Maximilianstraße, Ludwigstraße, Odeonsplatz, Briennerstraße, Königsplatz - hier schlägt das Herz des Schicki-Micki-Münchens: An diesem Schnittpunkt der Altstadt Münchens liegt der gefühlte Marktanteil von BMW, Audi und Mercedes tagtäglich bei 50 Prozent. Mindestens. Und an der anderen Hälfte haben Exoten wie McLaren, Königsegg oder Bentley auch noch einen auffallenden Anteil. Eine ständige Luxus-IAA sozusagen.
Kein schlechter Ort also, um die neuesten Kreationen der Autoindustrie dem Publikum zu präsentieren – auf der IAA Mobility, wie die deutschlandweit größte Leistungsschau der Branche neuerdings heißt. Erstmals findet es in München statt – und neben dem Messegelände vor allem ebendort mitten in der Stadt. Audi, Hyundai, Porsche, Mercedes, Cupra, Ford … eine Ausstellungsfläche reiht sich dort für jedermann frei zugänglich fast nahtlos an die nächste.
Eingeschränkte Mobilität ist Normalität
Otto, lodengewandeter Ureinwohner nebst Dackel, lassen die haushohen Stände der Messebauer so kalt wie das tägliche Schaulaufen der Reichen. Der 86-Jährige zuckt nur die Achseln, grantelt über die "Karren der Großkopferten" – und lässt sein Zamperl demonstrativ das Bein an der nächsten 21-Zoll-Felge heben. Auch sonst fließt das städtische Publikum so gelassen wie die Isar rund um die abgesperrten Bereiche im Herz der Stadt herum. Eingeschränkte Mobilität ist im dauerverstopften Verkehrs-Geäder der Altstadt ja Normalität.
Und die Präsentation edler Autoware ohnehin: An den Prachtboulevards der bayerischen Hauptstadt haben sich Mercedes, Maserati, Cupra oder Lucid längst mit boutiqueartigen Shops neben Armani, Gucci, Belstaff oder Etro breit gemacht. Da scheint das Messekonzept der IAA kein Fremdkörper. Zumal die Hersteller sich auch noch reichlich Mühe geben, sozialverträglich grüne Akzente zu setzen.
Surr surr statt brumm brumm
Wo es auf der IAA Made in Frankfurt 70 Jahre lang möglichst kräftig brumm, brumm gemacht hat, surrt es bei der Premiere in München nur noch. Im Wesentlichen präsentieren alle Hersteller, die an der Messe teilnehmen, nur batteriegetriebene Gefährte. Neben dem Auto gern auch Motorroller, Pedelecs oder Scooter. So lautlos war eine IAA noch nie.
Bei spätsommerlichem Wetter könnte also alles perfekt sein für den Stadtbummel der ganzen Familie mit IAA-Besuch: Stopp beim Hyundai-Lego-Rundkurs im königlichen Marstall, beim Öko-Pavillon von Mercedes gleich neben den bayerischen Löwen am Odeonsplatz oder bei Fords Mach-e-Show neben Riesenrad und Ehrenmal auf dem Königsplatz. Und werden die Kinder müde, bringt sie der autonome E-Kleinbus zur nächsten Station. Alles öko-easy-unbeschwert. Aber so gelassen sehen nicht alle Münchner das Treiben auf den Straßen ihrer Stadt.
Ingrid Greif etwa findet die IAA Mobility schlicht "einen Schmarrn". Auch die drei Hallen auf dem Messegelände mit Fahrrädern oder die "Blue Lane" für Testfahrten mit Öko-Autos durch die Stadt können die Pflegekraft in einer Münchner Klinik nicht gnädig stimmen. Das sei doch alles "ein Feigenblatt der Autoindustrie"; und überhaupt "das Auto ein Irrweg in der städtischen Mobilität".
Thema 365-Euro-Ticket
Greif nutzt die Aufmerksamkeit der Besucher an diesem Vormittag, um am zentralen Marienplatz auf den Start eines Bürgerbegehrens aufmerksam zu machen: Das "365-Euro-Ticket" wollen sie und ihre Mitstreiter in den kommenden Monaten durchsetzen. Alle öffentlichen Verkehrsmittel, für alle Bürger und für einen Euro pro Tag – darüber sollen die Münchner entscheiden. Im Stadtrat sind übrigens ausgerechnet Linke und CSU dafür, Grüne und SPD haben das Ein-Euro-Ticket abgelehnt.
Rentner Otto wird dagegen die IAA besuchen. "Vielleicht höre ich mir auch ein paar Vorträge zur Mobilität der Zukunft auf dem Marienplatz an oder fahre zum Messegelände", sagt der frühere BMW-Beschäftigte. Seinen Führerschein hat er zwar abgegeben, aber das autonome Fahren "würd’ ich mir gern mal anschauen". In der Messe-Parkgarage ist das Einparken per Geisterhand schon einmal live zu erleben.
IAA Mobility 2021 - Impressionen
BildergalerieVor den Ausstellungsflächen in der City ist die Mobilität allerdings merklich eingeschränkt. Zum einen durch die Corona-Regeln: 3 G, Masken und Abstand lassen das früher übliche Gedränge rund um die IAA-Premieren nicht im Ansatz zu. Zum anderen herrscht aber auch reichlich Unbehagen vor möglichen Protesten: "Der Platz ist schon schwer zu verteidigen", sagt etwa ein Security-Mann mit unheilschwangerer Stimme. Aus den Gassen, die zur Schau der Stuttgarter führen, könnten Chaoten nächstens ihre Farbbeutel gewordenen Hassbotschaften gegen den Autoverkehr schleudern. Die Sicherheitsleute werden also in den kommenden Tagen schwer beschäftigt sein.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hat gleich 4.500 Polizisten zur Bewachung der IAA abgestellt – um "gewalttätige Proteste" im Keim zu ersticken. Blockaden der Stände zumindest vor allem Freitag und Samstag bereiten den Messemachern schon jetzt Unbehagen. Eine Fahrrad-Sternfahrt am Wochenende mit erwarteten 30.000 Demo-Teilnehmern sehen die Veranstalter dagegen eher gelassen. Schließlich ist ja auch auf dem offiziellen IAA-Plakat des Verbands der Autohersteller VDA ganz vorn ein emissionsloses Zweirad zu sehen. Das Auto bleibt im Hintergrund.
Im Vordergrund soll der Weg in die mobile Zukunft stehen. Vielleicht traut sich ein VDA-Vertreter ja sogar mal auf die Theresienwiese. Wo sonst in ein paar Tagen das Oktoberfest stattfinden würde, steht nach der coronabedingten Absage des weltgrößten Bierfestes nun ein "Mobilitätswende-Camp". Die Veranstalter wollen "eine klimagerechte Gesellschaft vorleben – mit Basisdemokratie, Workshops und veganer Küche", sagt Frederik Müller vom Organisationsteam. Das Konzept klingt ja fast schon wie eine passende Ergänzung zur IAA-Mobility. Nur ohne glitzernde Auto-Premieren halt.
Hat die Messe in Münchens Mitte eine Zukunft? Da sind sich selbst manche Vertreter der Industrie nicht sicher. "Das ist sicher ein Experiment", sagt ein Aussteller, der natürlich nicht mit Namen genannt werden will. "Wir tun jedenfalls alles dafür, das Auto als Teil eines Mobilitätskonzeptes zu präsentieren und darüber zu diskutieren.” Ob genug Bürger und Besucher das Angebot annehmen? Rentner Otto zumindest hofft das: "Ich sag' nur: Leben und leben lassen. Dafür steht doch München – eigentlich." Schau'n wir mal.