Es herrscht eine vornehme Ruhe vor dem noblen Peninsula Hotel in Beverly Hills. Hinter den hohen Hecken der Luxusherberge hört man nur das Gurgeln des Springbrunnens und das Murmeln des Personals. Selbst von der Flotte an Flying Spurs, die Bentley hier zwei Wochen lang jeden Morgen zur Testfahrt in Stellung bringt, ist nicht zu vernehmen. Denn wo sich bislang laut und souverän ein V8 oder oft sogar ein W12-Motor Gehör verschafft hat, säuselt bei diesen Luxuslinern nur noch ein E-Motor, der im Getriebe integriert ist. Schließlich ist Bentley auf dem Weg zum ersten Luxushersteller mit neutralem CO2-Haushalt und legt deshalb jetzt auch den Flying Spur an die Leine: Als zweites Modell nach dem Bentayga und lange vor Rolls-Royce Ghost oder der Maybach-Version der S-Klasse gibt es den langen Bentley jetzt auch als Plug-in-Hybrid – und damit sehr zur Freude der Hotelgäste als flüsterleisen Gleiter.
Zwar steht die offizielle Homologation noch aus und mit ihr der finale Verbrauch. Doch erstens zählen Zahlen weniger als die grüne Plakette auf dem Kotflügel und die Ladebuchse unter der zweiten Tankklappe. Zweitens wird der Vorteil zumindest rechnerisch gewaltig sein, kommt doch der V8 als bislang sparsamstes Modell auf einen Normwert von 12,7 Litern. Und drittens wissen die Briten vom Bentayga, dass ihre begüterten Kunden sowohl daheim als auch am Ziel ihrer Reise meist eine Wallbox nutzen können und deshalb tatsächlich oft allein mit Strom unterwegs sind.
Mehr Ruhe in der Hektik der Großstadt und fürs Gewissen, mehr Komfort und mehr Gefühl – weniger will bei diesem Bentley in vielerlei Hinsicht mehr sein. Das gilt allerdings auch für den Preis: Denn mit knapp 211. 000 Euro kostet der Plug-in mit seinem Sechszylinder rund zehn Prozent mehr als die V8-Limousine.
Bentley Flying Spur Hybrid (2022)
BildergalerieAber nicht nur der Jetset in den mit dem eigenen Monogramm bestickten Federbetten hier im Peninsula Hotel zu Hollywood hat plötzlich Ruhe, auch die Hinterbänkler genießen eine ungewohnte Stille. Nicht, dass der Flying Spur bislang sonderlich laut gewesen wäre. Doch fällt der Geräuschniveau im E-Modus noch einmal um 50 Prozent und vor allem im Fond fühlt es sich das so an, als würde man ein paar dicke Kopfhörer aufsetzen und die Welt da draußen gar vollends aussperren. So also fährt es sich auf Wolke Sieben, während sich das gemeine Volk da unten auf der Straße durch den Stau kämpft.
Und die bisweilen fast ein wenig bedrückende Stille ist nicht der einzige neue Sinneseindruck für die betuchte Kundschaft. Auch ihre Finger fühlen über völlig neue Materialien: Wo es sonst nur Holz, Metall und Leder oder in den Sportversionen auch mal Karbon gab, gleiten die Hände nun erstmals seit Urzeiten sogar über vermeintlich schnöden Stoff. Nein, keine Sorge: Die Briten reiten nicht auf der Sparwelle. Und ein veganes Innenleben wird es bei der Luxusmarke so schnell auch noch nicht geben. Doch experimentieren sie zumindest in der Erstauflage ihres neuen Saubermannes mal mit ein paar neuen Materialien und haben die Sitzrücken deshalb mit der Wolle britischer Bio-Schafe bezogen. „Nachhaltigkeit hört bei uns nicht mit den Motoren auf“, umschreibt Produktionsvorstand Peter Bosch diesen Ansatz. Das ist neben den Schriftzügen in den Einstiegsleisten und natürlich der himmlischen Ruhe im Fond so ziemlich das einzige, woran die Passagiere den Hybrid erkennen können. Selbst die pfundschweren Aschenbecher als Inbegriff der luxuriösen Opulenz sind auf Wunsch natürlich wieder an Bord, von den hydraulisch gedämpften Orgelzügen für die Klimaausströmer ganz zu schweigen.
Für den Fahrer sieht das nicht viel anders aus. Denn von einer weiteren Anzeige im Cockpit, der Reichweitengrafik auf der Navigation und einem Untermenü für die Akkuladung abgesehen gleicht der Plug-in den Verbrennern. Erst wenn sich der rechte Fuß senkt, spürt man natürlich einen Unterschied. Und zwar egal, ob man das Pedal nun streichelt, oder fest ans Bodenblech heftet. Im ersten Fall ist er durchaus positiv, weil der E-Motor nicht nur still ist, sondern auch wunderbar sämig anfährt mit seinem sofort abrufbaren Drehmoment von immerhin 400 Nm. Vor allem im verlässlichen Stop-And-Go-Verkehr raus auf die Küstenstraße wird das Dickschiff zum großen Gleiter, drückt den Blutdruck des Fahrers auf das Mindestmaß für ein langes, erfülltes Leben und surrt so gelassen dahin, wie die vielen Teslas rings um ihn herum. Und selbst wenn die Lücken länger werden, bringt das den Stromer nicht aus dem Konzept: Trotz der 2,5 Tonnen fährt er schließlich bis knapp 140 km/h elektrisch.
Wer den Flying Spur allerdings draußen in den Hügeln hinter Hollywood oder auf dem nördlich von Malibu naturgemäß etwas leereren Pacific Coast Highway mal richtig fliegen lassen will und den Fuß deshalb tiefer senkt, erlebt den Bentley von einer nicht minder ungewohnten und nicht ganz so schönen Seite. Ja, die Limousine ist für ihr Gewicht und ihr Format überraschend handlich – nicht zuletzt, weil die vier Räder nicht nur alle angetrieben, sondern auch einzeln gelenkt werden. An den Fahrleistungen gibt es bei einem Sprintwert von 4,3 Sekunden und einem Spitzentempo von 285 km/h genauso wenig auszusetzen wie an der Systemleistung von 400 kW/544 PS oder dem vereinten Drehmoment von 750 Nm. Nicht umsonst kommt anders als beim Bentayga statt des 3,0 Liter großen Mono-Turbos mit seinen 340 PS und 450 Nm hier der modernere und stärkere 2,9-Liter-V6 zum Einsatz, der mit zwei Ladern auf 416 PS und 550 Nm kommt. Und natürlich bäumt sich der Bentley beim Kickdown pflichtschuldig auf, bevor er davonschnellt wie der fliegende Sporn, der ihm seinen Namen gegeben hat. Doch klingt er dabei viel weniger souverän als man es von den Briten gewohnt ist und wirkt sogar fast ein bisschen angestrengt. Da werden sich doch keine Schweißflecken unter dem Smoking bilden? Wie gut, dass der Wäscheservice im Peninsula auf Zack ist und das Hemd zur Not auch in jenen 2,5 Stunden wäscht und bügelt, die der Flying Spur unten in der Tiefgarage braucht, bis sein Akku wieder voll ist.