Besitzer älterer Dieselwagen müssen nach einer Entscheidung des Stuttgarter Verwaltungsgerichts weiter mit Fahrverboten rechnen. Das Land Baden-Württemberg dürfte kaum um die unpopuläre Maßnahme bereits ab Anfang 2018 herumkommen.
Die geplanten Software-Updates, die beim nationalen Diesel-Gipfel am 2. August festgeklopft werden sollen, seien kein adäquates Mittel zur Verbesserung der Luft, argumentierte Verwaltungsrichter Wolfgang Kern am Freitag. Er machte klar: Der Gesundheitsschutz in der Stadt sei höher zu bewerten als die Interessen der Diesel-Fahrer. Das Land muss seinen Plan zur Luftreinhaltung in Stuttgart deutlich nachbessern.
Ob und wann es tatsächlich zu Fahrverboten für viele Dieselmodelle kommt und wie diese aussehen könnten, ist aber weiter offen. Das Land will das Urteil zunächst prüfen und dann sehen, welche Schritte einzuleiten sind, sagte ein Sprecher. Es ist damit zu rechnen, dass der Streit beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig weitergeht. Dort liegt schon ein ähnlicher Fall aus Düsseldorf zur Entscheidung. Das Stuttgarter Urteil könnte auch die Debatte um Fahrverbote in anderen Großstädten wie München oder Berlin beeinflussen.
Umsetzung unklar
Laut Richter Kern wäre ein ganzjähriges Verkehrsverbot die effektivste und derzeit einzige Maßnahme zur Einhaltung der oftmals erheblich überschrittenen Emissionsgrenzwerte für Stickstoffdioxid. Diese werden in Stuttgart teils um das Doppelte überschritten. Komme das Land der gesetzlichen Vorgabe - einer "schnellstmöglichen Einhaltung" der Grenzwerte - nach, müsste das Verbot zum 1. Januar 2018 in Kraft gesetzt werden. Unklar ist die Art der Umsetzung. Zur Not müsse das Land Zusatzschilder zur Umweltzone selbst gestalten.
Baden-Württemberg scheiterte damit auch mit dem Versuch, durch Nachrüstungen vieler älterer Motoren Verbote zu verhindern. Das Land dürfe sich bei der Luftreinhaltung nicht darauf verlassen, dass die Autoindustrie irgendwie handelt, erklärte Kern.
Außerdem hatte er bei der Verhandlung von Experten des Landes erfahren, dass die bisher von der Industrie angedeuteten Nachrüstungen am Neckartor - Deutschlands schmutzigster Kreuzung - im allerbesten Fall eine Verringerung der Schadstoffe um neun Prozent bringen würden. Und dies sei "von maximalem Optimismus getragen", so Kern - sowohl, was die Bereitschaft der Autobesitzer zur Nachrüstung angehe, als auch, was die technischen Möglichkeiten betreffe.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) als Klägerin in dem Verfahren ist ihrem Ziel ganzjähriger und genereller Fahrverbote für Diesel nun einen Schritt näher gekommen. Das Urteil sei gut für alle Großstädte. "Es wird künftig nicht mehr möglich sein, die Luft in unseren Städten mit giftigem Dieselabgas zu verschmutzen", sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. Das Signal an die Autobranche laute: "Es muss Schluss sein mit dem Verkauf schmutziger Diesel." Mit Blick auf den Diesel-Gipfel betonte er, dass Software-Updates nicht ausreichten. "Sie müssen es so machen, dass es funktioniert."
Autobranche am Zug
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks sieht die Autobranche am Zug. Es sei höchste Zeit, "dass die Autoindustrie in eigener Verantwortung dafür sorgt, dass es nicht zu Fahrverboten kommt", sagte die SPD-Politikerin am Freitag in Hamburg. Die Industrie stehe an einem "Scheidepunkt" und habe das jetzt auch verstanden. Kommende Woche auf dem Diesel-Gipfel in Berlin würden mit einem Software-Update erste Schritte eingeleitet. Die Hersteller müssten "sehr rasch" angeben, wie sie selbst nachbessern wollten.
Einig waren sich in Stuttgart alle Beteiligten, dass die wirksamste Maßnahme für weniger Schadstoffe nicht nur hier die Einführung einer Blauen Plakette als Einfahrtsberechtigung in die Umweltzone wäre. Diese Plakette würden Dieselfahrzeuge nur erhalten, wenn sie die Abgasnorm Euro-6 erfüllen. Warum die schwarz-rote Bundesregierung diesen Wunsch auch anderer Großstädte nicht erfülle, sei nicht nur dem Land und der DUH, sondern auch dem Gericht schleierhaft, sagte Kern in der Verhandlung. Das Verhalten Berlins sei da "indiskutabel".
Dobrindt setzt weiter auf Diesel-Nachbesserungen
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt setzt ungeachtet des Urteils auf Abgas-Nachbesserungen bei Diesel-Autos. Wenn man die Möglichkeit habe, schnell an der Quelle den Ausstoß von Stickoxiden (NOx) zu reduzieren, spreche kein Argument dafür, es nicht zu tun, sagte der CSU-Politiker am Freitag in Berlin. Bisherige Erfahrungen mit verschiedenen Herstellern hätten gezeigt, dass mit solchen Software-Updates erhebliche NOx-Einsparungen zu erreichen seien. Dobrindt machte mit Blick auf die Kosten dafür klar: "Die Umrüstungen, die möglicherweise vereinbart werden, werden natürlich von der Autoindustrie zu finanzieren sein." Er bekräftigte sein Nein zu generellen Fahrverboten, die etwa über eine blaue Plakette umgesetzt werden könnten. "Ein Aufkleber auf einem Auto verändert nicht das Abgasverhalten eines Autos."
Die SPD verlangt vor dem Diesel-Gipfel weitergehende Zusagen der Autohersteller. Von der Industrie werde mehr erwartet als einfache Software-Updates, sagte Bundestagsfraktions-Vize Sören Bartol am Freitag: "Es darf keine Placebo-Lösungen geben, die keine realen Verbesserungen bringen. Es wird auch zu technischen Umrüstungen kommen müssen." Weil die Rolle des Diesels als Brückentechnologie zu alternativen Antrieben endlich sei, müssten die Autobauer auch bei der E-Mobilität auf die Überholspur kommen, meinte Bartol. "Wir brauchen neue Modelle, die den Bedürfnissen der Kunden entsprechen und bezahlbar sind." Beim Gipfel am 2. August sollen unter anderem Abgas-Nachbesserungen bei mehreren Millionen Autos vereinbart werden.
Die Grünen laden am Montag die Autobranche mit Verbraucher- und Umweltschützern an einen Runden Tisch. Die Fragen, vor denen die Autoindustrie stehe, seien gesellschaftlich und politisch, heißt es in der Einladung der beiden Fraktionschefs Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt, die der Deutschen Presse-Agentur am Freitag vorlag. "Der Dialog muss aber im Rahmen der gesellschaftlichen Erwartungen an die Mobilität der Zukunft und unter Einbeziehung der Gesundheit der Betroffenen organisiert werden", argumentiert die Fraktionsspitze der Grünen im Bundestag. Der Runde Tisch soll am Montag ab 11.00 Uhr im Bundestag stattfinden. Zu den Eingeladenen gehören nach dpa-Informationen Daimler-Chef Dieter Zetsche, der Chef der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, sowie der Chef der Verbraucherzentrale im Bund, Klaus Müller. (dpa)
wallibelli (E.Kühlwetter)
RL
Andy
Dietmar Seyerle
Schönauen Franz - Josef
Diesel
hwb
UE