Von Peter Maahn/SP-X
Wer Spaß an digitaler Technik, hochauflösenden Monitoren statt klassischer Armaturen oder einer langen Liste an elektronischen Beifahrern hat, kann nach A jetzt auch B sagen. Die dritte Auflage der Mercedes B-Klasse will endgültig das Image des bevorzugten Fortbewegungsmittels der Generation "55 plus" hinter sich lassen. Dazu hat Mercedes tief ins Regal seiner Assistenzsysteme gegriffen, die als futuristisch gepriesene A-Klasse als Genspender genutzt und das Blechkleid rundum auf einen dynamischen Auftritt getrimmt.
Dabei sollten die Vorzüge der in den letzten 13 Jahren weit über eine Million Mal verkauften B-Klasse bewahrt werden. Erhöhte Sitzposition mit guter Übersicht, viel Platz auch auf Rücksitzen sowie Stadttauglichkeit dank nur minimal gewachsener Außenmaße. Das äußere Erscheinungsbild gleicht im Wesentlichen der Silhouette des Vorgängers, wobei die bislang scharfen seitlichen Falze weggeschliffen wurden und an der Flanke des Neulings dezente Glätte vorherrscht. Auch die neue B-Klasse ist sofort als solche zu erkennen, kommt aber mit einem verordneten Akzent Sportlichkeit daher.
Die Vertrautheit sorgte wohl dafür, dass der kompakte Mercedes bei ersten Testfahrten im spätherbstlichen Mallorca nicht für neugierige Blicke sorgte, obwohl viele der verbliebenen Insel-Touristen eigentlich zur bisherigen Zielgruppe gehören. Nur diejenigen, die sich an den Seitenscheiben die Nasen plattdrückten, hatten den Aha-Affekt des Neuartigen. Im Test-Benz war die breiteste Version der aus der A-Klasse bekannten Armaturen eingebaut. Zwei Bildschirme mit einer Gesamtbreite von mehr als einem halben Meter, wobei im Blickfeld des Fahrers die nötigen Instrumente analog dargestellt werden.
Immer online
In der Mitte zeigt der hochauflösende Monitor die Navi-Karte, dient der Musikauswahl oder der Klimaanlagensteuerung. Da das System ständig online ist, beantwortet es auf den Befehl "Hey Mercedes" auch Fragen oder folgt Anweisungen. Alexa lässt grüßen. Auf der Ferieninsel funktionierte das Ganze recht gut. Im Mobilfunk-Entwicklungsland Deutschland könnte es laut Erfahrungsberichten bisheriger A-Klasse-Nutzer auf Überlandfahrten zuweilen für Frustpotenzial sorgen. Dafür allerdings kann Mercedes nichts.
Mercedes-Benz B-Klasse (2019)
BildergalerieVon außen unsichtbar arbeiten im neuen Mercedes stets auch neue Motoren, zwei Benziner und drei Diesel. Zum Beispiel im B 200d mit seinem Zweiliter-Selbstzünder und 110 kW / 150 PS. Die Stuttgarter setzen weiter auf die etwas in Ungnade gefallene Antriebsart und haben das Triebwerk mit großem Aufwand fahrverbotssicher gemacht: Es erfüllt die erst ab 2020 geltende Abgas- und Verbrauchsnorm Euro 6d. Die Nachbehandlung der kritischen Abgase übernehmen gleich zwei Katalysatoren mit der sogenannten Adblue-Technik. Das Ergebnis ist ein Real-Verbrauch von 4,5 Litern auf 100 Kilometern bei 119 Gramm CO2-Ausstoß. Die Benziner und der kleine Diesel erfüllen die Euro-6d-temp-Norm, bleiben also auch von möglichen Fahrverboten verschont.
Tatsächlich stand am Ende der Kennenlern-Tour eine Fünf im Verbrauchscomputer, obwohl der B 200d zuweilen recht flott um die Serpentinen der bekannten Bergstraße MA-10 bewegt wurde. Dabei offenbarte sich eine weitere Eigenschaft des Neulings: Der 4,42 Meter lange Fünftürer hält sich an die Mercedes-Behauptung "mehr Sports für den Tourer". Die neue Doppelkupplungs-Automatik tanzt je nach gewähltem Modus behände durch die acht Gänge, dreht sie in Sportstellung bis zum Anschlag oder überspringt schon mal eine Stufe, wenn es komfortabel oder bewusst sparsam voran gehen soll. Dank rekordverdächtiger Aerodynamik (Cw=0,24) flutscht die B-Klasse durch den Wind und verschont die Insassen gleichzeitig vor störenden Windgeräuschen.
Auf Wunsch spezielle Licht- und Musikstimmung
Für weitere Wellness soll ein System sorgen, das nunmehr auch in einem Mercedes-Kompaktmodell zu haben ist. Es nutzt Funktionen von Klimaanlage oder Sitzsteuerung und erzeugt je nach Laune der Mitfahrer für spezielle Licht- und Musikstimmung. Wird das Programm "Freude" gewählt, beginnt der Sitz mit einer gezielten Massage und wählt eine im Rhythmus passende Musik. Ist sich der Fahrer nicht über seine momentane Laune sicher, werden Verkehrslage, Wetter oder Fahrtdauer analysiert und eine Stimmung vorgeschlagen. Ein weiteres Programm soll Rückenschmerzen bei längeren Fahrten vorbeugen. Sitzkissen und -lehnen werden dabei in bestimmt Zeitabständen um wenige Millimeter oder Grad verstellt. Auf dem rechten der beiden Monitore können dabei die Bemühungen der Elektronik verfolgt werden.
Natürlich sind nur wenige der technischen Highlights serienmäßig zu haben, die fälligen Mehrkosten noch nicht bekannt. Das gilt auch für die Fülle an Assistenzsystemen. Abstandsradar und Kamera schauen 500 Meter weit voraus, arbeiten mit der Navigation zusammen und passen das Tempo zum Beispiel vor Kurven, Kreuzungen oder bei per Kamera erkannten Tempolimits automatisch an. Der Assistent, der den Toten Winkel im Blick hat, warnt im Stand vor dem Öffnen der Türen, wenn sich ein Fahrzeug (auch ein Fahrrad) von hinten nähert. Die B-Klasse kann sogar teilautomatisch unterwegs sein, zum Spurwechsel reicht ein Antippen des Blinkers. Weitere Beispiele sind das in die Scheibe gespiegelte, groß geratene Head-up-Display oder der Notbremsassistent.
Noch nennt Mercedes nur den Preis für das Basismodell, das mit 31.874 Euro auch schon in Bereiche vorstößt, in denen anderswo die Mittelklasse beginnt. Wenn die B-Klasse im Februar auf den Markt kommt, wird sich zeigen, ob der weiterhin große Teil der betagteren Traditionalisten auf den High-Tech-Zug springt und sich bereitwillig einen Computer auf vier Rädern in das Carport stellt. Ein rundum tolles Auto bekommen sie allemal.
Rudi S.