Von Peter Maahn/SP-X
Gut zwei Stunden im Dauerstau, wer das gigantische Entwicklungszentrum des Hyundai-Konzerns in Namyang von der Hauptstadt Seoul aus erreichen will, braucht Nerven und Geduld. Das Allerheiligtum der Schwestermarken Hyundai und Kia macht sich auf 3,3 Millionen Quadratmetern breit. Um bis ins Herz zu gelangen, müssen zwei gut bewachte Sperren passiert werden. Alles, womit Fotos gemacht werden können, wird eingesammelt und in Folien verstaut. Die Koreaner lassen sich nur gut dosiert und streng kontrolliert in die Karten schauen. Vor allem dann, wenn es um den neuen Trumpf geht, den Kia im Sommer ausspielen will. Das erste kleine SUV, das ausschließlich mit einem Hybridantrieb an den Start geht und damit die weltweite Konkurrenz ausstechen will.
Alles ist neu beim 4,36 Meter langen Kia Niro, der kein vorhandenes Modell ersetzt: Der Name, die speziell für Hybridtechnik ausgelegte Plattform, der Antrieb, das Innenleben. Das Design allerdings verrät die enge Verwandtschaft zum um gut zwölf Zentimeter längeren Sportage. Recht hoch angesetzte Bi-Xenon-Scheinwerfer, markanter Kühlergrill mit der Kia-typischen "Tigernase", breiter Lufteinlass unter dem Stoßfänger, seitlich eingerahmt von senkrecht stehenden Schlitzen, die den Luftwiderstand reduzieren sollen. "Die typische SUV-Form", erklärt Ingenieur Jeong Bin Moon die weitere Linienführung des Niro, die in einem steilen Heck mit ebenfalls erhöht platzierten Rückleuchten endet. "Wir wollten einen langen Radstand realisieren und die Überhänge vorn und hinten deutlich verkürzen", betont er und zeichnet neben dem Neuling mit ausgestreckten Armen dessen seitliche Dimensionen in die Luft. Glatte 2,70 Meter Abstand zwischen den Achsen versprechen komfortables Reisen auch auf den Rücksitzen.
Der Niro will optisch zur Gattung der SUV gehören, jener Mischung aus Kombilimousine und Geländewagen, die weltweit in jedem Jahr mehr Fans findet. Auch wenn Bin Moon einräumt, dass sich künftige Niro-Fahrer wegen des fehlenden Allradantriebs wohl nur selten abseits fester Straßen wagen werden. "Was zählt sind die hohe Bodenfreiheit, die erhabene Sitzposition dank einer Höhe von 1,54 Metern und das Raumgefühl", meint der Techniker. Und das alles bei einem in dieser Klasse bislang unerreicht niedrigen Normverbrauch dank des Hybridantriebs. Ein Konzept, das es durchaus in sich hat. Der mit 1,6 Liter Hubraum recht kompakte Benziner und seiner überschaubaren Leistung von 77 kW / 105 PS wurde mit einem 32 kW / 44 PS Elektromotor zusammengespannt. Die Batterie reicht zwar nur für knapp zwei Kilometer rein elektrisches Fahren bei maximal 50 km/h, bevor der klassische Motor wieder in Aktion tritt. Unterm Strich aber sorgt das rechnergesteuerte Zusammenspiel beider Herzen für einen verblüffend niedrigen Spritverbrauch. Noch nennt Kia keine exakten Werte, spricht aber von einem CO2-Ausstoß von unter 90 Gramm pro Kilometer. Umgerechnet bedeuten das etwa 3,8 Liter auf 100 Kilometer.
Testfahrt - aber streng geheim
Vor der ersten Testfahrt machen fleißige Helfer den Test-Niro durch diverse textile Überzüge unkenntlich. Schließlich ist er ja noch streng geheim. So verkleidet dürfen wir dann unter Aufsicht die Entwicklungszentrale verlassen und uns auf öffentliche Straßen wagen. Das Innenleben macht einen ordentlichen Eindruck, die Bespannung des Instrumententrägers ist zwar aus Kunststoff, wird aber immer wieder wie zum Beispiel an den Lufteinlässen oder dem Navi-Monitor durch Umrandungen in Chromoptik aufgehellt. Die Armaturen beschränken sich auf zwei Rundinstrumente, auf denen auch der Ladestand der Batterie angezeigt wird. Auf dem Bildschirm kann zudem verfolgt werden, wie die Kraft der beiden Motoren gerade verteilt wird oder wie energisch beide Triebwerke beim Beschleunigen gemeinsam zu Werke gehen.
Vor allem im Stadtverkehr von Namyang wird der 1,6-Liter häufig in den einstweiligen Leerlauf-Ruhestand versetzt. Fürs Stopp-and-Go reicht die Kraft der Batterie. Wie bei anderen Hybrid-Modellen fließt immer dann Energie zurück in den Akku, wenn das Gas gelupft wird, wenn der Niro bergab rollt oder wenn die Bremse betätigt wird. Rekuperation heißt das im Hybrid-Jargon. Nicht so gebräuchlich ist, dass der Verbrennungsmotor zum Beispiel beim Ampelstopp dazu genutzt wird, seinerseits sein Strom-Pendant aufzuladen. Das sorgt dafür, dass die Batterie niemals völlig leergefahren wird. Als Fahrer hat man nur über das Gaspedal die Chance, das vom Bordrechner gesteuerte Treiben zu beeinflussen. Allerdings springt der Benziner nach dem Losfahren beim kleinsten Zucken des rechten Fußes sofort an. Einen Knopf, der den Niro in den reinen E-Modus zwingt, sucht man vergeblich.
Am Ende der Test-Tour kann dann viel Positives notiert werden. Guter Fahrkomfort dank sehr guter Sitze, viel Platz für Passagiere und Gepäck und ein Fahrwerk, das auf übertriebene Härte verzichtet. Das Sechsgang-Doppelkupplungsgetriebe ist ebenso serienmäßig wie gleich sieben Airbags. Je nach gewählter Ausstattung sind ein automatisches Notbremssystem, Abstandsradar und Assistenten für das Spurhalten oder gegen den „Toten Winkel“ im Rückspiegel mit an Bord. Pfiffig die Möglichkeit, ein Smartphone kabellos aufzuladen oder die Rückfahrkamera im Scheibenwischer-Arm. Auf der Zubehörliste stehen zudem ein beheizbares Lenkrad, Einparkhilfe oder gekühlte Vordersitze. Die Preise des Kia Niro werden bei rund 20.000 Euro beginnen, zu uns kommt er Mitte des nächsten Jahres. Auch wenn die genauen Daten noch geheim sind, wird der Koreaner wohl auch hierzulande für Furore sorgen. Und seinem großen Bruder Sportage den Rang als meistverkaufter Kia in Deutschland schnell ablaufen.
Günter