Von Thomas Strünkelnberg, dpa
Volkswagen blickt nach vorn. Der Konzern setzt stärker als erwartet auf E-Autos, zusätzliche Milliardeninvestitionen sollen auf dem Weg helfen. Aber kann der Autogigant das Erbe von "Dieselgate", die Folgen des jahrelangen Abgasbetrugs, im kommenden Jahr abschütteln?
Fest steht: Die Bereitschaft zum Wandel kann man Volkswagen nicht absprechen, da sind sich die Experten einig. "Es gibt einen Wandel im Konzern", betont Branchenexperte Stefan Bratzel vom Forschungsinstitut CAM. Die Aussagen von VW-Konzernchef VW-Chef Matthias Müller über ein Ende der Diesel-Subventionen an der Zapfsäule zeigten, dass der Konzern auf dem richtigen Weg sei. "Da hat VW gut und frühzeitig reagiert", ergänzt der Auto-Professor Ferdinand Dudenhöffer mit Blick auf die E-Auto-Offensive des Herstellers. Er geht davon aus: VW dürfte 2018 noch besser abschneiden als im laufenden Jahr. Ohnehin prognostiziert er für das kommende Jahr ein Wachstum der weltweiten Verkäufe aller Autobauer um 2,2 Prozent auf 87,3 Millionen Autos.
Dennoch bedeutet auch das Jahr 2018 für Deutschlands größten Industriekonzern eine Gratwanderung. Denn es kostet viel Geld, das Steuer in Richtung E-Mobilität, autonomes Fahren und Digitalisierung herumzuwerfen, während gleichzeitig "Dieselgate" Milliarden verschlang – ganz zu schweigen von Vertrauensschwund und dem 2018 beginnenden Anleger-Musterverfahren. Verbraucherschützer wollen zudem gerichtlich klären lassen, ab wann Kunden von Kaufverträgen zurücktreten können und wo Grenzen einer zumutbaren Nachbesserung liegen.
Nicht verschwiegen werden darf aber auch: Unbeirrt von Abgas-Skandal oder auch Kartellverdacht verdient Volkswagen sehr viel Geld. Allein von Januar bis September stieg der Nettogewinn im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um über 30 Prozent auf 7,7 Milliarden Euro. Wichtige Baustellen des VW-Konzerns - und seiner Kunden:
Nachrüstung und drohende Stilllegungen
Im September 2015 musste VW millionenfache Manipulation bei der Abgasreinigung per Täuschungssoftware zugeben. Die Folge: Allein in Deutschland muss der Autobauer bis zu 2,6 Millionen Fahrzeuge per Software-Update nachrüsten – derzeit geht man von insgesamt 2,2 Millionen Autos aus, die noch auf den Straßen unterwegs sind. Umgerüstet sind nach Angaben eines VW-Sprechers 2,05 Millionen Autos in Deutschland, rund 200 000 fehlten noch. Weltweit wurden bislang rund 6,6 Millionen Autos umgerüstet. Ursprünglich sollte dies bis zum Jahresende abgeschlossen sein, VW macht aber klar: wer nach dem Jahreswechsel die Umrüstung will, bekommt sie weiter kostenlos.
Was aber ist mit VW-Kunden, die die Umrüstung nicht wollen? Wie groß deren Zahl ist, ist unklar, die Gründe sind vielfältig: Sei es, dass der betreffende Autofahrer gegen VW auf Schadenersatz klagt und das – unveränderte – Auto als Beweismittel braucht, sei es, dass ein VW-Fahrer sein illegal chip-getuntes Auto lieber nicht vorführt – die Frage ist, was passiert, wenn Autofahrer einem behördlich angeordneten Rückruf nicht Folge leisten. Autos ohne Update müssten eigentlich stillgelegt werden, weil die Betriebserlaubnis erloschen sei, wie aus einer niedersächsischen Straßenverkehrsbehörde verlautet.
Allerdings gebe es keine klare Anweisung vom Verkehrsministerium oder vom Kraftfahrtbundesamt, erklärt ein Mitarbeiter des niedersächsischen Straßenverkehrsamts. Stattdessen sollten die – eigentlich weisungsgebundenen – untergeordneten Behörden in eigenem Ermessen entscheiden. Beschließt die Behörde aber den sofortigen Vollzug der Stilllegung und ein Gericht stellt später fest, dass dies nicht rechtens war, gibt es ein neues Problem: Wer ersetzt dem Autofahrer seinen Schaden? Nach Angaben aus dem Straßenverkehrsamt könnte sogar die Plakette bei der Hauptuntersuchung verweigert werden, wenn das betreffende Auto nicht umgerüstet wurde. Bratzel betont, es müsse mehr Transparenz beim Kraftfahrtbundesamt geben.
Der Streit um Garantien
Ein Zugeständnis von VW, mögliche Kundenansprüche auch nach dem Ende normaler Garantien weiter zu beachten, läuft zum Jahresende aus. Verbraucherschützer kritisieren dies, der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) klagt gegen einen VW-Händler und will damit generelle Klarheit über Garantiezusagen erreichen. vzbv-Chef Klaus Müller sagte, es gehe um die Frage, ob Verbrauchern eine Nachrüstung zuzumuten sei, "wenn damit Folgeschäden verbunden sein könnten und der Händler nicht bereit ist, für diese einzustehen". Ein VW-Sprecher betonte unlängst: "Das Update funktioniert."
Ohnehin hatte VW angekündigt, mögliche Defekte im Zusammenhang mit der Umrüstung zwei Jahre lang kostenlos zu beheben. Sollten Defekte auftreten, sollten diese geprüft werden. "Das ist keine Garantie, sondern eine vertrauensbildende Maßnahme", betonte ein Sprecher. Für VW-Kunden bedeutet das: Sollte VW sich weigern, ein Problem zu beheben, müssten die Kunden im Streitfall vor Gericht beweisen, dass ein Defekt durch die Umrüstung verursacht wurde.
Klagen und Prozesse
Auch wenn der Rubel wieder rollt – Volkswagen steckt noch immer mitten in der juristischen Aufarbeitung des Abgasskandals. Und das an mehreren Fronten: Tausende von Dieselkunden fühlen sich von VW hintergangen und verlangen auch in Deutschland eine Entschädigung.
Außerdem steht Volkswagen das Musterverfahren der Anleger bevor. Diese werfen dem Management vor, im September 2015 zu spät über die Abgas-Manipulationen informiert zu haben. Volkswagen weist dies zurück. Das Problem: Nach dem Bekanntwerden der gefälschten Stickoxidwerte bei Millionen von Dieselmotoren war der Aktienkurs steil nach unten gegangen, fast die Hälfte ihres Wertes hatten die Vorzugspapiere des Konzerns zwischenzeitlich verloren. Viele Anleger wollen sich ihre Verluste erstatten lassen. Das Musterverfahren gegen VW am Oberlandesgericht Braunschweig soll im September 2018 beginnen. Es geht um Milliarden – wieder einmal.
Damit nicht genug: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt außerdem wegen des Verdachts auf Betrug. Allein hier geht es – einschließlich eines Verfahrens gegen Ex-VW-Chef Martin Winterkorn – um fast 40 Beschuldigte. In den USA sind die Gerichte schon weiter: Sieben Jahre Gefängnis, 400.000 Dollar Geldstrafe – VW-Manager Oliver Schmidt bezahlt seine Rolle in der "Dieselgate"-Affäre mit der Höchststrafe.
u. rahlves