Damit musste Fiat-Chef Sergio Marchionne rechnen: Einen Sturm der Kritik und ein Bangen um den Standort Italien löste die Ankündigung des Turiner Autobauers aus, Ende Oktober einen neuen Investitionsplan präsentieren zu wollen. Befürchtet wurde sofort, das Flaggschiff der italienischen Industrie wolle nun Ballast über Bord werfen, eines der fünf Werke dichtmachen und Personal abbauen. Weil schon vom "Verrat des 'amerikanischen' Sergio" die Rede war, geht der Manager mit dem Fiat-Chrysler-Doppelhut in die Gegenoffensive: Fiat bleibe in Italien, so Marchionne, obwohl der Automarkt in Agonie sei und man in einer solchen Krise doch eigentlich nicht investiere. Er will nicht der "Schwarze Mann" sein, muss aber die Flaute überstehen.
Fiat hält sich nur dank der beträchtlichen Erfolge des Partners Chrysler in Nordamerika über Wasser. Gleichzeitig rutscht Italien immer tiefer in die Rezession. Nach Problemen in der Aluminium- und der Stahlbranche könnten die Investitionskürzungen bei Fiat die von Regierungschef Mario Monti anvisierte Wirtschaftserholung in dem Land massiv gefährden. Das von dem parteilosen Ministerpräsidenten bereits gesichtete "Licht am Ende des Tunnels" sei eben zu optimistisch. Das meinten italienische Medien angesichts der absehbaren Fiat-Sparpläne.
Das letzte Fiat-Zukunftsprogramm "Fabbrica Italia" ("Fabrik Italien") für 2010 bis 2014 hatte noch Investitionen von 20 Milliarden Euro in die Produktion in Italien vorgesehen. "Lingotto" wollte seine Autoproduktion um mehr als 50 Prozent hochfahren und das Werk Pomigliano bei Neapel modernisieren. Doch dann kam die tiefe Krise in Europa und vor allem in Italien. Man könne sich also nicht mehr auf einen Investitionsplan beziehen, der vor 30 Monaten aufgestellt worden sei, hat Fiat argumentiert. Jüngste Verkaufszahlen untermauern das: Im Heimatland Italien stürzte Fiat am tiefsten in Europa ab, um jeweils ein Fünftel in den Monaten Juli und August. Und ein Ende dieses Negativtrends sieht Marchionne nicht.
Marchionne in der Offensive
Weil von allen Seiten auf ihn gefeuert wurde, ging der Fiat-Chef jetzt in einem zweiseitigen Interview mit der römischen Tageszeitung "La Repubblica" in eine erste Erklärungs-Offensive: "Ich habe nicht von überschüssigen Arbeitskräften gesprochen noch die Schließung von Werken vorgeschlagen und auch nie gesagt, dass ich weggehen will." Der Automarkt sei aber in Italien in ein beispielloses Loch gestürzt, Fiat um Jahrzehnte zurückgefallen auf das Niveau der 1960er Jahre.
Es wolle doch wohl niemand, dass Fiat sich ruhig zurücklehne, so als wäre Schönwetter, meint Marchionne in dem Interview. Der Erfolg von Detroit und das Desaster von Turin machten klar: "Es geht darum, den Sturm zu überleben, mit der Hilfe jenes Konzernteils, dem es in Nord- und Südamerika gut geht." Denn Fiat sei dabei, auf dem flauen europäischen Automarkt 700 Millionen Euro an Verlusten anzuhäufen.
Fiat sei zwar jetzt ein multinationaler Konzern, aber auch ein großes italienisches Industrieunternehmen, mit diesen Worten hatte Arbeitsministerin Elsa Fornero dringend ein Treffen mit Marchionne angemahnt. "Falls das Unternehmen wegzieht, gehen direkt und indirekt eine halbe Million Arbeitsplätze drauf", so warnte bereits Raffaele Bonanni von der Cisl-Gewerkschaft. Auch Unternehmerpräsident Giorgio Squinzi von der Confindustria ist besorgt: "Ein großes Industrieland wie Italien kann doch nicht ohne eine starke Autoindustrie sein."
"Ich kann es nicht allein"
Das weiß auch der Fiat-Boss: "Ich setze mich doch ein, das sind nicht nur Worte. Ich kann es aber nicht allein." Italien müsse sich aber auch engagieren. Aus den USA werde ihm geraten, zwei Werke zu schließen, um europäische Überkapazitäten abzubauen. Sicher, er sei bereit, die Arbeitsministerin Fornero und andere aus der Regierung Monti zu treffen, die einen heißen Herbst befürchten muss. "Und dann?", fragt Marchionne im gleichen Atemzug. Für ihn ist klar: Es müssen Lösungen her - und Italien muss helfen. (dpa)
Gerdi Hellmann