Von Benjamin Bessinger/SP-X
Der Golf ist der ungekrönte König der Kompaktklasse. Doch sein Thron wackelt immer heftiger. Denn als wäre es nicht schon schlimm genug, dass selbst VW den nagelneuen Bestseller zum alten Eisen stempelt und nur noch vom ID3 und der elektrischen Zukunft spricht, setzen ihm jetzt auch noch die Konzerntöchter zu. In der Summe seiner Eigenschaften mag der Golf auch in der achten Generation unerreicht sein, doch Seat baut mit dem Leon das leidenschaftlichere Auto, Audi rühmt den A3 als den vornehmeren Vetter und wenn Skoda jetzt die vierte Generation des Octavia an den Start bringt, dann punkten die Tschechen vor allem bei Praktikern und Pragmatikern. Nicht umsonst beginnen sie den Verkauf zu Preisen ab 28.060 Euro auch erst einmal mit dem Kombi und schieben die 700 Euro günstigere Limousine nach.
Wie der Golf und seine Konzerngeschwister aus dem Modularen Querbaukasten konstruiert und formal in der Kompaktklasse zuhause, geht der Octavia beim Generationswechsel noch einmal aus dem Leim und nimmt mit nun 4,69 Metern bereits steten Kurs auf die Mittelklasse. Deshalb sitzt man jetzt auch in der zweiten Reihe wie in der ersten Klasse und der Kofferraum ist mit 630 Litern größer als bei den allermeisten Konkurrenten.
Die Segnungen des Baukastens
Form und Format sind eigenständig, aber der Unterbau ist Familiensache, und vieles von der Ausstattung auch. Denn einmal mehr macht sich Skoda die Segnungen des Baukastens zunutze und rüsten den Octavia gewaltig auf. Vor allem bei Assistenz und Intelligenz macht der Bestseller deshalb einen großen Sprung, bekommt Sicherheitssysteme wie einen Ausweichassistenten oder einen Ausstiegswarner und Infotainment-Lösungen wie ein größeres Digitalcockpit mit optimiertem Online-Zugang und verbesserten Update-Optionen sowie erstmals ein Head-Up-Display.
Skoda Octavia (2020)
BildergalerieBesonders deutlich wird die Verwandtschaft zum Golf aber beim Blick unter die Haube, wo Skoda bei einer Spanne von zunächst 110 bis 245 PS einen Effizienzgewinn von bis zu 14 Prozent in Aussicht stellt. Genau wie VW startet dafür nun auch Skoda auf breiter Flur mit Mildhybriden mit 48 Volt-Technik, die Diesel bekommen die neue Twindosing-Technik und stoßen bis zu 80 Prozent weniger Stickoxide aus und zum ersten Mal wird es den Octavia auch als Plug-In-Hybriden geben, der genau wie in Wolfsburg gleich in zwei Leistungsstufen angeboten wird. Außerdem haben die Tschechen wieder eine CNG-Version in der Pipeline, weil die schneller auf den niedrigeren CO2-Ausstoß einzahlt als jede andere Technologie.
Los geht es dabei aber zunächst einmal eher konventionell mit einem 110 kW / 150 PS starken TSI-Motor mit 1,5 Litern Hubraum und einem weiterentwickelten 2,0-Liter-TDI, den es mit 115 und 150 PS gibt. Das sind trotz verbesserter Abgasreinigung vielleicht nicht die innovativsten Motoren, aber die wichtigsten. Denn vor allem der starke Diesel dürfte sich einmal mehr als Bestseller erweisen – aus gutem Grund. Schließlich ist er mit seinen 360 Nm wunderbar dynamisch und elastisch, macht Überholen zum Kinderspiel und den Ampelspurt bei einem Sprintwert von 8,8 Sekunden zum Vergnügen, schafft auf der Autobahn bis zu 222 km/h und lässt sich mit ein bisschen Weitsicht und Zurückhaltung trotzdem knapp unter fünf Litern Fahren. Und spätestens, wenn man die adaptiven Dämpfer bestellt, die den Wagen wahlweise stramm mit der Fahrbahn verzahnen oder butterweich allen Unbill wegfedern, hat man schnell vollends vergessen, dass man hier noch in der Kompakt- und nicht schon in der Mittelklasse unterwegs ist.
Der eigene Stempel
Aber der Octavia ist nicht einfach nur ein Golf mit anderem Gesicht. Denn so gründlich sich Skoda auch aus dem Modularen Querbaukasten bedient, so sehr drücken die Tschechen der Kompaktklasse im Konzern ihren eigenen Stempel auf. Das gilt für das Design, das ähnlich zeitlos und unvergänglich ist wie beim Golf und trotzdem nicht langweilig, das gilt im Interieur zum Beispiel für das neue Lenkrad mit nur noch zwei Speichen und neuen, sehr unkonventionellen Bedienwalzen und das gilt natürlich vor allem für die Ideen aus der Abteilung "Simply Clever", bei denen Skoda jetzt noch einmal nachgelegt hat. So gibt es künftig zum Beispiel für Dashcams auch eine USB-Buchse am Dachhimmel, die Taschen auf der Rückseite der Vordersitze bieten nun ein Fach fürs Handy und neben dem Regenschirm steckt in der Tür auf Wunsch auch ein Besen für den Schnee.
Viel solide Technik aus der Familie und dazu einen ganz eigenen Stil – diese Rechnung könnte für Skoda aufgehen: Während der Golf gerade seine Götterdämmerung erlebt, kommt der Octavia als Auto für Praktiker und Pragmatiker im Windschatten des Wolfsburger Bestsellers immer weiter heran an die Pole Position und wird so mehr und mehr zum heimlichen König der Kompaktklasse.
Und wo sie in Wolfsburg selbst am Thron des Golfs wackeln, sehen sie in Mlada Boleslav im Octavia keinen Bremser, sondern einen Beschleuniger. Denn für Skoda-Chef Bernhard Maier ist der Octavia nicht nur eines der zentralen Modelle in der großen Produktoffensive und soll die Tschechen über die Zwei-Millionen-Marke heben. "Mit ihm wollen wir auch das Geld erwirtschaften, mit dem wir die hohen Kosten der Transformation hin zur E-Mobilität aus der eigenen Kasse bezahlen können."