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Leserbrief SV-Experte Graf: Den innerstädtischen Verkehr der Zukunft neu denken!

05.04.2021 10:23 Uhr | Lesezeit: 4 min
Leserbrief SV-Experte Graf: Den innerstädtischen Verkehr der Zukunft neu denken!
Ralf Graf ist Geschäftsführer der SV- und Ingenieurbüros Liermann mit Stammsitz in Bochum. Sein Unternehmen befasst sich bei der Bewertung und Schadenbegutachtung mit unterschiedlichsten Verkehrsmitteln und ist als Partner-Unternehmen des TÜV NORD auch in der technischen Fahrzeugüberwachung tätig.

© Foto: Presse + PR Pfauntsch

Zum Thema Radwege werden seit längerer Zeit entsprechende Diskussionen offensichtlich nicht immer sachlich geführt. Dies hat jetzt Ralf Graf, Geschäftsführer der Sachverständigen und Ingenieurbüros Liermann mit Hauptsitz in Bochum, dazu bewegt, zum Verkehr in den Innenstädten einige grundsätzliche Anstöße zu geben.

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Insbesondere beschäftigt sich der in der Branche renommierte Experte mit der Verkehrswende per se und weist in seinem Leserbrief, den er vor allem im Ruhrgebiet an verschiedene Medien gegeben hat, auf drohende Fehlentscheidungen hin. Eindringlich warnt er beispielsweise davor, jetzt beim Thema Fahrrad von Seiten den gleichen Fehler zu begehen wie in den 1960er Jahren, als alleine das Automobil in den Städten priorisiert wurde. "Innerstädtisch sollte der Verkehr der Zukunft völlig neu gedacht werden!", lautet seine zentrale Forderung.

Nachfolgend geben wir den Wortlaut des Leserbrief-Statements von Ralf Graf wie folgt im O-Ton wieder:

"Mehr Akzeptanz schaffen"

"Die Innenstädte sollten für den individuellen Fahrzeugverkehr im Kernbereich gesperrt werden. Langfristig ist z. B. der jetzige Bus-, Bahn-, U-Bahnverkehr durch elektrisch selbstfahrende Kleinbusse, die per App angefordert werden können, zu ersetzen. Die Infrastruktur der gesperrten Straßen und die Trassen der Bahnen würden dies gefahrlos zulassen. Die Transportmöglichkeiten sind individueller, was die Akzeptanz auch bei Autofahrern und älteren Menschen erhöhen würde. Die mögliche Höchstgeschwindigkeit wird angepasst und die Reisenden sitzen entgegen der Fahrtrichtung, im Sinne der Verkehrssicherheit.

Die Kosten der zu renovierenden U-Bahnstreckennetze könnten eingespart werden. Autos könnten in flächenoptimierten Parkhäusern außerhalb der Stadt geparkt werden. In den Innenstädten an den Hauptpunkten werden überdachte Rollstege installiert und betrieben. Es gibt keinen störenden Individualverkehr und weniger Unfälle. Fahrradfahrer, Scouter, und sonstige Fahrzeuge bleiben außen vor.

Sind 200.000 ADFC-Mitglieder die Bevölkerungs-Mehrheit?

Obwohl ich persönlich mehr als 2.000 km im Jahr mit dem Fahrrad unterwegs bin, frage ich mich, wie viele Leute denn tatsächlich ganzjährig zum Einkaufen, Arbeiten oder aus Vergnügen mit dem Fahrrad in die Innenstadt gelangen möchten? Selbst auf gut ausgebauten Radverbindungen habe ich teilweise morgens zur Hauptberufszeit selbst bei perfektem Wetter nur wenige Radfahrer von Dezember bis März sehen können.

Betrachtet man die Verkehrswende, so machen unsere Politiker gerade mit dem Fahrrad den gleichen Fehler wie in den 60iger Jahren mit der Priorisierung des Autoverkehrs in den Städten.

Radwege wo nötig, wir sollten das allerdings objektiv analysieren und auswerten. Derzeit wird bundesweit so gehandelt, als ob der ADFC die Mehrheit der Bevölkerung darstellt. Dieser Verein hat gerade 200.000 Mitglieder, allein der ADAC hat beispielsweise mehr als 21.000.000 Mitglieder. Da verbleibt die berechtigte Frage, welchen Stellenwert in der Demokratie eine Minderheit von 0,95% eingeräumt bekommt. Welchen Stellenwert hat eigentlich der Fußgänger?

Radeln ja, aber rücksichtsvoll!

Darüber gilt es ebenso nachzudenken, wie über die Alterspyramide der Bevölkerung und der daraus resultierenden täglichen Nutzung des Fahrrades.

Obwohl wir eine Verkehrswende wollen, rate ich jedem, bei schönem Wetter einen asphaltierten Radweg mit dem Fahrrad zu nutzen. Auf 3-4 km Strecke kommt es regelmäßig zu Beinahe-Unfällen. Keine mir bekannte Gruppe von Verkehrsteilnehmern ist rücksichtsloser untereinander, unsicherer in der Handhabung und betrachtet die STVO mehr oder weniger nur als Empfehlung.

Meine Bitte: Kein sinnloser Ausbau von Radwegen, sondern Radwege planen und die Bevölkerung in Rahmen von Volksentscheiden mit einbinden.

Kennzeichen, Einmalsteuer und Sanktionen

Jedes Fahrrad ab Größe 20 sollte ein Kennzeichen zur Identifizierung erhalten.
Bei jedem neu verkauften Fahrrad z.B. ab 1.000 Euro Listenpreis sollte einmalig eine zweckgebundene Steuer fällig werden, um die Radinfrastruktur zu stärken.
Vergehen von Radfahrern sind genauso zu bestrafen wie solche von Autofahrern.
Werden Fußgänger, Behinderte oder Kinder gefährdet, sollte eine angemessene Strafe bis zum möglichen Einzug des Fahrrades möglich sein. Radwege sollten regelmäßig überprüft werden: Ist Asphalt notwendig, oder wird unnötig die Geschwindigkeit angehoben und steigt die Glättegefahr im Winter?

Bedarfsbezogene Planungen mit allen Fachleuten

Selbstverständlich ADFC, ADAC und Verkehrsfachleute einbinden, aber nicht einseitig auf das Fahrrad als das selig machende Verkehrsmittel setzen. Ich halte Fahrradwege für wichtig, aber an richtiger Stelle und orientiert am tatsächlichen Bedarf bezogen auf das gesamte Jahr. Der ist im Bereich Schulen und Universitäten größer als in Innenstädten oder Außenbezirken mit überwiegend älterer Bevölkerung.

Die derzeitige pauschale Betrachtung wird dem Nutzungsverhalten der Radfahrer nicht gerecht. Das Fahrrad ist aus meiner Sicht ein interessantes Verkehrsmittel, aber es ist nicht für jeden Zweck, für jeden Mitbürger, bei jedem Wetter das richtige Verkehrsmittel.

Wir beschäftigen uns mit Verkehrsunfällen, Fahrradunfällen und insbesondere mit Schäden an hochwertigen Fahrrädern; einige der Kollegen sind Radsportler und fahren viele tausend Kilometer im Jahr. Die daraus gewonnene Erfahrung hat mich veranlasst, meine ganz persönliche Meinung bezüglich der Verkehrswende zum Besten zu geben.

Verteufelung ist Mobilitätsverlust und Diskriminierung

Wenn wir das Auto und andere motorisierten Verkehrsmittel verteufeln, verlieren wir mittelfristig einen Teil unserer gewohnten Mobilität und diskriminieren Familien mit mehreren Kindern, ältere Menschen, Behinderte und viele Berufsgruppen.

Zuerst müssen wir wieder lernen, respektvoll mit der Meinung anderer umzugehen, diese zu analysieren, zu akzeptieren und uns demokratisch der Mehrheit der Gesamtbevölkerung einer Region zu fügen.

Politik muss wieder die Mehrheit der Bürger mitnehmen, Minderheiten dürfen nicht diskriminiert werden, aber vor allem darf nicht das Gefühl aufkommen, dass diese bevorzugt werden. Alle Verwaltungsprozesse müssen vereinfacht werden, damit Großprojekte und Pandemien nicht zum Desaster führen.

Ihr Ralf Graf

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KOMMENTARE


Dietmar Schneider

06.04.2021 - 00:00 Uhr

Herzlichen Glückwunsch Herr Graf zu dieser hervorragenden Ausarbeitung! Ihre Thesen bestärken meine Meinung. Wir erleben hier in Tübingen gerade wie ein deutschlandweit bekannter Oberbürgermeister unbedingt eine Stadtbahn mitten durch das Zentrum der Stadt installieren will. Wohlgemerkt die Technik von Straßenbahnen aus den sechziger Jahren. Höhepunkt der Planung ist eine neue Brücke über den Neckar und das Durchfahren eines Nadelöhrs im Zentrum von Tübingen. Dort sollen anschließend Radfahrer, Fußgänger, Omnibusse und zwei Gleise für die Stadtbahn Platz finden. Der vorgesehene Platz für die Fahrradfahrer ist höchstens 1,3 m breit. Da sind Unfälle direkt vorhersehbar. Ihre alternativen und zukunftsorientierten Konzepte wären da schon eher die richtige Lösung.


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