Bei Verkehrsunfällen kommen pro Jahr weltweit mehr junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren bei ums Leben als beispielsweise durch HIV/Aids, Malaria oder Tuberkulose. Auf diese Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezieht sich der Stuttgarter Prüfkonzern und macht seinerseits darauf aufmerksam, dass vor allem junge Menschen – mehrheitlich junge Männer – als Insassen in Autos oder als Sozius auf Motorrädern zu Tode kommen.
Um effizient und langfristig gegenzusteuern, seien "große Anstrengungen aller Beteiligten notwendig", betonte jetzt Jann Fehlauer, Geschäftsführer der Dekra Automobil GmbH, bei der Vorstellung des Dekra Verkehrssicherheitsreports 2022 "Mobilität junger Menschen". Ansatzpunkte gebe es bei der Fahrzeugtechnik ebenso wie bei der Straßeninfrastruktur, in der Gesetzgebung und der Verkehrsüberwachung, in Verkehrserziehung, Fahrausbildung und Präventionskampagnen.
Die vier großen Risikofaktoren
Männlich, mit dem Pkw oder Motorrad unterwegs, zu schnell und möglicherweise alkoholisiert: Diese vier Faktoren dominieren das Straßenverkehrs-Unfallgeschehen junger Menschen in vielen Staaten dieser Welt. Zwar ist die Zahl der bei Unfällen getöteten oder schwer verletzten Verkehrsteilnehmer zwischen 15 und 24 Jahren in den letzten zehn Jahren teilweise deutlich gesunken. Bezogen auf eine Million Einwohner dieser Altersgruppe liegen die Werte aber zumeist immer noch deutlich über dem Schnitt der übrigen Altersgruppen.
15 % aller Verkehrstoten zwischen 15 und 24 Jahre alt
Nach Angaben des Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) der Universität Washington in Seattle sind 2019 – aus diesem Jahr stammen momentan die neuesten verfügbaren Zahlen – weltweit rund 175.000 Menschen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren im Straßenverkehr ums Leben gekommen. Das sind rund 15 Prozent aller Verkehrstoten. Die Zahlen zeigen einen Trend auf, der sich auch bei Betrachtung statistischer Erhebungen anderer Institutionen wie zum Beispiel der International Traffic Safety Data and Analysis Group (IRTAD) bestätigt: Junge Menschen sind im Straßenverkehr stark gefährdet – vor allem als Fahranfänger. "Für alle Beteiligten sollte dies der unmissverständliche Auftrag sein, mit allen infrage kommenden Maßnahmen gegenzusteuern“, sagte Jann Fehlauer bei der Vorstellung des Dekra Verkehrssicherheitsreports im Rahmen eines Parlamentarischen Abends in der Landesvertretung von Baden-Württemberg in Berlin. Der Report zeige auf, wo es anzusetzen gilt, um alle sich bietenden Optimierungspotenziale effizient zu nutzen.
"Risiken schon in der Fahrschule stärker fokussieren!"
Handlungsfelder gebe es zur Genüge – allen voran in den Bereichen Mensch und Technik. So zählen zu den ganz großen Risikofaktoren bei Fahranfängern insbesondere mangelnde Fahrerfahrung, Selbstüberschätzung, unzureichende Fahrzeugbeherrschung, eingeschränkte Gefahrenwahrnehmung, Ablenkung vom Verkehrsgeschehen durch zum Beispiel die Nutzung digitaler Medien sowie Fahren unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen: "All das sind Problembereiche, die nicht zuletzt auch im Rahmen der Fahrausbildung noch stärker in den Fokus rücken sollten, als dies bislang schon der Fall ist", so Fehlauer.
Vermittelt werden müssten neben dem Fahrzeughandling und der Regelkunde vor allem auch übergeordnete Kompetenzen wie sicherheitsrelevante Einstellungen, Selbstkontrolle, Selbstbeobachtung und die Akzeptanz von Verkehrsregeln.
Führerscheinneulinge überschätzen ihr Können
Ein Problem sieht der Dekra Geschäftsführer außerdem darin, dass manche Führerscheinneulinge das Bestehen der Fahrprüfung so interpretieren, bereits gute Fahrer zu sein und nichts mehr lernen zu müssen. Jedoch sei meist das Gegenteil der Fall. "Wie beim Erlernen einer neuen Sportart müssen sich Regelwissen, Trainingspraxis und situationsgerechte Beobachtungs- und Bewegungsabläufe miteinander verbinden – durch kontinuierliche Übung im realen Straßenverkehr, auch nach der Fahrprüfung", erläuterte Fehlauer.
Anfänger fahren oft mängelbehaftete Altautos
Um aufzuzeigen, wie wichtig auch ein guter technischer Zustand von Fahrzeugen ist, hat Dekra in seinem Technology Center am Lausitzring mehrere Fahrversuche durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass insbesondere ein stabiler Kontakt zwischen Reifen und Fahrbahn – unabhängig von Wetter und Fahrbahnzustand – unabdingbar ist. Denn nur dann sei gewährleistet, dass auch Assistenzsysteme wie ABS oder ESP wirksam arbeiten können.
Angesichts der Tatsache, dass viele junge Fahrerinnen und Fahrer vor allem aus finanziellen Gründen sehr häufig mit älteren Fahrzeugen unterwegs sind, bleibe die periodische Fahrzeugüberwachung somit ein ganz zentrales Element für die Verkehrssicherheit. "Die Folge von Alterung, Verschleiß, oftmals fehlendem Bewusstsein für technische Mängel sowie Sparen bei Reparatur und Wartung ist: Ältere Pkw weisen in der Regel wesentlich häufiger erhebliche Mängel auf und stellen damit ein größeres Unfallrisiko dar als jüngere Fahrzeuge", gab Fehlauer bei der Präsentation des Reports zu bedenken.
10 klare Forderungen
Dekra fasst insgesamt 10 Punkte zusammen, die sie für mehr Verkehrssicherheit mit Blick auf junge Menschen als dringend geboten sieht:
1. Besonders gefährliche Verhaltensweisen wie Alkohol und Drogen am Steuer, Ablenkung etwa durch das Smartphone oder übermäßige Geschwindigkeitsüberschreitungen müssen konsequent kontrolliert und geahndet werden.
2. Für Fahranfänger sollte überall ein absolutes Alkoholverbot am Steuer gelten. Die Erfahrungen in verschiedenen Ländern, unter anderem in Deutschland, belegen die Wirksamkeit.
3. Der Verbreitungs- und Nutzungsgrad etwa von telematikgestützten Feedback-Systemen sollte erhöht werden.
4. Junge männliche Fahranfänger stellen ein weit überdurchschnittliches Risiko für sich und andere dar. Diese Gruppe muss bei der Verkehrssicherheitsarbeit besonders in den Fokus gerückt werden – auch schon vor Beginn der Fahrausbildung.
5. Der mehrstufige Erwerb der Fahrerlaubnis hat sich vielerorts bewährt und sollte daher in weiteren Ländern eingeführt werden.
6. Nur eine von Fahrschulen unabhängige, transparente, standardisierte und qualitativ hochwertige theoretische und praktische Prüfung zum Erwerb der Fahrerlaubnis gewährleistet den nötigen Qualitätsstandard bei der Fahrausbildung.
7. Bereits während der Fahrausbildung sollte der Umgang mit Fahrerassistenzsystemen und automatisierten Fahrfunktionen vermittelt, aber auch die Grenzen dieser Systeme deutlich gemacht werden. Im Idealfall sollte der sichere Umgang mit diesen Systemen auch Teil der Fahrerlaubnisprüfung werden.
8. Die praktische Fahrausbildung sollte im Hinblick auf Straßencharakteristik (innerorts, schmale Landstraßen, Autobahn) und Lichtverhältnisse (Nachtfahrten) in allen Ländern möglichst umfassend gestaltet werden.
9. Angesichts der Tatsache, dass viele junge Menschen auf Landstraßen tödlich verunglücken, muss beim Neubau oder bei entsprechenden straßenbaulichen Veränderungen das oberste Ziel die selbsterklärende Straße mit fehlerverzeihender Seitenraumgestaltung sein.
10. Die Funktionsfähigkeit mechanischer und elektronischer Komponenten von Systemen der Fahrzeugsicherheit muss über das gesamte Fahrzeugleben hinweg gewährleistet sein. Die Inhalte der periodischen Überwachung von Kraftfahrzeugen sind entsprechend regelmäßig anzupassen.
Der Verkehrssicherheitsreport 2022 "Mobilität junger Menschen" steht online unter www.dekra-roadsafety.com zum Download zur Verfügung. Dort finden sich auch sämtliche Vorgänger-Reports inklusive weitergehender Inhalte, etwa in Form von Bewegtbildern oder interaktiven Grafiken. (wkp)