Bei eigenen Abgas-Messungen von Forschern der EU-Kommission haben sich nach Angaben eines Brüsseler Experten bereits vor zehn Jahren auffällige Werte von Dieselautos ergeben. Man habe dies etwa bei Modellen von Volkswagen (Golf, T5 Multivan), Fiat (Scudo, Bravo), Renault (Clio) und BMW (120d) bemerkt, sagte der Leiter des Referats für nachhaltigen Verkehr, Alois Krasenbrink, am Donnerstag im Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Abgas-Affäre.
Bei den damals von Lkw auf Pkw übertragenen Messungen hätten sich für "praktisch alle Fahrzeuge" Abweichungen zwischen Prüfstandsdaten und realem Straßenbetrieb gezeigt. Die Werte seien zwischen 2007 und 2010 entstanden und im Jahr 2011 in einen Bericht zum Thema eingeflossen.
Krasenbrink betonte, es habe aber noch keine konkreten Hinweise auf «betrügerische Absichten» gegeben. Die Existenz von Abschaltsoftware, mit der die Schadstoff-Reinigung künstlich vermindert wird, sei ihm seinerzeit nicht bekannt gewesen. Eher seien Zweifel an den eigenen Messverfahren entstanden. Sein Team habe auch nicht die nötigen Kompetenzen gehabt, um die Auffälligkeiten aktiv weiterzuverfolgen.
Der Berliner U-Ausschuss soll klären, was die Bundesregierung seit 2007 mit Blick auf Abgasregeln unternommen hat und wann sie von Manipulationen erfuhr. VW hatte eine verbotene Software eingesetzt, was 2015 in den USA aufflog und zum Diesel-Skandal führte.
Weil: erst im September 2015 erfahren
Der niedersächsische Ministerpräsident und VW-Aufseher Stephan Weil bekräftigte bekräftigt am Donnerstag, erst am 19. September 2015 vom Skandal um Abgasmanipulationen bei VW erfahren zu haben - aus dem Fernsehen. "Es war abends beim Betrachten der 'Tagesschau'", sagte der SPD-Politiker im Untersuchungsausschuss des Bundestags. Er widersprach damit erneut deutlich angeblichen Anschuldigungen des früheren VW-Aufsichtsratschefs Ferdinand Piëch, Weil und weitere Mitglieder des Kontrollgremiums seien früher informiert gewesen.
Mit Blick auf das Bekanntwerden der Manipulationen sagte Weil: "Ich war tief betroffen. Ich hätte dergleichen bei Volkswagen nicht für möglich gehalten." Am 18. September 2015 hatten US-Umweltbehörden Verletzungen von Diesel-Abgaswerten bei VW-Fahrzeugen gemeldet. Nach Angaben des früheren Konzernchefs Martin Winterkorn im Ausschuss vor einem Monat gab es einen Tag darauf eine telefonische Manager-Runde.
Weil betonte, mit Landes-Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) - auch er ist Mitglied des Aufsichtsrates - habe er "an einer nachhaltigen Aufklärung von 'Dieselgate' mitgearbeitet". Dieser Prozess sei noch nicht abgeschlossen. "Es geht jetzt auch um die Prüfung von Haftungsansprüchen gegenüber Mitgliedern der Unternehmensorgane."
Alle Mitglieder des Aufsichtsratspräsidiums bei VW, die Piëch in Aussagen gegenüber Staatsanwälten und der US-Kanzlei Jones Day attackiert haben soll, hätten die Anschuldigungen inzwischen "mit sehr klaren Worten sehr vehement zurückgewiesen", betonte Weil. "Ich habe von 'Dieselgate' im September 2015 erfahren - und nicht vorher."
Dobrindt weist Vorwürfe zurück
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt wies Vorwürfe mangelnder Aufklärung des Abgasskandals zurück. "Keine andere europäische Regierung hat so eine Vielzahl von Messungen veranlasst", sagte der CSU-Politiker im Untersuchungsausschuss. Die Bundesregierung und er selbst hätten erstmals am Wochenende des 19. September 2015 aus den Medien von Manipulations-Vorwürfen gegen VW in den USA erfahren. Zwei Tage später habe er eine Untersuchungskommision eingesetzt. Dobrindt bekräftigte seine Forderung, die europäischen Vorschriften zu Abschalteinrichtungen der Abgasreinigung strenger zu fassen.
Der Ausschuss soll vor allem die Rolle der Bundesregierung und der ihr unterstellten Behörden bei der Prüfung auffälliger Abgaswerte untersuchen. Dobrindt wird von der Opposition mangelnde Aufklärung vorgehalten. Kritiker beklagen zudem, dass der Skandal nicht vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) aufgedeckt wurde, das Dobrindt untersteht. (dpa)