Am Ende strömt nicht nur der Regen, auch Tränen fließen: Als Wendelin Wiedeking am 23. Juli 2009 nach 17 Jahren als Porsche-Chef zurücktritt, liefert das Wetter die passende Kulisse im Innenhof des Stammwerks in Stuttgart-Zuffenhausen. Dem damals 56-jährigen Wiedeking bricht die Stimme, Wolfgang Porsche reibt sich Tränen aus dem Augenwinkel, Mitarbeiter haben feuchte Augen. "Da wusste ich, die Zeitenwende war gekommen", erinnert sich Porsches langjähriger Betriebsratschef Uwe Hück.
Wiedekings Plan, den weitaus größeren Autobauer Volkswagen zu übernehmen, war nicht so aufgegangen wie gedacht. Zwar hielt die Porsche SE die Mehrheit an dem Wolfsburger Konzern. Von einem Riesencoup und einem der "interessantesten Krimis der Wirtschaftsgeschichte" spricht der Branchenexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach noch heute. Aber der Überflieger hatte sich verzockt. Die Finanzkrise hatte ihm seinen Coup versaut und er hatte sich mit den Falschen angelegt. Bis heute beschäftigt der Fall Gerichte.
Aber von vorne. 2005 schmieden Wiedeking und sein Finanzchef Holger Härter Pläne zum Einstieg bei Volkswagen. Porsche will damit unter anderem seine Entwicklung finanzieren. Die Schwaben sichern sich zunächst 20 Prozent der VW-Stammaktien für rund 3,5 Milliarden Euro. Von einer Übernahme ist noch nicht die Rede - doch schon jetzt wirkt das Unterfangen gewagt. Denn ein Nischenhersteller mit nicht einmal sieben Milliarden Euro Jahreserlös steigt beim VW-Konzern mit damals 95 Milliarden Euro Umsatz ein.
Zwei Jahre später bündelt die Porsche AG knapp 31 Prozent der VW-Stammaktien in der Europäischen Aktiengesellschaft Porsche Automobil Holding SE. Und Wiedeking begeht einen Fehler: Er bringt die mächtigen Arbeitnehmervertreter bei VW gegen sich auf. Mit Blick auf die Mitbestimmung und den Haustarifvertrag bei VW sagt er im September 2007 den "Stuttgarter Nachrichten": "Da darf es keine heiligen Kühe geben, denn die gibt es auch bei Porsche nicht."
Im darauffolgenden Jahr eckt Wiedeking weiter an. 2008 hat er die niedersächsische Landesregierung, IG Metall und den VW-Betriebsrat gegen sich, weil er eine Satzungsänderung durchdrücken will, welche die Macht des Landes Niedersachsen bei VW beschneiden würde. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh wirft Wiedeking vor, mit der "Arroganz eines Alleinherrschers" schalten und walten zu wollen.
Doch die Übernahmeschlacht beschäftigt noch jahrelang die Gerichte in New York, London, Stuttgart, Braunschweig, Frankfurt und inzwischen vor allem in Hannover. Ex-Finanzchef Härter wird in einem anderen Verfahren wegen Kreditbetrugs zu einer Strafe von 630.000 Euro verurteilt. Vom harten Vorwurf der Marktmanipulation werden Wiedeking und Härter aber 2016 freigesprochen.
Investoren fordern Schadenersatz
Dennoch fordern nach wie vor zahlreiche Investoren Schadenersatz von der Porsche SE, weil sie sich rückblickend während des Ringens um die VW-Übernahme nicht richtig informiert fühlten. In einem Verfahren hat Porsche vor dem Bundesgerichtshof schon Recht bekommen. Forderungen von mehr als fünf Milliarden Euro werden noch in einem Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) vor dem Oberlandesgericht Celle verhandelt.
Porsches Ex-Betriebsratschef Hück ist heute überzeugt: "Es ist gut so, wie es gekommen ist." Auch VW-Betriebsratschef Osterloh ist sicher: "Natürlich war die Integration von Porsche in den Volkswagen-Konzern richtig." Auch wenn er selbstkritisch einräumt: "Die öffentliche Auseinandersetzung hat uns geschadet. Das hätten wir auch auf Arbeitnehmerseite geräuschloser klären können."
Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer vom Duisburger CAR-Institut betont: "Für Volkswagen ist das eine Investition, die sich gelohnt hat." Die hochprofitable Sportwagenschmiede liefert dem Volkswagen-Konzern heute Milliardengewinne. Gleichzeitig ist die Porsche SE zusammen mit Katar und Niedersachsen ein stabiler Ankeraktionär. "Sonst wäre Volkswagen vielleicht Chinesisch heute", orakelt Dudenhöffer. (dpa)