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Nio ET5 Touring: Premiumkombi, rein elektrisch – mit entsprechendem Preisschild

17.10.2023 06:00 Uhr | Lesezeit: 4 min
Ein bisschen Shooting Brake ist schon drin - hier steht der neue Nio ET5 Touring.
© Foto: Michael Blumenstein

Nio will Europa erobern. Top-Down fingen die Chinesen mit dem vorerst teuersten Modell, dem ET7 an. Kürzlich folgte der ET5 - und Autoflotte fuhr jetzt den neuen ET5 Touring, den ersten Premium-Kombi im Elektrozeitalter.

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Verwöhnte Kombifreunde können sich freuen. Zumindest die, die gern elektrisch fahren wollen und auf die eigentlichen Kombitugenden wie viel Platz im Kofferraum pfeifen. Denn Nio hat jetzt den ersten Elektrokombi im Angebot, der "gehobene" Ansprüche in puncto Qualität und Leistung erfüllen könnte.

Fangen wir aber vorn an: Das Design des Nio ET5 Touring dürfte so fast jedem gefallen, der sich nicht der SUV-Kultur verschrieben hat. Eine klassische, flache Front wird beim Nio ET5 Touring mit einem Greenhouse kombiniert, das an die Silhouette eines Kombis erinnert, aber doch ein wenig in Richtung Shooting Brake tendiert. Shooting Brake? Das waren die „Kombis“, die beispielsweise in den 1970er und 1980er Jahren noch zwei Türen und einen langen Kofferraum hatten, wie der Jensen GT und der Aston Martin Virage, beide legendär.

Aber auch neuere Modelle wie der Ferrari FF huldigten dieser endschönen Form. Mittlerweile gibt es auch bei Mercedes schnittige Shooting Brakes wie den CLS, VW hat den Arteon im Programm und bei Genesis gibt es den G70 – aber keiner davon ist elektrisiert und hat geschweige denn nur zwei Türen. Jedoch eint eigentlich alle genannten: Schönheit vor Nutzen.


Nio ET5 Touring

Nio ET5 Touring schräg von vorn auf Schotterplatz Bildergalerie

Dass schönes Design auch Nachteile mit sich bringt, beweist (auch) der Nio ET5 Touring eindrucksvoll. Das Fahrzeug sieht klasse aus – bis auf die Beulen über der Windschutzscheibe, in denen sich die Sensoren (Radar/Lidar) für die Frontüberwachung befinden und dort angeblich ideal platziert sind. Schlanke Tagfahrleuchten und die im unbeleuchteten Zustand nahezu unsichtbaren Scheinwerfer ergeben ein Gesicht in der Menge, wenngleich kaum jemand die Marke identifizieren kann. Wie gut, dass Nio sich in den Nummernschildern verewigt hat und dort den Markennamen präsentiert. Viele der wenigen Nio sind in Nürnberg zugelassen, auch die, die über Abo- und Leasinganbieter an den Mann gebracht werden.

Von der Seite fällt die Schnörkellosigkeit besonders auf, hervor stechen dort die orange lackierten Bremssättel, macht allerdings 500 Euro extra. Schaut man auf die Fahrerseite weiter nach hinten, fällt der Ladeanschluss auf. Nicht ideal platziert, man gewöhnt sich aber daran – und beim DC-Laden an städtischen Schnellladern, die längs zur Fahrbahn montiert sind, parkt man schonmal gegen die Fahrtrichtung. Am Heck erstrahlen Lichtbänder, wie bei fast allen neuen Fahrzeugen und ein großer Spoiler verhindert das Sauberwerden in der Waschstraße.

Wer sich für einen Nio interessiert, geht entweder auf nio.com oder in eines der derzeit drei Nio Houses in Deutschland (Düsseldorf, Berlin, Frankfurt) oder in den Nio Hub im Osten von München, bei letzterer ist auch eine Werkstatt mit an Bord. Die braucht es hoffentlich nicht, frühestens zum Wechsel der Bremsflüssigkeit oder des Getriebeöls (nach 200.000 Kilometern), Kühlflüssigkeit muss nach fünf Jahren oder 100.000 Kilometern gecheckt und nach Befund getauscht werden. Nio gibt lediglich 90.000 Kilometer oder drei Jahre Garantie, das macht ein direkter Konkurrent, Genesis (die Koreaner haben den GV 60 im Angebot), deutlich besser: fünf Jahre ohne Kilometerbeschränkung.


Preis ab: 68.500 Euro (brutto, inkl. Batteriekauf)
Doppel-E-Motor | 360 kW/490 PS | 700 Nm
200 km/h | 4 s (nur im Sport+-Modus)
WLTP 19,3–21,6 kWh/100 km
WLTP-Reichweite 435–560 km
400-Volt-Bordnetz | AC: 11 kW | DC: 180
Akkukapazität: 75–100 kWh 
Maße: 4.790 x 1.960 x 1.499 mm
Kofferraumvolumen: 450–1.247 Liter
Wartung: 30.000 km/2 Jahre
Garantie: 3 Jahre/90.000 km | Akku: 8 Jahre/160.000 km

Empfehlenswerte Extra

Beheizte Scheibenwischerauflagen: 150 Euro
Anhängekupplung (bis 1.400 kg): 1.200 Euro



Eine echte Besonderheit von Nio sind die Power-Swap-Stations. Dabei handelt es sich um Batteriewechselstationen (hier geht es zum Video des Wechselvorgangs) in denen der leergefahrene Akku innerhalb von rund fünf Minuten vollautomatisch gegen einen vollen ausgetauscht wird. Sieben Stationen gibt es derzeit in Deutschland – in China mehr als 1.200, die laut Nio stark frequentiert seien. Nun wird es jedoch etwas kompliziert. Wer die Stationen als Nio-Kunde in Anspruch nehmen will, muss den Wagen oder zumindest den Akku geleast haben. Das kostet (Batteriemiete) im günstigsten Fall 169 Euro (brutto) pro Monat für den Basis-Akku mit 75 kWh.

Wer den 100-kWh-Akku gemietet hat (wie im Testwagen), zahlt monatlich 289 Euro für die Miete – plus Leasingrate für den ET5 Touring, die auf nio.com mindestens 1.119 Euro brutto kostet und lediglich 1.250 Kilometer pro Monat beinhaltet. Werk kauft, zahlt für den Nio ET5 Touring ab 47.500 Euro brutto plus jeden Monat die erwähnten Mietpreise. Wer den Akku dazu kauft, zahlt einmalig 12.000 Euro für 75 kWh (Akkugewicht 535 Kilogramm) und 21.000 Euro für 100 kWh (dieser Akku wiegt lediglich 20(!) Kilogramm mehr). Die Batteriepreise sind übrigens bei allen Nio-Modellen identisch, da sie auch untereinander stets ausgetauscht werden können. 

Kein Schnäppchen also, weshalb sich die Verkaufszahlen der bereits erhältlichen Nio Modelle ET 7, EL6 und nun ET5 in sehr überschaubaren Grenzen halten und progressiv gestimmte Kunden vielleicht doch lieber einen Tesla wählen, der bekanntermaßen eine nahezu perfekte Ladeinfrastruktur bereithält und im Vergleich deutlich günstiger zu haben ist. Zwar stimmen beim Nio ET5 Touring Materialqualität und Verarbeitung, doch mit einem Einstandspreis von mindestens 60.000 Euro tanzt der Chinese den Schuhplattler mit einem BMW i4, bekanntermaßen kein schlechtes Elektro-Automobil – wenngleich (noch) kein Kombi.

Wer die Batterie des Nio ET5 nicht swappen will oder darf (weil er den Stromspeicher gekauft hat), bekommt einen technisch aufgewerteten Akku, der Ladeströme bis zu 180 kW ermöglichen soll. Bislang war bei Nio nur 130 kW machbar, was mit Premium nichts zu tun hat. Immerhin ist eine automatische Vorwärmung beim Ansteuern des Ladepunktes übers Navi inkludiert – manuelles Vorwärmen ist ebenfalls möglich. Schön, dass Nio beim Ladetempo schnell reagierte. Hat man jedoch das Wechselpaket gebucht, verabschiedet sich beim ersten Swappen der Schnelllade-Akku in der Wechselstation und man bekommt diesen wahrscheinlich kaum jemals wieder. Laut Nio dauert es etwa ein halbes Jahr, bis alle alten Akkus in den Wechselstationen ausgetauscht wurden – das dürfte wohl optimistisch gerechnet sein. Dann aber laden auch ET7 und EL6 mit maximal 180 kW – sofern der Akkutausch im Paket gebucht ist – alles etwas kompliziert.

Cockpit-Foto des Nio ET 5 Touring mit heller Innenausstattung
© Foto: Michael Blumenstein

Genug der Theorie, rein in den ET5. Schöne Materialien, saubere Verarbeitung und ein durchweg angenehmes Ambiente empfängt einen. Lediglich die Sprenkel in der Mittelkonsole irritieren das Güteempfinden. Die Sitze (Comfort-Package) sind individuell einstellbar und ziemlich komfortabel, wenngleich sie nicht bei jedem Körper eine perfekte Sitzposition erbringen werden. Luftpolster zum Verstellen der Seitenwangen gibt es indes nicht oder sie sind nicht über die Sitz-Bedienlogik einstellbar. Die integrierte Kopfstütze ist hingegen – wie fast überall – ein Ärgernis, da sie eben nicht verstellbar ist und bei Aufrechtsitzern den Kopf in eine unnatürliche Position bringt. Hinten gibt es ausreichend Platz, was bei einem 4,80-Meter-Auto selbstverständlich ist. Störend ist hingegen die kleine Heckscheibe und die nicht wegklappbaren Kopfstützen. Auch dass sich die hinteren Fenster nur zu einem Drittel absenken lassen, ist ein Defizit, Haltegriffe gibt es nirgends. Dafür aber einen Kleiderhaken, wenn man den Kofferraum öffnet. Der wird mit 100-prozentiger Sicherheit jedoch weniger oft benutzt, als das die Haltegriffe vermisst werden. Immerhin sind Verzurrösen an Bord.

Der Gangwahlhebel liegt gut zur Hand und ist sofort zu verstehen. Kaum jemand wird hingegen ohne Anleitung die Spiegel verstellen können. Das gelingt nur über das Infotainmentmenü im Zusammenspiel mit den Lenkradtasten. In ein Premium-Automobil gehören für solche Funktionen echte Schalter, idealerweise in der Türverkleidung. Auf die paar Cent für die Plastikteile und Kabel darf es nicht ankommen. Generell vermisst man hin und wieder ein paar Schnellwahltasten. Wer sich nicht durch die Menüs durchwühlen will, kann versuchen, ob Nomi Mate einen versteht und das Verstandene wie gewollt umsetzt. Nomi Mate ist übrigens die Kugel auf dem Armaturenbrett. Damit es schön winkt, blinzelt und sanft spricht, muss man 600 Euro extra ausgeben. Ansonsten ist dort nichts, es spricht eine Männerstimme (vermutlich) und macht mehr oder weniger dasselbe, nur liebloser. Macht nichts, denn Nomi Mate kann auch gut nerven. Das mögen jüngere Generationen anders sehen, die 600 Euro sollte man also besser einem guten Zweck spenden, damit hilft man in jedem Fall anderen. Das große Infodisplay ist je nach Ansicht mit Infos überfrachtet. Hier muss man wissen, wo man schnell mal den Gesamtkilometerzähler ablesen kann, sonst wird es unter Umständen ein langer Blindflug. Kleiner Tipp, der wird unten rechts im Display angezeigt, leider aber nicht im Kombiinstrument. Das macht VW in den ID-Modellen auch nicht besser – leider.

Besser machen es die deutschen Hersteller bei der Feinabstimmung einiger Detail, wie beispielsweise der Tempobegrenzung. Fährt man mit denen ins Limit, wird sanft eingebremst und das Tempo gehalten. Beim Nio ET5 Touring fährt man 200 km/h nach Tacho (was übrigens auch als Topspeed angegeben wird, also hat der Tacho keinerlei Tachoabweichung) ruckelt er sich die ganze Zeit in den Begrenzer, ohne jemals anzukommen. Okay, 200 fährt kaum jemand auf Dauer – mit einem E-Auto schon gar nicht. Aber es zeigt, an welchen Details gespart wird. Übrigens auch am Handschuhfach. Das gibt es nicht. Dafür eine große Ablage unter der Mittelarmlehne, die als einziges Teil wirklich billig daherkommt. Immerhin ist sie beidseitig aufzuklappen. Nach hinten wäre vielleicht die einfachere und qualitativ hochwertigere Lösung gewesen.

Zurück zum Tempo und dem Thema Fahren. Das Fahrwerk des Nio ET5 Touring ist ein klassisches ohne Einstellmöglichkeiten. Und es ist ein gutes. Gerade die Dynamiker unter den Fahrern werden sich zuhause fühlen. Passend dazu gibt es einen potenten Doppelantrieb mit einem E-Motor vorn (204 PS) und einem hinten (285 PS). Zusammen ergeben sich maximal 490 PS. Richtig, maximal. Denn diese Leistung ist ausschließlich im Sport+-Modus abrufbar. Somit ist auch der irre Sprint von vier Sekunden bis Tempo 100 nur machbar, wenn man zuvor über die Taste in der Mittelkonsole den entsprechenden Modus ausgewählt hat. Nach dem Motorstart ist stets der Comfort-Modus aktiviert, der mit rund acht Sekunden Brot-und-Butter-Werte liefert. Eine Kickdown-Funktion gibt es nicht. Schade. Gut ist das wiederum für die Reichweite. Bis zu 590 Kilometer sollen mit dem 100-kWh-Akku möglich sein. Der WILTP-Verbrauch wird mit rund 20 kWh angegeben, ein Wert, den man spielend unterbietet.

Der Nio ET5 Touring macht viele Dinge sehr gut. Besser als andere in dem Preissegment macht er jedoch nichts. Der größte Vorteil des Nio, das Tauschen der Akkus, ist vielleicht auch der größte Nachteil des Chinesen. Denn wer nicht least oder mietet, kommt nicht in den Genuss des Wechselns des Akkus. Die monatlichen Leasingraten sind nach wie vor hoch und da haben etablierte Marken meist bessere Angebote. Und wer nicht in den Regionen der sieben Wechselstationen unterwegs ist, hat eh keinen Vorteil. Das sehen vermutlich auch viele Kunden so, denn 2023 wurden lediglich 885 Nio zugelassen (von Januar bis einschließlich September). Zum Vergleich: 890 Maserati, 764 Lamborghini und 668 Bentley wurden in dem Zeitraum neu zugelassen. Im September waren es laut Kraftfahrtbundesamt 80 Autos der chinesischen Marke, drei davon entfielen in den Kanal Flotte. Da geht also noch einiges, oder vielleicht auch irgendwann nichts mehr.


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