Wir schreiben das Jahr 1964. Fette Motoren sind en Vogue, politisch korrekt und versprechen vor allem eins: Fahrspaß – zumindest, solange es geradeaus geht. Die Muscle Cars mit ihren dicken V8-Maschinen gab es bereits seit den 50ern und die Fangemeinde wuchs stetig. Etwas Neues musste also her, das, gerade in den USA, marketingtechnisch anders verkauft werden kann. Eine gute Idee, denn damit etablierte Ford ein gänzlich neues Automobil-Genre, das den Begriff Pony Car trug. Der Unterschied zum Muscle Car? Die Ponys waren graziler, wendiger, günstiger und weniger pompös; wenngleich grazil, gerade mit US-Brille betrachtet, sehr subjektiv war und ist. Sechs Generationen des Mustangs gibt es bis heute, ununterbrochen wurde der Vater der Pony Cars angeboten und ist damit Fords am längsten lebende Modellbezeichnung, wenngleich er mehr ist als ein Modell, weshalb man an ihm auch kein profanes Ford-Logo findet.
Elektrisiert?
Und jetzt kommt Mustang Nummer 7, zusätzlich zur 6. Generation, und macht alles anders. Idee, Aussehen, Antrieb, Segment. Kann das gut gehen? Mach-E lautet seine Zusatzbezeichnung. Freunden des Mustangs kommt auch das "Mach" bekannt vor. Seit Ende der 60er Jahre hießen die Performance-Versionen des Mustang "Mach 1" und versprachen noch bessere Fahrleistungen, ein Fahrwerk-Upgrade und andere feine Details. All das soll der Mach-E bereits ab Werk besitzen. So viel vorweg: Preislich ist auch der Elektro-Mustang ein Mustang. Soll heißen: Die Basis bleibt auf dem Boden – auch wenn bereits ordentlich Power drinsteckt. Die Kraft sieht man dem Mach-E jedoch nicht wirklich an. Etwas staksig versucht die Silhouette an die mit fließender Dachlinie versehenen Fastback-Versionen vergangener Zeiten zu erinnern. Doch der Mustang Mach-E fühlt sich eher der Gattung SUV-Coupé hingezogen – wie sollte es derzeit auch anders sein.
So ist der Mustang Mach-E ein durchaus praktisches Automobil, sofern es nicht in enge Gassen und Parkhäuser geht. Die Abmessungen liegen mit 4,71 Metern im Mitteklasse-Segment, die Breite mit fast 1,90 Metern am oberen Ende dessen. Die Höhe beträgt 1,64 Meter, was im Innenraum zu spüren ist. Denn trotz gekapptem Dach ist Kopfraum im Fond vorhanden. Vorne drückt hingegen die eingezogene Seitenlinie etwas aufs Gemüt, das Glasdach, das nicht zu öffnen ist, bringt dafür Licht hinein. Knie- und Schulterfreiheit sind erwartungsgemäß großzügig. Die Materialien sind gut gewählt und die Verarbeitung sieht sauber aus.
Ford Mustang Mach-E
BildergalerieDass irgendwo die vielen Batterien untergebracht werden müssen zeigt die Tatsache, dass es ganz hinten nur 400 Liter Gepäck in den Kofferraum schaffen. Weitere Staufläche, die sogar ausspülbar ist, gibt es vorn. Und da ist Platz für das 6-Meter-Ladekabel für Wallboxen und das fast sieben Meter lange für die 230-Volt-Steckdose – beide serienmäßig. Wenngleich die Ladezeit der entleerten 88-kWh-Batterie an einer Steckdose rund zwei Tage in Anspruch nimmt, ist es eine nette Geste, dieses kostenfrei beizulegen. Wer eine Wallbox hat, kann mit bis zu 11 kW laden. Das ist guter Standard. An den CCS-Schnellladern befüllt sich der Mustang Mach-E mit maximal 150 kW – theoretisch. In der Praxis muss der in Mexiko produzierte US-Kölner erst zeigen, was im Mittel durchfließt.
Mega-Display
Zurück in den Innenraum, den man übrigens mittels Schlüssel, Smartphone (maximal vier) und Tastenkombination in der B-Säule öffnen kann. Die Türgriffe außen und innen sind gewöhnungsbedürftig. Wie auch das 15,5-Zoll-Mega-Display, das die Mittelkonsole einnimmt. Bis auf den Lautstärkedrehregler, der auch als „Ein-Ausschalter“ fungiert, wird getoucht, ausschließlich. Die Menütiefe, in die man einsteigen kann, ist dabei beeindruckend – oder beängstigend. So richtig schnell wird man in jedem Fall nicht schlau daraus. Macht aber nichts.
Auch wer keinerlei Einstellungen ändert, kann losfahren. Alle nötigen Infos wie Geschwindigkeit, Restreichweite, Akkukapazität in Prozent, Außentemperatur und Gesamtkilometer sind glasklar im 10"-Kombiinstrument ablesbar und einfach zu verstehen. Blinker, Scheibenwischer etc. werden exakt so aktiviert, wie vermutet. Das Handy lädt kabellos und verbindet sich ebenso mit AppleCarplay. Apropos kabellos: "Over-The-Air"-Updates sollen die Mach-E-Software stets auf neuestem Stand halten. Ach ja: Bei aufkommenden Fragen hilft die Sprachbedienung wirklich oft, auch bei der Zieleingabe ins Navi. Schade, dass die darin angezeigte Ladeinfrastruktur nur unzureichend abgebildet wird. Mit wie viel kW geladen werden kann, zeigt das Navi – wie beim Mercedes EQA – nicht an.
Reichweite kann er
Gut, dass nicht allzu häufig geladen werden muss. Mit bis zu 610 Kilometer Reichweite beim Mach-E mit großem Akku und Heckantrieb sollte die Angst, zu oft laden zu müssen nur bei Vielfahrern aufkeimen. Das ist beeindruckend, auch wenn sie beim von uns gefahrenen Topmodell mit 88 kWh-Akku (nutzbar), Allrad, 350 PS und fast 600 Newtonmetern Drehmoment auf 540 Kilometer schrumpft. Ford gibt für 100 Kilometer bedachte Fahrweise einen Stromverbrauch von knapp 19 kWh an. Auf unserer rund 150-Kilometer-Tour, die bei kühlen Temperaturen durchaus auch Autobahn-Anteil beinhaltete und mit Winterreifen absolviert wurde, wies der Bordcomputer am Ende 22 kWh aus. Das ist ein vielversprechender Wert, der unter Idealbedingungen und mit der Gelassenheit von E-Mobil-Piloten sicherlich deutlich unterboten werden kann. Die Effizienz des von Ford selbst entwickelten Elektroantriebs scheint zu stimmen. Klar, wer die Höchstgeschwindigkeit des Mustang Mach-E auskostet, steht nach zirka der Hälfte. Doch 180 km/h sind beim E-Auto eher Papiertiger als in Natura relevant.
Tagtäglich relevant ist aber das Fahrwerk, um Kilometer elegant kurz unter Richtgeschwindigkeit abreißen zu können. Stahl und Öl lautet die Formel nach wie vor bei Ford für die Feder-Dämpfer-Elemente. Bei der aktuellen Auslegung fühlt sich eine sportliche Gangart am Volant gut an. Der tiefe Schwerpunkt presst die deutlich über zwei Tonnen schwere Fuhre selbst mit M+S-Pneus auf den Asphalt und schleift sanft an der ESP-Grenze, ohne zu irritieren. Bodenwellen werden dafür etwas ungelenk verarbeitet und können Fondpassagieren durchaus auch auf den Magen schlagen. Zudem kommt nie wahre Ruhe in den Aufbau. Gerade das nachwippende Heck nervt. Die Bremsen packen standesgemäß zu, falls es mal eng werden sollte. Wer jedoch das One-Pedal-Driving (umständlich im Menü) aktiviert hat, wird kaum mehr bremsen müssen, so stark rekuperiert das System – bis zum Stopp – schön.
Der Kleinste ist wohl der Größte
Wer Verzicht übt, erhält die gut 9.000 Euro Förderprämie. Denn die Basisversion des Mustang Mach-E gibt es für knapp unter 40.000 Euro netto. Verzicht? Nein, hört sich schlimmer an, als es ist. Denn auch den Asketen unter den Mach-E-Fahrern gönnt Ford 270 PS und die 76 kWh-Batterie schafft bis zu 440 Kilometer. Darüber rangiert die Version mit großem 99 kWh-Akku (jeweils Bruttowert) und 294 PS. Beide besitzen Heckantrieb. Die gleichen Batteriekapazitäten gibt es in Kombination mit Allradantrieb und einem zusätzlichen, kleinen, Elektromotor an der Vorderachse. Kostenplus: Mindestens 5.000 Euro netto für die 270-PS-Version. Der von uns gefahrene Mach-E Extended Range (großer Akku) AWD (all Wheel Drive) hat immer 351 PS. Braucht es die? Sicherlich nicht. Aber viel Wahlmöglichkeiten hat man nicht – Optionen sind rar, im dicken Pony ist eigentlich alles drin.
Max Bernstein