Denn jeder Crash, der erst gar nicht stattfindet, optimiert die Abläufe in der eigenen Flotte, senkt die Kosten und verbessert die Sicherheit des eigenen Personals – leistet also auch einen Beitrag zur Vision Zero.
Wenn Geschäftsführung, Fuhrparkleitung und Fahrer gemeinsam an einem Strang ziehen, bietet Riskmanagement die Chance auf einen wirtschaftlichen, gesetzesgemäßen und nicht zuletzt sicheren Betrieb der eigenen Flotte.
Lange Zeit galt unter Flotten- und Fuhrparkverantwortlichen der "Leitsatz": Der größte Feind des Schadenmanagers ist der Riskmanager – oder anders ausgedrückt: Jeder Unfall, der verhindert wird, kann nicht durch intelligente Prozesssteuerung zur Kostensenkung beitragen. Inzwischen wandelt sich dieses ohnehin falsche Bild in die richtige Richtung und das enorme Potenzial eines ganzheitlichen Riskmanagements wird von Versicherungen, Schadenmanagement-Experten und Großkunden gleichermaßen erkannt. Denn neben den Aufwendungen für die reine Instandsetzung entstehen nach jedem Crash im Fuhrpark Störungen in den Abläufen, die sich pro Jahr zu immensen indirekten Kosten addieren können – damit aber auch ein gewaltiges Einsparpotenzial bieten. Wie man dieses am besten gemeinsam hebt, erläutert Ralph Feldbauer, Geschäftsführer des Branchendienstleisters Riskguard, im Interview mit AUTOHAUS Schadenmanager.
Je größer der Fuhrpark, desto komplexer
AH: Herr Feldbauer, Sie beschäftigen sich seit 25 Jahren mit dem professionellen Riskmanagement in Fuhrparks und Flotten. Wie unterscheidet sich diese Geschäft von der Versicherung von Privatkunden?
R. Feldbauer: Es handelt sich zwar um die "gleiche Versicherungssparte" – die Inhalte und die Vorgehensweise zu Produktgestaltung, von den Inhalten bis zum Schadenmanagement sind allerdings sehr verschieden. Allen voran steht das Risikowissen um den jeweiligen Fuhrpark, daran anschließend die Risikoanalyse und letztlich die Risikokalkulation, welche die Grundlage für die jeweilige Versicherungsprämie ist.
Und hier kann man relativ klar sagen: Je größer der Fuhrpark, desto individueller die Kalkulation und je unterschiedlicher die Prämienkosten dafür. Hört sich einfach an, aber hier kann man auf der Versicherer- wie auf der Kundenseite viele Fehler machen und sich damit entsprechende Herausforderungen schaffen. Auf der Versichererseite in erster Linie die nicht schadensbedarfgerechte Kalkulation für Flotten, was am Ende immer in Sanierungsgespräche mündet. Egal, ob dabei eine Erhöhung der Prämie oder Selbstbeteiligung oder sogar eine Vertragskündigung diskutiert werden muss, ist dies immer ein unangenehmes Thema für alle Beteiligten. Auf der Kundenseite droht ein Vernachlässigen und falsches Bewerten von eingetretenen Schäden im Fuhrpark – mit deren teils erheblichen Auswirkungen. Gibt es doch im Regelfall viele gleich wiederkehrende Schäden, die im Fachjargon "Frequenzschäden" genannt werden.
Wie entstehen solche Frequenzschäden in der Praxis?
R. Feldbauer: Wir sprechen hier vor allem von Auffahrschäden und Parkremplern. Natürlich gelten im gewerblichen Bereich ganz andere Fahrleistungen als im privaten Umfeld, der Dienstwagenfahrer steht unter Stress. Hinzu kommt die Ablenkung durch Handyanrufe, aber – nicht zu unterschätzen – auch die Bedienung der immer umfangreicheren technischen Systeme. Vor allem, wenn Fahrer häufig die Marke wechseln, kann dies zum echten Problem werden. Nicht verschweigen darf man allerdings auch die sogenannte Firmenwagenmentalität – wo beim eigenen Pkw eher vorsichtig gefahren wird, "zahlt es ja die Firma" und das ist einer der Ansatzpunkte von Riskmanagement. Durch ein intelligentes Zusammenspiel technischer, organisatorischer und psychologischer Maßnahmen senken Fuhrparks ihre Kosten beträchlich. Musterbranchen wie die Pharmaindustrie oder Gefahrguttransporte können hier als funktionierende Beispiele herangezogen werden – dort lebt die Geschäftsführung ganz klar entsprechende Konzepte vor, bis hin zu Sanktionierungen von Fehlverhalten. Bei den horrenden Kosten entsprechender Unfälle mit Umweltverschmutzung und umfangreichen Reinigungsmaßnahmen nicht weiter verwunderlich, aber: Auch vermeintlich "günstige" Kleinschäden summieren sich enorm.
Echtes Wettbewerbsargument
Das Thema Riskmanagement wird also für Kfz-Versicherungen, aber auch Schadensteuerer zumehmend interessant. Wo liegen die Gründe?
R. Feldbauer: Das Thema ist nicht nur interessant – sondern absolut zukunftsrelevant. Versicherer erkennen zunehmend, dass Sie im Wettbewerb um den Firmen-/Flottenkunden nur bestehen können, wenn Sie mehr bieten als den üblichen Tausch von Beitrag gegen Schadenszahlung, der im Regelfall mit Regularien oder Sanierungsgespräch ein Jahr später wieder gegenseitig in die "Waage" gebracht wird. Die Erwartungshaltung auf der Kunden- und Vermittlerseite ist hier ebenso klar, nämlich mit dem bei der Assekuranz zurecht "unterstellten Risikowissen" ein mehr an Informationen zum Fuhrpark und insbesondere zur Schadenskostensituation geliefert zu bekommen. Im besten Fall könnte man über die vorhandenen Daten Auswertungen und die Expertise zur Vermeidung erhalten.
Hierzu ist allerdings eine intelligente Verknüpfung der Informationen notwendig, die weit über die standardisierte Suche nach Örtlichkeiten oder Zeiten hinaus geht. Während das Wissen über Privatkunden durch die unterschiedlichen Tarifmerkmale relativ hoch ist, sind die Dienstwagenfahrer oft eine unbekannte Größe. Ihre Ausbildung, die Art des Fahrzeuges und seine Ausstattung, die Zusammensetzung des Fuhrparks – es gibt eine Vielzahl von Stellschrauben, an denen man drehen kann. Aus den Kinderschuhen ist man bei den Versicherern inzwischen entwachsen und hat Riskmanagement als Mittel zur Kundenbindung und entscheidendes Wettbewerbskriterium erkannt. Auch das Underwriting – also die Einkäufer der Versicherer – können zusätzliches Risikowissen für Ihre Tagesarbeit und der richtigen Bewertung von Flottenrisiken dringend benötigen – nicht zuletzt deshalb ist das Interesse auf VR-Seite groß. Zukunftsorientierte Vorstände haben dies erkannt und investieren auf diesem Gebiet.
Schadensteuerer mit höchster Datenqualität
Welche Chancen bietet Riskmangement Schadensteuerungsunternehmen?
R. Feldbauer: Aus meiner Sicht sollten entsprechende Maßnahmen zum Kerngeschäft gehören, denn der Dienstleister übernimmt ja ganz explizit die Aufgabe der Schadenkostenreduktion – im Idealfall nicht nur durch Beeinflussung bereits eingetretener, sondern vor allem durch die Verhinderung potenzieller künftiger Ereignisse. Im Vergleich zur Versicherungswirtschaft hat der Schadensteuerer sogar das bessere Datenmaterial zur Verfügung, da auch Unfälle die per Selbstbeteiligung abgewickelt weden, erfasst sind. Dies bietet die enorme Chance, Schäden über Transparenz und Prävention zu reduzieren.
Natürlich bedarf dies einer fundierten Expertise, um aus der vorhandenen Datenvielfalt die richtigen Informationen zu selektieren, um Kunden wirksame und praxisgerechte Maßnahmenvorschläge an die Hand geben zu können. Heißt also, auch der innovative Schadenssteuerer erkennt zwischenzeitlich, dass sich in Zeiten von sinkenden Schadenshäufigkeiten sein Kerngeschäft dahingehend verändern wird, dem Kunden in der Prävention eine enorm werthaltige Dienstleistung liefern zu können. Die Profis unter den Marktteilnehmern arbeiten hier bereits sehr aktiv und haben die Gleichwertigkeit von intelligenter Steuerung und aktiver Schadenvermeidung erkannt.
"Nebenkosten" in Millionenhöhe
Wie groß ist das wirtschaftliche Potenzial, durch Ursachenforschung und geeignete Gegenmaßnahmen Schäden zu vermeiden – auch im Unterschied zum "klassischen Schadenmanagement", nachdem der Crash bereits passiert ist?
R. Feldbauer: In einem Wort: Enorm. Und das ist noch untertrieben. Wenn Sie sich die Schadenfolgekosten eines Unfalls einmal näher anschauen, erkennen Sie das wirtschaftliche Potential sehr schnell. Jeder Unfall ist eine Störung im Betriebsablauf, der wirkliche Kosten nach sich zieht, die im Regelfall nicht über eine Versicherung erstattet werden. Die Standzeiten, die Ausfallzeiten des Fahrers, aber auch die interne dafür erforderliche Unfallabwicklung, die Selbstbeteiligungen, Wertminderungen etc. etc. sind echte Aufwände, die sich im Durchschnitt bereits beim Pkw aktuell schon bei 2.500 Euro aufwärts – Tendenz steigend –, im LKW-Bereich bei 3.800 Euro aufwärts bewegen.
Je größer die Flotte, umso mehr Frequenzschäden fallen ohne geeignete Gegenmaßnahmen an. Das bedeutet, der Mulitplikator zu den oben angeführten Summen wird immer größer und erreicht schnell sechs- oder gar siebenstellige Dimensionen. Fakt ist, dass nach einer solchen Kostenanalyse jeder Fuhrparkverantwortliche aktiv wird, um nicht nur die direkten Folgekosten, sondern auch die beschriebenen indirekten Schadenkosten zu reduzieren. Schnell wird jedem klar, dass ein professionelles Schaden-Präventionskonzept im Fuhrpark die beste unternehmerische Investition ist. Vor allem deshalb, weil für jeden investierten Euro ein positiver Rückfluss gesichert ist, wenn alle an einer aktiven Umsetzung mitarbeiten. Das kann ich aus meiner langjährigen Erfahrung vielfältig nachweisen und sogar fast schon garantieren!
Wer kann bei der erfolgreichen Umsetzung mitwirken?
R. Feldbauer: Riskmanagement ist ein Konzept, das dann am besten funktioniert, wenn es wirklich alle verstehen und aus Überzeugung mittragen – von der Geschäftsführung über den Fuhrparkmanager bis zum letzten Fahrer und Trainee. Statt Wunschmitarbeiter oder verdiente Kollegen nur über das Gehalt zu belohnen, sollte durchaus über besser ausgestattete Dienstwagen nachgedacht werden. Natürlich ist ein Schaden-Präventionskonzept für alle Beteiligten arbeitsintensiver als die Schadenmeldung per Mail oder Telefon beim Kfz-Versicherer. Dabei sind die Versicherungsschäden, wie bereits geschildert, bestenfalls die Spitze des Eisberges. Wenn ein Fahrer an der Straße zwei Stunden auf die Polizei wartet oder der Fuhrparkleiter sich mit einem Unfall beschäftigen muss, statt seinen eigentlichen Aufgaben nachzugehen, entstehen schnell mehrere Hundert Euro Folgekosten, die nicht in die Reparaturrechnung einfließen und die auch nicht versicherbar sind. Diese gilt es aktiv zu vermeiden.
Bewusstsein für Riskmanagement wächst
Riskmanagement ist also ein offensichtlich weites Feld mit einer Vielzahl an Dimensionen. Welche Aspekte sehen Sie als besonders wichtig an und wo liegen die Trends für die nächsten Jahre?
R. Feldbauer: Auch das Riskmanagement verändert sich enorm. Maßnahmenansätze aus der Vergangenheit sind nicht mehr zielführend. Über die fortschreitende Technik sowie die vorhandenen vielfältigen Daten ergeben sich revolutionäre neue Chancen bei der Schadensvermeidung, die wesentlich schneller wirken und auch geringere Investitionskosten erfordern. Meines Erachtens stehen wir am Vorabend einer großen Veränderung, die durchaus einige Riskmanagement-Kooperationen und Markteilnehmer deutlich verändern werden. Schulungen zum Beispiel werden wesentlich digitalisierter, teils auch im Realverkehr proaktiv und live möglich sein. Damit können sie direkt wirken, während herkömmliche Sensibilsierungen und Trainings immer nur reaktiv und nachgängig zum Schaden umgesetzt und wirksam sind. Ich begleite hier federführend aktuell gerade spannende Projekte.
Wichtig wäre zudem, dass der Gesetzgeber in den letzten beiden Jahren auch in der Halterverantwortung das Thema Risikomanagement erkannt hat. Beginnend bei Personenschäden mit dem Dienstfahrzeug, werden in der Wahrnehmung vieler Kunden von den Strafverfolgungsbehörden nun verstärkt die Fragen zur konkreten Unfallvermeidbarkeit im Unternehmen und in Richtung der Unternehmen gestellt, also die Schadenvermeidungsverantwortung geprüft und bewertet. Eine steigende Tendenz dazu ist klar zu erkennen, was natürlich die Unternehmensverantwortlichen dazu bewegt, ein exkulpierendes Riskmanagement-Konzept für ihren Fuhrpark aufzubauen.
Vielen Dank für dieses Gespräch. (kt)