Verglichen mit der DEKRA-Historie sind 25 Jahre nur ein Kapitel – immerhin steht der Stuttgarter Prüf- und Sicherheitskonzern kurz vor seinem 100. Geburtstag. Im Interview konstatierte Guido Kutschera, Vorsitzender der Geschäftsführung DEKRA Automobil GmbH, dass das abgelaufene Vierteljahrhundert das wahrscheinlich turbulenteste in der Schadenbranche gewesen sein dürfte, und prophezeite für die nächsten Jahre hochspannende Entwicklungen.
Die Zukunft fest im Blick
AH: Herr Kutschera, das Schlagwort der letzten Jahre dürfte unbestritten Digitalisierung sein. Wie sehen Sie DEKRA in Sachen Hochtechnologie wie Telediagnose, Künstliche Intelligenz oder Apps zur Schadenerfassung aufgestellt?
G. Kutschera: Natürlich beschäftigt sich DEKRA als Marktführer bei Kfz-Gutachten in Deutschland mit der Digitalisierung, die die Branche bewegt. Wir setzen digitale Instrumente ein, wo es Sinn ergibt, etwa bei der Besichtigung bestimmter Arten von Schäden aus der Ferne mit unserer DEKRA i2i-Technologie. Wir testen immer wieder die neuesten verfügbaren Technologien, zum Beispiel in Sachen Fahrzeugscanner. Und nicht zuletzt sorgen wir über unsere Beteiligung an der Firma Spearhead dafür, Schadenprozesse zu digitalisieren, damit Schäden schneller reguliert werden können. Telematikdaten in Verbindung mit einer riesigen Datenbank realer Schäden können schon mit der Schadenmeldung direkt nach einem Unfall eine recht präzise erste Einordnung des Schadens liefern.
Das ermöglicht zum Beispiel dem Versicherer eine schnellere Reaktion: Ersatzwagen? Vorwarnung an die Partner-Werkstatt? Sachverständiger vor Ort? Diese sekundenschnelle Einordnung hilft, den Prozess zu beschleunigen. Insgesamt würde ich für DEKRA in Anspruch nehmen: Wir sind in Sachen Digitalisierung mehr als auf der Höhe.
Künstliche Intelligenz hat Grenzen
AH: Besteht die Gefahr, dass digitale Trends die Kfz-Sachverständigen als eine wichtige Säule des Geschäftsmodells überflüssig machen könnten?
G. Kutschera: Nein, damit rechne ich keineswegs. KI-Anwendungen können sicher sinnvolle und wichtige Hilfsmittel für Sachverständige sein. Aber sie bleiben eben auf absehbare Zeit genau das: Hilfsmittel. Sie können als moderne Werkzeuge dabei helfen, Schadengutachten auf dem aktuellen Stand der Technik zu erstellen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Es ist denkbar, dass die KI bei Bagatellschäden irgendwann in der Lage sein wird, Kratzer oder Dellen in der Fahrzeug-Außenhaut verlässlich zu erkennen. Anders sieht es bei größeren Schäden aus: Wie soll ein Bilderkennungssystem verbunden mit KI herausfinden, was unter einem beschädigten Bauteil passiert ist? Wenn zum Beispiel ein Stoßfänger zurückfedert, ist von außen nicht zu sehen, wie stark der Anstoß war und wie die Struktur darunter aussieht. Hinzu kommt die ständig weiter zunehmende Komplexität im Fahrzeugbau: Verbundwerkstoffe, hochfeste Stähle, Sensoren für Assistenzsysteme. Auch wenn die technische Entwicklung der KI natürlich weitergeht: Es wird noch sehr lange menschlicher Sachverstand nötig sein, der sich dann ja durchaus auf KI als Werkzeug stützen kann.
Schadenfälle optimal koordiniert
AH: Sie arbeiten mit Autohäusern und Reparaturwerkstätten deutschlandweit zusammen. Wie unterstützen Sie diese in Sachen Schadenmanagement und Prozessoptimierung, was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Leistungen?
G. Kutschera: Wenn ein Kunde mit einem Unfallschaden in die Werkstatt kommt, ist das Ziel klar: Er will und soll möglichst schnell wieder mit einem reparierten Fahrzeug unterwegs sein. Dabei geht es aber nicht nur um die Reparatur: Einen Unfallschaden abzuwickeln, ist eine komplexe Angelegenheit mit vielen Beteiligten. Da gibt es eine Menge zu koordinieren. Hier setzen unsere modularen Angebote in Sachen Schadenmanagement an, mit denen Betriebe jeder Größe die passgenaue Lösung bekommen. Wir koordinieren Prozesse, damit sich Reparaturbetriebe auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können – bis hin zur kompletten Koordination aus einer Hand. Mit unserer einzigartigen bundesweiten Flächendeckung sind wir in Sachen Schadenmanagement immer schnell vor Ort – oder auch dauerhaft im Betrieb, je nach Bedarf.
Gesundheitscheck für Autobatterien
AH: Wie reagiert DEKRA auf die Zeitenwende, die die Elektromobilität in Sachen Aftersales inklusive Unfallschadeninstandsetzung und Schadenbegutachtung darstellt?
G. Kutschera: Auch hier gilt, was ich zur Digitalisierung im Gutachtenbereich gesagt habe: Wir sind bei der Elektromobilität am Puls der Zeit. Das gilt für die ständige Schulung unserer Beschäftigten, die Forschung an neuen Prüfmethoden für die HU, die Aufrüstung unserer Prüfstände und Labore in unserem Technologiezentrum am DEKRA Lausitzring, aber auch für die Angebote der DEKRA Akademie zur Hochvolt-Qualifizierung von Werkstattpersonal. Ganz aktuell rollen wir unseren patentierten Batterie-Schnelltest für Elektrofahrzeuge deutschlandweit aus. Damit können wir innerhalb von 15 Minuten eine verlässliche Aussage zum „State of Health“ einer Antriebsbatterie machen. Das ist zum Beispiel wichtig bei Fahrzeugbewertungen. Denn bei gebrauchten Elektrofahrzeugen ist die Batterie entscheidend für den Restwert.
AH: Welche Auswirkungen erwarten Sie durch alternative Antriebe, auch über Elektromobile hinaus, sowie die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung der Fahrzeuge in Sachen Hauptuntersuchung?
G. Kutschera: Schon immer ziehen Weiterentwicklungen in der Fahrzeugtechnik entsprechende Veränderungen bei der Fahrzeugprüfung nach sich. Das wird auch mit Blick auf die Themen, die Sie ansprechen, notwendig sein: Wir brauchen die passenden Prüfmethoden, um dafür zu sorgen, dass auch die künftigen Fahrzeuge sicher und umweltverträglich unterwegs sind. Das gilt für veränderte Hardware, etwa beim Antrieb, aber umso mehr für Elektronik- und Software-Themen rund um Automatisierung und Vernetzung.
Die HU der Zukunft wird – neben allen mechanischen Faktoren, die wichtig bleiben – datengetrieben sein. Und das heißt auch: Wir brauchen als Überwachungsorganisationen einen klar geregelten Zugriff auf die originären prüfungsrelevanten Daten aus dem Fahrzeug. Eine Möglichkeit, für die wir uns einsetzen, wäre ein neutraler Datentreuhänder, ein so genanntes Trust Center, das nach festgeschrieben Rechten und Rollendefinitionen den jeweiligen Stakeholdern die nötigen Daten unverfälscht und diskriminierungsfrei zur Verfügung stellt.
Wissen als Top-Ressource
AH: Wie gewährleisten Sie, dass Ihre Kfz-Sachverständigen und Prüfingenieure in Zeiten immer komplexerer Fahrzeugtechnik das nötige Know-how aufrechterhalten?
G. Kutschera: Als Sachverständigenorganisation leben wir seit jeher vor allem vom Sachverstand unserer Beschäftigten. Deshalb versteht es sich von selbst, dass wir in diesen Sachverstand auch nachhaltig investieren. Wir schreiben das Thema Aus- und Weiterbildung ganz groß. Unsere Bildungszentren in Kreischa, Altensteig und Wart zählen zu unseren wichtigsten Standorten überhaupt. In Altensteig, wo die Aus- und Weiterbildung im Gutachtenbereich stattfindet, haben wir erst erweitert. Obwohl natürlich manche Inhalte heute auch online vermittelt werden können, ist für uns klar: An der praktischen Schulung in Präsenz wird auch in Zukunft kein Weg vorbeiführen. Nicht, wenn die Qualität dauerhaft stimmen soll.
AH: Warum sind Sie davon überzeugt, dass Ihr Haus auch 25 Jahre in der Zukunft eine wichtige Größe in Sachen Sicherheit rund ums Kfz-Geschäft sein wird?
G. Kutschera: Wir entwickeln uns seit fast 100 Jahren ständig weiter, einige Beispiele haben wir schon besprochen. Und wir haben auch nicht vor, dabei in Zukunft nachzulassen. Ein Beispiel ist die Projektgruppe DA 2030, die wir schon vor zwei Jahren aufgestellt haben. Darin arbeiten viele junge, kreative Kolleginnen und Kollegen in der DEKRA Automobil GmbH ganz gezielt an Zukunftsthemen: wie erwähnt, an Prüfmethoden für morgen und übermorgen, aber auch an digitalen Prozessen intern. Bis hin zu der Frage, welche Voraussetzungen unsere Prüflokationen erfüllen müssen. Die DEKRA Niederlassung der Zukunft existiert virtuell – ich war quasi schon dort.
AH: Herr Kutschera, herzlichen Dank für dieses Gespräch.