Eingeladen hatten die Restwertbörse net.casion und die Teilebörse ClaimParts, um im Rahmen einer Fachtagung Meinungen und Sichtweisen der unterschiedlichen Gruppen, welche sich die Instandsetzung mit gebrauchten Teilen, die zuvor aus umweltgerecht zerlegten Unfallfahrzeugen gewonnen werden, auf die Fahnen geschrieben haben.
Wesentliche Benefits
Neben einer mindestens 50-prozentigen Kosteneinsparung gegenüber einem Neuteil stehen Ressourcenschonung und CO2-Einsparung in einer Größenordnung von teils mehr als 80 Prozent im Fokus. Sofort verfügbare Teile sollen ferner die Reparatur beschleunigen, dadurch die Nebenkosten senken und für wirtschaftliche Restwerte bei Versicherungen sorgen.
ClaimParts-Geschäftsführer Oliver Hallstein setzte gleich zu Beginn der Veranstaltung ein klares Credo: "Wir glauben an die zeitwertgerechte Reparatur und an Nachhaltigkeit in einem Kreislauf-Wirtschaftsprozess mit gebrauchten Teilen." Nachhaltigkeit sei heute längst kein Trend mehr, sondern ein allgegenwärtiger Zeitgeist in der gesamten Gesellschaft. Man dürfe Ressourcen nicht weiter nur wegnehmen – auch nicht in der Schadenwelt, führte er weiter aus.
Probleme frühzeitig angehen
Im Bewußtsein vieler Menschen angekommen sei inzwischen auch, wie sehr sich die gesamte Automobilwirtschaft in einem Wandel befinde. Stichworte hierzu: Steigende Produktionskosten, Herausforderungen durch E-Mobilität und eine neue, immense Anbietervielfalt aus dem asistischen Raum, ferner Stagnation im Fahrzeugabsatz sowie explodierende Reparaturkosten und Stundenverrechnungssätze.
Bereits Corona schaffte erste Lieferengpässe, führte zu einer Erhöhung von Schadennebenkosten und langen Lieferzeiten für Ersatzteile, so Hallstein. Hinzu kämen schon in naher Zukunft regulatorische Veränderungen durch die spätestens 2027 neue Altfahrzeug-Verordnung. Sie bringe Chancen, aber auch weitere Herausforderungen mit sich, die ClaimParts und net.casion mit ihrem ganzheitlichen Zirkulationsprozess des "Grünen Kreislaufs" frühzeitig in Griff bekommen wollen.
"Altauto-Verordnung erzwingt ein neues Denken"
net.casion-Geschäftsführer Michael Kauß prognostizierte auf Basis erster belastbarer Erhebungen, dass es insbesondere vor dem Hintergrund der künftig neuen Altauto-Verordnung zu deutlich geringeren Restwert-Angeboten im klassischen Geschäft der Restwertbörsen kommen werde, zu denen auch net.casion selbst zählt.
Durch die weitere Veranstaltung führte Maik Gillen, der anfangs des Jahres nach jahrzehntelanger Tätigkeit im Schadenbereich der Zurich Gruppe Deutschland "im absoluten Glauben an den grünen Kreislauf" zu net.casion wechselte. Auch er zeigte sich überzeugt davon, dass die Reise im Schadenmanagement künftig eine andere sein und sich der Unfallinstandsetzung mit gebrauchten Teilen nicht mehr werde entziehen können.
"Grüner Kreislauf und Ökologie für Allianz maximal relevant"
Für die Allianz, die am 13. Mai 2024 über die Werkstätten der Innovation Group aktiv mit ClaimParts in die Gebrauchtteil-Reparatur eingestiegen ist, hielt anschließend deren Leiter Nachhaltigkeit, Dominik Hertel, fest: "Der grüne Kreislauf und Ökologie sind für uns maximal relevant. Die Allianz ist global bereits Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit, und wir wollen auch in Deutschland der nachhaltigste Versicherer werden. Wir haben bewusst die Treiberrolle übernommen, weil wir auch andere Versicherer mit im Boot haben müssen, um die Erde noch lebenswert für unsere Kinder, Enkelkinder und spätere Generationen zu erhalten."
Nachhaltigkeit sei deshalb bei der Allianz ein Thema, das in Sachen Gebrauchtteilreparatur im Mai dieses Jahres von Frank Sommerfeld, dem Vorstandsvorsitzenden der Allianz Versicherungs-AG, auch in Kraftschaden gestartet wurde, gleichzeitig aber auch bei Konzernchef Oliver Bäthe ganz oben auf der Agenda stehe.
Hertel vergaß nicht, darauf hinzuweisen, dass das Instandsetzen vor dem Tauschen von Teilen, kurz "I vor E", ebenfalls einen klaren Vorzug in den Unfallregulierungsprozessen und Reparaturempfehlungen hat, wie dies auf den jüngsten Allianz-Autotagen neben Sommerfeld auch Schadenvorständin Lucie Bakker unmissverständlich erklärt hatte.
"15 Prozent aller Totalschäden steuerbar"
Alle Totalschäden könne man zwar nicht einsteuern, aber bis zu 15 Prozent der Fahrzeuge seien für den Teile-Wiederverwendungsprozess geeignet, so Hertel. Und aus Befragungen und einem Pilot wisse man, dass 89 Prozent der Kunden nachhaltig denken und jeder zweite Fahrzeughalter ein gebrauchtes Teil ohne Incentivierung tatsächlich auch annehme.
Natürlich sei es möglich, dass man anfangs einige Mindererlöse bei den Restwerten einfahre, "aber davon wollen wir uns doch nicht ins Boxhorn jagen lassen", fuhr Hertel kämpferisch fort. Denn: "Auch die OEM‘s sind doch längst mit auf das Thema des Gebrauchtteil-Zirkulationsprozesses aufgesprungen bzw. beschäftigen sich bereits intensiv damit. Von daher müssen wir als Versicherer den Werkstätten einen wirklichen Top-Prozess bauen."
"Lasst uns das gemeinsam machen!"
Wie Allianz-Vorstandschef Sommerfeld, so rief auf der Frankfurter Fachtagung auch Hertel den anwesenden KollegenInnen aus anderen Versicherungshäusern zu: "Laßt uns das gemeinsam machen! Was in anderen Ländern seit vielen Jahren gut funktioniert, kann und muss bei uns nicht unmöglich sein." Nicht vergessen dürfe man außerdem, "dass wir mit unseren Initiativen letztlich auch Druck auf die Automobilhersteller ausüben, die Ersatzteilpreise nicht weiter ins Uferlose steigen zu lassen."
LVM sieht hohe Akzeptanz bei Kunden
"Vor allem junge Kunden sind für nachhaltige Produkte sehr empfänglich und bereit, sogar eine höhere Prämie zu bezahlen“, lauteten danach die Erfahrungen von Michael Messmann, dem Bereichsleiter Werkstattsteuerung und Kraftfahrt-Schadenmanagement der LVM Versicherung sowie seiner Kollegin Julia Pleus. Tenor auch hier: "Wir möchten langfristig Verantwortung für Umwelt und Menschen übernehmen und nachhaltige Produkte weiter ausbauen. Der grüne Kreislauf passt optimal in unsere Strategie, denn Nachhaltigkeit liegt in der DNA der LVM."
Wie sein Vorredner von der Allianz, so war Messmann ebenfalls davon überzeugt, dass die von der Versicherungswirtschaft getriebene Reparatur mit Gebrauchtteilen "auch der Automobilindustrie den Schweiß auf die Stirn treiben wird". Den Juristen innerhalb der LVM hätten die Überlegungen für eine Gebrauchtteilreparatur – gerade mit Blick auf die künftige Altfahrzeug-Verordnung – "sogar ein durchaus vernehmbares Frohlocken entzückt", ließ Messmann ferner wissen.
MB-GTC und Ebay als "Blaupause" des Möglichen
Ohne "sicherlich noch auftretende Stolpersteine" auf dem weiteren Weg zu übersehen, lautete der übereinstimmende Tenor von Michael Messmann und seiner Kollegin Julia Pleus: "Viele Gesellschaften müssen mitmachen." Denke man beispielsweise an das Mercedes-Benz Gebrauchtteile-Center (MB-GTC), das es nunmehr seit näherungsweise 30 Jahren (ursprünglich noch unter der Bezeichnung MB-Altteile-Cernter, kurz MB-ATC) gibt, denke man ferner an die vielen Teilegeschäfte via Ebay, dann müsse es "der Versicherungswirtschaft doch möglich sein, sich die Prozesse im Sinne und Interesse der Versicherungsgemeinschaft sowie zur Ressourcenschonung und CO2-Einsparung gleichermaßen nutzbar zu machen".
Weitere Referenten
Wie die Prozesse im Einzelnen aufgestellt sind, erläuterten von Seiten net.casion und ClaimParts Michael Kauß, Oliver Hallstein, Joachim Bruck (Kumasoft GmbH), Maik Gillen und Thorsten Derbort. Für die Verwerter sprachen Peter Kempers, Stefan Pohlensänger und Tim Kiesow. Stellvertretend für die Schadensteuerer und Werkstätten brachten Kai Gräper (DMS) und Peter Börner (Eurogarant) ihre Sichtweisen ein. Peter Vogel und Andreas Lau (Vorstände des BVdP e.V.) stehen dem GT-Prozess ebenfalls positiv gegenüber, mahnten aber davor, dass Überzeugungsarbeit der Kunden für eine Unfallinstandsetzung mit gebrauchten Teilen nicht bei den Reparaturbetrieben hängenbleiben dürfe.