Nebel, Regen und ein eisiger Wind aus den Bergen: An diesem Novembermorgen wirkt Federico De Medio ausnahmsweise mal ganz zufrieden angesichts der weltweiten Lieferkrise bei Halbleitern: „Die fehlenden Chips haben unsere heutige Weltpremiere des Grecale verhindert – aber im kommenden Frühjahr wird es bestimmt ein sonniger Tag“, sagt Maseratis Technikverantwortlicher für das neue SUV mit etwas Galgenhumor.
Geduld ist angesagt
Statt Premiere also Prototyp: Obwohl der Grecale praktisch fertig entwickelt ist, will De Medio verständlicherweise noch nicht jedes Detail der wichtigsten Neuerscheinung seit mehr als einem halben Jahrzehnt ungetarnt zeigen. Schließlich müssen sich die Fans der Marke noch lang gedulden, bevor sie das SUV anfassen dürfen – und sollen bis dahin nicht bei Rivalen wie Porsche Macan, Jaguar F-Pace oder Audi Q5 zugreifen. Die sind alle ja schon lange zu haben.
Schon beim ersten Blick auf den Grecale, benannt nach einem kühlen Mittelmeerwind, zeigt sich: Das Warten könnte sich lohnen. Denn die Italiener haben auf 4,85 Meter Länge, 1,67 Meter Höhe und 2,16 Meter Breite (mit Außenspiegeln) einen sehr stattlichen Konkurrenten für die etablierte Konkurrenz auf die Beine gestellt. Der lange Radstand – mit 2,90 Metern fast genauso groß wie beim eine Klasse höher angesiedelten Levante – lässt den Grecale für Maserati-Verhältnisse fast schon zum Raumgleiter mutieren. Gerade auf den Rücksitzen und beim Kofferraum bietet das SUV sehr kommode und praktikable Verhältnisse.
Wichtig gerade auch für wohlhabende Mütter, die in den USA oder China gern zum Hochbeiner dieser Größe greifen. Sie soll der Grecale vermehrt betören. Könnte klappen: Mit dem breiten Dreizackgrill, einer flachen Motorhaube im Stil des Sportwagens MC-20 und Lichtspielen der Matrix-Scheinwerfer und Rückleuchten sendet der Grecale auch markentypisches Prestige aus. Schön gemacht und mit stimmigen Proportionen. Eleganter als mancher gedopt aufgepumpte Wettbewerber.
Maserati Grecale (Erlkönig)
BildergalerieEin Maserati muss aber natürlich auch den Freunden klassischer Sportwagen-Tugenden etwas bieten. Also vor allem Spaß beim Kurvenräubern. „Wir haben dafür an der Giorgio-Plattform intensiv gearbeitet“, sagt De Medio sichtlich stolz beim Start zur schnellen Runde auf der Teststrecke Balocco. Auf dieser Basis hat die Schwestermarke Alfa Romeo schon seine Giulia und das SUV Stelvio entwickelt. Maserati hat die Plattform nun für neue Antriebe weiterentwickelt, dazu gleich noch mehr. Und mit Optimierungen etwa bei der Gewichtsverteilung soll es noch dynamischer vorangehen.
Vierzylinder-Turbo mit 300 PS
Also Startknopf im Lenkrad gedrückt – und los: Im GT-Modus, neben Comfort, Sport und Offroad einer der vier wählbaren Abstimmungen. Hier kann De Medio seinen besonderen Stolz erläutern: den weitgehend selbst entwickelten Vierzylinder-Turbo mit 300 PS und 450 Newtonmetern Drehmoment. Mittels Riemenstarter-Generator, 48-Volt-Bordnetz und e-Booster bekommt er seinen Extra-Schuss Sportsgeist eingehaucht.
Das lässt sich auch deutlich verspüren im edel verarbeiteten und nicht zu engen Leder- Gestühl, auf Wunsch beheizt und belüftet. Elektrische und Turbokraft greifen schon bei niedrigen Geschwindigkeiten schön abgestimmt ein. Aus dem Stand geht’s in 5,6 Sekunden auf 100 Stundenkilometer, das maximal mögliche Tempo von 240 km/h ist auf der engen Teststrecke aber nicht zu erreichen. Das optional luftgefederte Allradler liefert in jeder Situation feinfühligen Fahrbahnkontakt, die Lenkung sorgt für Rückmeldungen ohne übertriebenen Kraftaufwand.
Im Sportmodus – und erst recht bei dann ausschaltbarem ESP, geht es deutlich anspruchsvoller ans Werk. Statt per Achtgang-Automatik kann der Pilot zudem über Schaltpaddel den Vortrieb dynamisieren (und den Stress). Gestraffte Dämpfer und höhere Lenkkräfte fordern, wer gefordert werden will. Und bei zackigen Lastwechseln schwänzelt das Heck auch schon mal deutlicher aus als in den entspannteren Modi.
Zur Ruhe gereicht die Comfort-Einstellung, die den Grecale fast schon zur braven Familienkutsche macht. So klar differenziert machen Fahrmodi Sinn. Abseits der Straße haben die Italiener den Prototypen-Fahrer leider nicht gelassen. Aber angesichts überschaubarer baulicher Voraussetzungen ist wirkliches Offroad-Abenteuer eher nicht das Terrain des Grecale.
Liebevolle und stilbewusste Verarbeitung
Eindeutig Punkte machen kann der Maserati aber mit seiner sehr liebevollen und stilbewussten Verarbeitung – Alu, Hölzer, Leder: Alles echt und alles überall. Da ist anderswo manches der Sparwut zum Opfer gefallen. Und auch in der Elektronik ist der Italiener auf Augenhöhe: Die Assistenzsysteme fahren Richtung Teilautonomie, so umfangreich wie bei den deutschen Konkurrenten. Und das Android Auto-Betriebssystem reagiert blitzschnell, auf dem digitalem Cockpit, Head-Up-Display und einem großen, im unteren Bereich abgeschrägten Touchscreen in der Mitte sauber ables- und bedienbar. Nur „Hey Maserati“ zu rufen, der Stilbruch schmerzt einen klassischen Fan.
Aber der muss sich eben umgewöhnen in der neuen Autowelt – „genau wie Maserati selbst“, sagt De Medio. Die größte Veränderung steht da ohnehin noch an: Wohl im übernächsten Jahr wird der Grecale auch in einer vollelektrischen Version kommen. Nicht zu groß soll der Akku sein, dafür schnell geladen. So ein Auto brauchen die Italiener gerade für Kunden wie die deutschen Dienstwagenfahrer, die oft nach Öko-Steuervorteil ihr Gefährt wählen.
Und auch auf der anderen Seite des Umweltbewusstseins wird mancher Grecale-Interessent wohl auch noch zögern: Denn unter der Haube des Italieners würde sich auch gut das Sechszylinder-Eigengewächs Nettuno machen; das entfaltet im MC-20 mit einem patentierten Vorkammer-Brennssystem aus der Formel-1 satte 630 PS und 730 Newtonmeter Drehmoment. So einen Antrieb in leicht entschärfter Form dürfte mancher Grecale-Sportsfreund herbeisehnen. Aber Warten sind Maserati-Fans ja gewohnt.