Wie nie zuvor in der deutschen Nachkriegsgeschichte ist der Ruf nach Rohstoff- und Ressourcenschonung heute in Wirtschaft, Gesellschaft und der Politik hörbar. Begonnen hatte der Prozess des ökologischen (und ökonomischen) "Umdenkens" mit den unterbrochenen Lieferketten in der Corona-Pandemie, der Chip-Krise und der plötzlichen Verknappung von Teilen bis hin zu Gütern des täglichen Lebens, so z.B. selbst vielen wichtigen Medikamenten. Überall fehlte plötzlich der Nachschub. Die jahrzehntelang als Vorteil gepriesene Globalisierung entpuppte sich mutmaßlich als Nachteil, ja fast als eine Geißel moderner Marktwirtschaft.
Steigende Schadenkosten an allen Fronten
Gleichzeitig macht sich immer mehr der Klimawandel mit zuvor kaum geglaubten Auswirkungen bei Naturkatastrophen bemerkbar. Ahrtal soll hier nur beispielhaft als Stichwort stehen, wobei man beliebig auch die zunehmenden Hagelschläge, Stürme, Starkregenfälle mit großflächigen Überflutungen und Vieles mehr mit auflisten könnte. Die Schadenfülle zahlt mit ein auf das Konto der Schaden- und Unfallversicherungen, zu denen auch das Kraftfahrtgeschäft gehört.
Hoch defizitäre Kfz-Sparte – die Gründe
2023, so prognostiziert der Gesamtverband der Deutschen Versicherer (GDV) in Berlin, werden die Autoversicherer ein Defizit von rund drei Milliarden Euro einfahren. Als wesentliche Gründe für das Abrutschen der Kfz-Sparte in tiefrote Zahlen benennen GDV, Erst- und Rückversicherer übereinstimmend "extreme Preissteigerungen bei Ersatzteilen der Fahrzeughersteller" – im Schnitt seien es alleine von 2013 bis 2023 rund 70 Prozent, wobei in der Spitze bei einzelnen Teilen offensichtlich auch Teuerungsraten bis zu 97 Prozent eruiert wurden. Demgegenüber habe sich die durchschnittliche Prämie in der Kfz-Versicherung im gleichen Zeitraum um lediglich rund 7 Prozent erhöht.
Ebenfalls teurer zu stehen kommen den Kfz-Versicherern bei der Instandsetzung moderne Fahrzeuge mit neuesten Technologien bei Assistenzsystemen, Licht- und Scheinwerfertechnik etc.: Nicht nur, dass die ET-Preise teils ein Mehrfaches gegenüber Vorgängermodellen kosten. Auch der Aufwand für die Kalibrierung aller ADAS-/FAS-Systeme gilt als aufwändig und zeitintensiv. Notwendiges Werkstatt-Equipment sowie Schulungen für qualifiziertes Werkstattpersonal in all diese Technologien und in E-Mobilität, dazu im Vorjahr rapide gestiegene Energiekosten in den K&L Betrieben: All das ging ebenfalls ins Geld, so dass zwangsläufig die Stundenverrechnungssätze in den Reparaturwerkstätten ebenfalls mit angepasst werden mussten.
"Grüner Kreislauf" als Alternative
Einen möglichen Ausweg aus der sich immer mehr verschärfenden Preis- und Kostenspirale sehen die Handwerksverbände und K&L Werkstätten heute vor allem im Thema Nachhaltigkeit (künftig soll es dafür sogar ein entsprechendes Siegel geben; wir berichteten). Ein Kernthema dabei: Instandsetzen statt Erneuern, kurz "I statt E". Das heißt ganz konkret auch hier (wieder) Rohstoff- und Ressourcenschonung durch deutlich geringeren Neuteile-Einsatz. Andererseits bedeutet es eine Öffnung und Hinwendung zur sogenannten "zeitwertgerechten Reparatur" – unter exakt diesem Begriff gab es übrigens schon vor über 20 Jahren Konzepte von beispielsweise Mercedes-Benz oder auch Volkswagen. Die Händler sollten damit insbesondere Segment II/III Kunden über die reine Garantiezeit hinaus halten können.
Unter "zeitwertgerecter Reparatur" wird heute nicht zuletzt etwas verstanden, was die Autoversicherer schon vor einem Vierteljahrhundert gerne gehabt hätten, aber erst jetzt als realistisch erscheint: Die Unfallinstandsetzung mit Gebrauchtteilen.
Dank Digitalisierung sowie modernster und zertifizierter Recyclingverfahren der führenden Autoverwerter des Landes prüfen die Schadenverantwortlichen verschiedenster Kraftfahrt-Versicherer derzeit den von der Restwertbörse net.casion initiierten "Grünen Kreislauf", mit dem nicht zuletzt die Schadendurchschnittskosten durch qualitativ hochwertigen Gebrauchtteile-Einsatz gesenkt werden können. (Siehe hierzu auch unsere beiden vorangehenden Beiträge von heute, die den Kreislauf en detail erklären und die Vor-Ort-Gespräche bei der Autorecycling Kempers GmbH in Meppen, einem der modernsten Verwerter in ganz Europa, wiedergeben.)
Autoverwerter wird zur Pilgerstätte der Kfz-Assekuranz
Wie wichtig ein enges Zusammenspiel aller Beteiligten ist, damit das Konzept auch für alle einen echten wirtschaftlichen Benefit bietet, macht Michael Kauß, Geschäftsführer der Restwertbörse net.casion und der Teileplattform für Verwerter, green.casion, deutlich: "Die Gebrauchtteil-Reparatur funktioniert nur, wenn Verwerter und Kfz-Versicherungen eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten."
Wie die "Grüne Reparatur" bis hin zur Einstellung der aus Unfallfahrzeugen gewonnenen und qualitativ einwandfreien Teile in die GT-Plattform ClaimParts funktioniert, das erläuterten Kauß und sein Team in mittlerweile mehreren Terminen bei Kempers in Meppen. Im dortigen Autorecycling-Familienbetrieb stehen CEO Peter Kempers und COO Ayton Kempers unverrückbar hinter dem "Grüne-Kreislauf-Konzept" und waren in den letzten Monaten wiederholt Gast- und Auskunftgeber für interessierte Abordnungen aus der Kfz-Assekuranz.
"Nachhaltiges Schadenmanagement auch bei uns machbar"
Im Gespräch mit AUTOHAUS fassten Peter und Ayton Kempers ihr bisheriges Engagement und auch die sich bietenden Chancen wie folgt zusammen: "In der über 60-jährigen Geschichte unseres Unternehmens konnten wir eine Menge an Erfahrung in Autorecycling, Prozessoptimierung, Qualitätssicherung, Lagerlogistik und Teilehandel aufbauen. Diese Expertise kommt jetzt, da mit green.casion und ClaimParts geeignete Partner gefunden sind, um die nachhaltige Reparatur in Deutschland voranzutreiben, voll zur Entfaltung. Schon heute erfüllen unsere Entsorgungs- und Verwertungsexperten alle Branchenstandards und sind bestens darauf vorbereitet, moderne Fahrzeuge, inklusive vollelektrische und hybride E-Modelle umwelt- und fachgerecht zu zerlegen. Die so gewonnenen Ersatzteile höchster Qualität gewährleisten eine technisch einwandfreie, zeitwertgerechte Reparatur von Unfallschäden. Wir freuen uns darauf, nachhaltiges Schadenmanagement gemeinsam mit unseren Verwerterkollegen am hiesigen Markt zu etablieren – wie dies etwa in Schweden oder Frankreich bereits gang und gäbe ist.“
"Sehen großes Potenzial für die Zukunft"
Neue Chancen für die Unfallschadenabwicklung sieht indes auch Christian Kleefisch, Chefsachverständiger in der AXA Konzern AG und zuständig für operatives Schadenmanagement und den Schadenaußendienst: "Nachhaltigkeit ist für uns ein wesentlicher Baustein unserer Strategie. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, Nachhaltigkeit auch in unseren Produkten und Dienstleistungen stärker zu berücksichtigen. Das gilt gerade auch für den Bereich der Autoreparatur. Hier sehen wir für die Zukunft großes Potenzial. Gebrauchte Kfz-Ersatzteile höchster Qualität sind im aktuellen Marktumfeld deshalb eine interessante Alternative." (efvk/wkp)