Deutliche Sätze scheut er nicht: "Aus heutiger Sicht stehen die Chancen 50:50, dass die deutsche Automobilindustrie in zehn Jahren noch zur Weltspitze gehört." Oder: "Wir sind es gewohnt, dass das Auto in der Kritik steht. Der jetzige Feldzug gegen die individuelle Mobilität und damit gegen das Auto nimmt jedoch existenzbedrohende Ausmaße an." Sollte ein Top-Manager von Volkswagen so etwas nach all den Querelen rund um "Dieselgate" und den Abgas-Betrug tatsächlich sagen? Herbert Diess tut es - und nimmt er nimmt auch sonst kein Blatt vor den Mund. Am Mittwoch wird der Volkswagen-Chef 60 Jahre alt.
Diess ist bekannt für deutliche Worte - zugleich gilt er als diplomatischer und verbindlicher als sein Vorgänger Matthias Müller. Das eigentliche Ziel des im April angetretenen Konzernchefs aber ist ein anderes: Tempo machen. Volkswagen müsse im "ausgesprochen anspruchsvollen Wettbewerbsumfeld" das Tempo nochmals deutlich erhöhen, sagte er damals, als er dem Koloss auch eine neue Struktur verordnete. Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer stellte unlängst fest: "Diess bringt Speed rein." Sein Kollege Stephan Bratzel meinte, der VW-Chef arbeite an den "richtigen Stellschrauben", um schneller und flexibler zu werden.
Und der gebürtige Münchner mit österreichischem Pass ist keiner, der locker lässt. Immer wieder fordert Diess vor Managern, das Tempo und die Umsetzungsgeschwindigkeit zu erhöhen. Das ist auch nötig, denn die gesamte Autobranche kämpft mit gewaltigen Umbrüchen: E-Mobilität, autonomes Fahren, Vernetzung und Digitalisierung.
Diess als Sprecher der Autoindustrie
Gleichzeitig macht sich der frühere BMW-Manager zum Sprecher der Autoindustrie, wenn er Mitte Oktober bei der VW-Zuliefererbörse in Wolfsburg die "beinahe hysterische Stickoxiddiskussion um wenige Problemzonen in unseren Städten" kritisiert - oder die geplanten EU-Grenzwerte beim Ausstoß von Kohlendioxid (CO2). Diese werden aus seiner Sicht "den Automarkt vollständig revolutionieren". Die EU-Staaten hatten sich darauf verständigt, dass Neuwagen im Jahr 2030 im Schnitt 35 Prozent weniger CO2 ausstoßen sollen als 2020.
Fast schon überraschend für einen Manager, der dem schnellen Wandel das Wort redet: Diess warnt, ein Wandel in dem Tempo sei kaum zu bewältigen, binnen zehn Jahren müssten dann 100.000 Jobs bei VW entfallen. Es ist kein unbekannter Reflex in der Industrie, im Ernstfall - wenn es also Geld kostet - mit Job-Kahlschlag zu drohen.
Gilt das aber auch für Diess? "Uns ist allen klar, dass der Strukturwandel dazu führt, dass es weniger Arbeitsplätze in der Automobilindustrie in Deutschland geben wird", sagte er auf der Zuliefererbörse. "Die Frage ist, in welcher Geschwindigkeit wir den Strukturwandel begleiten müssen." Angst davor habe er jedenfalls nicht.
Die sollte er auch nicht haben. Diess kam im Sommer 2015 in der Führungsetage des Markenhochhauses auf dem Wolfsburger Werksgelände an - noch unter dem langjährigen Konzernchef Martin Winterkorn, den nur wenig später das Bekanntwerden millionenfacher Manipulationen bei Abgastests von Dieselautos aus dem Amt fegte. Ein Vorteil für Diess dürfte sein, dass er während der Verfehlungen der Jahre davor, die Volkswagen inzwischen 27 Milliarden Euro gekostet haben, noch nicht im VW-Imperium tätig war. Doch auch gegen ihn wird wegen des Vorwurfs einer verspäteten Information der Finanzmärkte ermittelt.
Nach außen hin der freundlich-leise Auftritt
Schon früh war Diess dennoch als Kronprinz im Gespräch. Der promovierte Maschinenbau-Ingenieur und Vater dreier Kinder pflegt zumindest nach außen hin den freundlich-leisen Auftritt. Intern schreckt er auch vor Konflikten nicht zurück: So geriet er bei der Planung und Umsetzung des Sparprogramms "Zukunftspakt" zunächst heftig mit Betriebsratschef Bernd Osterloh aneinander, der ihn gern als "Onkel Herbert" bezeichnet haben soll.
Was ihm bei der Umsetzung seiner ehrgeizigen Ziele helfen dürfte, ist seine Bodenhaftung. Klare Kante, aber auch die Fähigkeit, seine Belegschaft zu motivieren - das zeichnet die Arbeitsweise des Hobby-Motorradfahrers und Kitesurfers aus. Effizienz ist ihm wichtig, das war schon bei BMW so: Dort verantwortete er zwischen 2007 und 2012 Einkauf und Zuliefernetz, zuletzt die Entwicklung. Von 1999 bis 2003 leitete er das Motorenwerk nahe Birmingham und die Fahrzeugfabrik Oxford. Auch bei den Bayern hatte er eigentlich schon eine Kronprinzen-Funktion inne, doch die Eigentümerfamilie Quandt und die Betriebsräte gaben Harald Krüger den Vorzug, der ihnen als stärkerer Teamplayer galt.
Dass sich die Autobranche fundamental wandeln müsse, dürfte für Diess selbstverständlich sein - er will beim Wandel sogar vorangehen. Aber auf die Geschwindigkeit und die Art des Wandels komme es an, sagte er einmal.
Und ist er in die Rolle des Teamplayers hineingewachsen? Bereits jetzt suche er Gespräche mit dem Betriebsrat für die Zeit 2020 bis 2025, also nach dem "Zukunftspakt", sagte Diess. Kann er auch dann alle 650.000 Mitarbeiter des Weltkonzerns mitnehmen? (dpa)