Michael Pinto, seit 2020 Geschäftsführer des Bundesverbandes der Partnerbetriebe e.V. (BVdP), sieht angesichts des massiven Wandels in der Schadensteuerung und Unfallreparatur die Zeit für wichtige Reformen endgültig gekommen.
Die deutsche Schadenwelt leidet unter den aktuellen Krisenerscheinungen, die von einem "rapiden Wandel bei Mobilität, Fahrzeug- und Reparaturtechnik" begleitet werden. Für Michael Pinto ist es deshalb "höchste Zeit", aus den gewonnenen Erkenntnissen die richtigen Schlüsse zu ziehen und die Schadensteuerung nachhaltig in die Zukunft zu führen, wie er im nachfolgenden Interview mit AUTOHAUS verdeutlicht.
Reformieren statt renovieren
AH: Herr Pinto, 2023 war für die Branche einmal mehr ein herausforderndes Jahr, was man nicht zuletzt an den BVdP-Veröffentlichungen zu aktuellen Themen ablesen kann. Wo liegen aus Ihrer Sicht die Schmerzpunkte?
M. Pinto: Es ist richtig, dass wir in den vergangenen Monaten immer wieder die Sichtweise und die Probleme der Partnerwerkstätten in viele Gespräche und Diskussionen eingebracht haben. Ich denke da zum Beispiel an die Direktkundenregelung, an die Ersatzmobilität, an schnellere Zahlungsgeschwindigkeit, an bessere Prozesse oder die höheren Reparaturkosten für Elektrofahrzeuge. Für uns als den Verband der Betriebe in der Schadensteuerung muss auf die gründliche Beleuchtung der aktuellen Herausforderungen nun aus den gewonnenen Erkenntnissen aktives Handeln abgeleitet werden. Das funktioniert nur im Rahmen des kooperativen Schadenmanagements, dazu ist der regelmäßige Austausch zwischen den relevanten Marktgrößen und Branchenverbänden als Interessenvertretung der Werkstätten unabdingbar. Der kritische Austausch ist die notwendige Grundlage, aber nur Reden reicht nicht mehr aus: Die Zeit der Trippelschritte und Renovierungsversuche ist vorbei – die Schadensteuerung braucht grundlegende Reformen, für die wir uns massiv einsetzen! Wir stehen da allen Playern im Schadenmanagement für den Dialog zur Verfügung.
Schadenmanagement neu denken
AH: Wie könnten diese konkret aussehen?
M. Pinto: Das gesteuerte Geschäft war in den vergangenen Jahren für viele Unfallreparaturbetriebe und Partnerwerkstätten ein echter Innovationsmotor. Unsere Mitglieder haben immer wieder die geforderten Standards erfüllt, ihre Prozesse optimiert, neue digitale Systeme etabliert und ihren Außenauftritt professionalisiert. Durch diese immensen Kraftanstrengungen wurde das Vertrauen der Versicherungsnehmer in das Modell erst geschaffen und die Tarife konnten sich im Markt etablieren. Es wurde also eine ganze Reihe positiver Veränderungen angestoßen. Diese haben jedoch ebenso massive Investitionen erfordert wie die notwendige Suche und Qualifizierung von Mitarbeitern, bauliche Anpassungen und moderne Werkstattausstattung. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, den Gedanken des kooperativen Schadenmanagements auch auf Seiten der Großauftraggeber weiter konsequent fortzuführen und die Rahmenbedingungen an die aktuellen Entwicklungen anzupassen, wenn das Erfolgsmodell Schadensteuerung auch in Zukunft erfolgreich bleiben soll. Nur durch umsichtiges Handeln kann aus meiner Sicht vermieden werden, dass die Reparaturkapazitäten in den kommenden Jahren massiv schrumpfen – durch Betriebsaufgaben, durch fehlendes Personal oder durch schlechte Rahmenbedingungen, die den Betrieben die Lust auf Schadensteuerung nehmen.
Kostenlos passt nicht mehr in die Zeit
AH: Wie auch die Unfallreparaturbetriebe steht die Versicherungswirtschaft aktuell unter einem gewaltigen Kostendruck. Denken Sie, der verständliche Wunsch nach effizienten Prozessen und mehr Unterstützung für die Partnerbetriebe hat Aussichten auf Erfolg?
M. Pinto: Ich denke, dass das kein Wunsch, sondern eine Notwendigkeit ist, von der in der Konsequenz natürlich auch die Steuerer profitieren werden. Dazu sollte man einfach konsequent zu Ende denken. Wir sprechen bei der Unfallschadenreparatur im gesteuerten Geschäft von der bestmöglichen Betreuung gemeinsamer Kunden, die der Werkstatt, der Kfz-Versicherung oder des Schadenlenkers.
Wenn den Betrieben eine fachgerechte Reparatur nach modernen Standards nicht mehr möglich ist, kann der gewünschte Service schlichtweg nicht mehr erbracht werden. Als die Schadensteuerung vor mehr als 25 Jahren in Deutschland eingeführt wurde, waren die Vorzeichen noch komplett andere. Es ging um mehr Auslastung für die Partnerbetriebe und um kostenlose Dienstleistungen, die den Autofahrern die Steuerung schmackhaft machen sollten.
Wir schreiben jetzt das Jahr 2023 und nach über 25 Jahren müssen wir uns ganz anderen Herausforderungen stellen, um das enorm hohe Level im deutschen Reparaturgeschäft aufrechtzuerhalten. Deshalb verbietet es sich, die Schadensteuerung aus der Warte möglicher Einsparungen zu sehen, sondern als das, was sie in der Realität ist: Eine Premiumleistung auf höchstem Niveau, in der dann z. B. kostenlose Ersatzmobilität nichts zu suchen hat.
Diese Erkenntnis muss sich an den richtigen Stellen durchsetzen und zu einer Verbesserung der Rahmenbedingungen führen, weil am Ende alle Beteiligten davon profitieren. Neben den notwendigen Reformen gibt es aber auch Handlungsbedarf im operativen Geschäft. So sind die Betriebe, die weiterhin vor großen Investitionen stehen, beispielsweise auf Liquidität angewiesen.
Dazu gehören dann auch die schnelle Zahlung ausstehender Rechnungen und der Verzicht auf überflüssige Rechnungskürzungen.
Faires Miteinander nötig
AH: Welchen Einfluss kann der BVdP dabei nehmen?
M. Pinto: Es wird auch weiterhin unsere Aufgabe sein, die richtigen Impulse zu setzen, um notwendige Veränderungen anzustoßen. Als Wirtschaftsverband ist es nicht unser Job, Tarifverhandlungen zu führen wie eine Gewerkschaft – das bleibt die Aufgabe der Unternehmer selbst. Wir können aber deutlich aufzeigen, welche Probleme unseren Verbandsmitgliedern auf den Nägeln brennen, und wir können konstruktive Lösungsvorschläge machen. Eines nämlich ist sicher: Die Schadensteuerung ist kein Auslaufmodell und wird in den kommenden Jahren eher an Bedeutung zunehmen.
Die Kfz-Versicherungen haben aus meiner Sicht die Stellhebel in der Hand, um mehr Aufträge zu steuern als bisher. Statt nur auf die Kostenseite zu blicken, braucht es eine Mischkalkulation, einen konsequenten Abschied von veralteten Ansichten rund um kostenlose Services und, ganz wichtig, eine weitere Verschlankung der Prozesse und Systeme. Um die Megathemen Digitalisierung und Nachhaltigkeit erfolgreich zu stemmen, brauchen wir ein faires, partnerschaftliches Miteinander auf Augenhöhe. Wenn das gegeben ist, werden unsere Mitglieder gerne weiterhin die notwendigen Investitionen tätigen, um die nötige Qualität zu liefern. Denn wenn die Schadensteuerung für unsere Verbandsmitglieder wieder attraktiver wird und die alten Zöpfe wie u. a. die Direktkundenregelung endlich abgeschnitten werden, dann wird aus unserer Sicht die Bereitschaft zur Schadensteuerung und zur Schaffung der benötigten Ressourcen deutlich ansteigen.
Netzwerkstatt im neuen Gewand
AH: Wir haben heute viel vom Wandel und notwendigen Veränderungen gesprochen. Wie sehen diese beim BVdP selbst aus?
M. Pinto: Natürlich sind wir auch verbandsintern ständig auf der Suche nach Optimierungspotenzial, im engen Austausch mit unseren Mitgliedsbetrieben und allen relevanten Branchenpartnern. Ein gutes Beispiel dafür, dass auch der BVdP alte Zöpfe abschneidet, wird unsere nächste Netzwerkstatt am 24. April 2024 liefern.
Diese findet erstmals im Kongresszentrum Eurostrand Leiwen Resort Moseltal statt und wird nicht nur mehr Platz für alle Teilnehmer bieten, sondern auch ein unvergleichliches Ambiente. Während der gute und richtige Grundgedanke, das Netzwerken auf Augenhöhe, also erhalten bleibt, ändern wir die Rahmenbedingungen und machen die Veranstaltung zeitgemäßer und attraktiver.
AH: Herr Pinto, herzlichen Dank für dieses Gespräch. (kt)