Meer der Schwarzarbeiter. Dennoch stellt z. B. GTÜ fest, dass jedes zweite Auto auf der Straße Mängel aufweist. Jedes fünfte gar „erhebliche Mängel“. Und was wird politisch dagegen unternommen? Überfabrikatlicher TeilevertriebDie Liberalisierung der GVO 2002 wie die GVO-Neuregelung ab 1. 6. 2010, die bis 2020 gültig sein wird, hat zu veränderten strategischen Optionen vertragsgebundener und freier Werkstätten geführt. Abb. 1 dokumentiert das, v. a. diverse Überlappungen in den Handlungsfeldern. Neben Vertragswerkstätten sind inzwischen über 8.000 freie Werkstätten mit einem Werkstattkonzept (1a, Autofit, u. a.) am Markt aktiv. Gelegentlich findet man mehrere Detailkonzepte unter einem Angebotsdach. Mehr und mehr Vertragswerkstätten integrieren aufgrund der Fremdmarken im GW- und Flottengeschäft den Mehrmarkenservice über einen weiteren Systemgeber. Volkswagen agiert als Hersteller seit 2008 mit stop+go und 22 Franchise-Nehmern damit, die Wertschöpfungskette auf die Reparatur von GW aller Marken auszuweiten. Die „stop+go“- Betriebe lassen keinerlei Form von Co-Branding mit klassischen Volkswagen-Vertragswerkstätten zu. Nachdem die Automobilhersteller wesentliche Margen über den Teilesektor einfahren, setzen sie strategisch bei der Service- und Teilebelieferung auf Fremdwerkstätten. VW agiert hier über die NORA-Schiene (Nicht Organisationsgebundene Rabattberechtigte Abnehmer), Opel mit „FWLZ“ (Freie Werkstatt Leistungszentrum). Ein Blick nach Frankreich zeigt, dass dort mit den Servicemarken „Motrio“ von Renault und „Eurorepar“ von PSA der Mehrmarkenservice mit über 1.000 Werkstätten von den Fahrzeugherstellern beherrscht wird. In Deutschland offeriert Renault mit den Servicemarken „Renault minute“ und „Renault minute Karosserie“ seit 1999 bzw. 2003 exklusiv für Vertragswerkstätten zwei alternative Servicemarken für die Mehrmarkenreparatur. Mit der Servicemarke „Eurorepar“ ist auch der PSA-Konzern Ende 2008 in den deutschen Mehrmarkenservice eingetreten. PSA stellt „Eurorepar“ auch freien Werkstätten zur Verfügung. Die Teilelogistik – für alle Fahrzeugmarken (!) – wird von beiden Fahrzeugherstellern (!) abgedeckt. Dafür wurden von Renault mit Motrio und durch die PSA-Gruppe mit Eutelio Marken für den Handel mit Teilen für Fremdfabrikate aufgelegt. Sie tragen preislich einer zeitwertgerechten Reparatur Rechnung. Wann werden die deutschen Hersteller mit vergleichbaren Offerten aufwarten? Wer macht den Anfang? Freie SystemanbieterFür Vertragswerkstätten werden die „freien Systemanbieter“ immer mehr zum Hauptwettbewerber. Hier findet seitens der Systemanbieter ein Transfer-Know-how in den Bereichen Teilehandel, technischer Support, Marketing- und Managementunterstützung statt. Entsprechend sind in der Praxis unterschiedliche Bindungsgrade zwischen Systemgeber und -nehmer anzutreffen. Abb. 2 verdeutlicht das.Preis-WettbewerbHersteller/Importeure reden den angeschlossenen Partnern strategisch ein, unzureichende Erträge im Fahrzeugverkauf seien über Erträge im Service abzudecken. Das mag kurzfristig als Ausnahmesituation gelten, mittelfristig aber sicher nicht. Die Stundenverrechnungssätze liegen in den Vertragswerkstätten in Deutschland West im Schnitt bei 70 Euro, in Deutschland Ost bei 50 Euro zzgl. MwSt. Wenn nun erste MB-Niederlassungen mit 20-Prozent-Nachlässen auf Lohn & Teile operieren, dokumentiert dies zum einen unzureichende Werkstattauslastung, zum anderen ein überhöhtes Preisniveau. Schön, wenn mancher Kunde für den Liter Mitnahmeöl noch 27 Euro bezahlt. Abb. 3 zeigt, was aktuell Pit-Stop offeriert: Der komplette Ölwechsel – bis zu 5 Liter Castrol-Premiumöl – kostet dort inkl. MwSt. und Filter 20 Euro. Markenreifen stehen dort ab 26 Euro im Angebot. Erwachet! Auch der TÜV Thüringen agiert an seinen Stationen als Billiganbieter. Der Liter Öl kostet dort inkl. MwSt. 6,49 Euro. Deutschlands erfolgreichster freier Automobilhändler hat an seinen zehn Werkstattstandorten einen Verrechnungssatz von 39,90 Euro zzgl. MwSt und verdient damit Geld.Herstellerstrategen hecheln noch immer einem Premium-Service und höchster Kundenzufriedenheit nach. Die akademischen Herren am „grünen Tisch“ testen und testen, powern die Telefonseelsorge, die den Kunden auf den Wecker geht, konstruieren noch aufwändigere Werkstattbauten mit Luxusdialogannahmen und weißem Werkstattboden, kassieren abermals beim Spezialwerkzeug sowie den Werkstattspezialgeräten ab und führen damit systematisch die Stundenverrechnungssätze für immer mehr Kunden in Phantasiedimensionen. Die Folge: Die Kunden bleiben weg! Was nützen 90 Prozent Kundenzufriedenheit, wenn nur 40 Prozent der angeblich zufriedenen Kunden wiederkommen? Die Loyalitätsrate ist der entscheidende Maßstab und sonst nichts! Die 33.000 Werkstatttests, die die Hersteller und Importeure den Vertragswerkstätten Jahr für Jahr aufs Auge drücken, gehören drastisch reduziert. Warum? Getestet haben wir genug. Die Leistungen werden trotzdem nicht besser. Weshalb? Die Akteure mögen jene Menschen in den Werkstätten – Serviceberater wie Mechatroniker – an die Hand nehmen, die die Arbeit gleich richtig machen müssten. Daran krankt es. Das wird aber durch die Testerei nicht besser. AuslastungschancenMarktchancen für zusätzliche Serviceleistungen in der Vertragswerkstatt sind:Reifen-Management (Abb. 4)Präventive Achsvermessung (Abb. 5)GlasreparaturenDellenentfernungFahrzeugpflegeSonnenschutzWerbeflächen-Deko am AutoUnfall-MaßnahmenNeu- und Gebrauchtwagen-AnschlussgarantienFlatrate im Gebrauchtwagensektor mit individuellen ServiceoffertenService-FinanzierungWie erfährt der Kunde von diesen Leistungen? Service-Marketing ist nach wie vor ein Stiefkind in der Branche. Flyer, Spiegelhalter sind eine wirkungsvolle und preisgünstige Lösung. Nach jedem Serviceaufenthalt wird eine Botschaft gesteckt! Glasreparatur, Fahrzeugpflege, Smart Repair, HU, Räder oder auch Unfall-Maßnahmen. Wer nicht wirbt, der stirbt! 2010 gilt es zudem, die Servicekontakte zu optimieren, die via Abwrackprämie 2009 zusätzlich in die Vertragswerkstätten gespült werden. zVertragsgebundene Werkstatt• Aufnahme weiterer Serviceverträge des gleichen Automobilkonzerns• Aufnahme eines Servicevertrags eines fremden Automobilkonzerns• Bildung einer externen strategischen AllianzFreie und gebundene Werkstatt• Kooperation mit einem Full-Service-Systemanbieter• Kooperation mit einem Detailsystemanbieter• Zusammenschluss in WerkstattkooperationenFreie Werkstatt• Integration in das selektive Servicesystem eines Automobilherstellers• Spezialisierung auf einen Tätigkeitsbereich (z. B. Öl, Bremse, Auspuff) oder eine Zielgruppe (z. B. Frauenwerkstatt)• Spezialisierung auf wenige MarkenStrategische Optionen für Werkstätten Abb. 1Bindungsgrad zw. Systemgeber und -nehmer Abb. 2

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